"Das ist für die Verbraucher eine ganz bittere Entscheidung"
Der Vorstand des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, Gerd Billen, zeigt sich besorgt, dass die Koalition offenbar beabsichtige, eine Reform der Finanzaufsicht aufzuschieben. Die Verbraucherzentralen setzen viele Hoffnungen in die Bundesregierung, dass sie die Banken künftig stärker kontrolliere, sagte Billen.
Marietta Schwarz: Rund 200 Tage ist die schwarz-gelbe Bundesregierung nun im Amt, und man könnte nicht sagen, dass ihr ein gutes Zwischenzeugnis ausgestellt wird. Nein, es wird sogar von einer Auflösung gesprochen, von Vertrauensfrage und Neuwahlen. Offensichtlich ist das Vertrauen der Regierungsmitglieder zueinander arg in Mitleidenschaft gezogen. Man beschimpft sich, schiebt sich den Schwarzen Peter zu, kurzum: Die Stimmung ist miserabel. Auch auf das Vertrauen der Bürger schlägt sich das nieder.
Da war doch mal was: Steuersenkung, Gesundheitsreform. Stattdessen Sparpaket, "Wildsau", Rücktritte und Dementis. Aber jetzt muss man doch noch mal konkret fragen: Wo bekommt der Bürger das Scheitern dieser Regierung denn jetzt schon am eigenen Leibe zu spüren? Darauf wird vermutlich der Bundesverband der Verbraucherzentralen heute in seiner Zwischenbilanz eine Antwort geben. Mit dessen Vorstand, Gerd Billen, bin ich jetzt am Telefon verabredet. Guten Morgen!
Gerd Billen: Guten Morgen.
Schwarz: Herr Billen, die Verbraucherzentralen sind ja die Ansprechpartner für den Bürger. Wo würden Sie sagen ist denn derzeit die Verzweiflung am größten?
Billen: Die Verzweiflung und die Enttäuschung ist im Moment ganz groß im Bereich des Finanzmarktes. Es sind ja sehr viele Sparer, Anleger durch die Finanzkrise stark getroffen worden, und deswegen haben wir große Hoffnungen in die Regierung, dass sie insbesondere die Finanzaufsicht reformiert, also dafür sorgt, dass die Finanzaufsicht Banken an die Kandare nimmt, die den Verbrauchern Produkte verkaufen, die nicht zu ihnen passen. Hier hat Herr Schäuble gerade in den letzten Tagen erst anklingen lassen, diese Reform würde man wohl verschieben, und das ist für die Verbraucher eine ganz bittere Entscheidung.
Schwarz: Das Kabinett will aber nächste Woche, am 23. Juni, einen entsprechenden Gesetzentwurf absegnen. Ist doch eigentlich ein Beweis für die Tatkraft der Regierung, oder nicht?
Billen: Na ja, man muss sich eben ansehen, was ist in dem Paket drin. Es ist richtig, dass die Regierung im Bereich Anlegerschutz einige Dinge auf den Weg bringen will. Sie will dafür sorgen, dass zum Beispiel Produkte des grauen Kapitalmarktes auch stärker kontrolliert werden in Zukunft.
Aber es fehlt im Prinzip das Kernstück, also das, was wir bei der Lebensmittelüberwachung haben, dass es Leute gibt, die sich umgucken, die Risiken aufdecken, die den schwarzen Schafen auf die Finger klopfen. Das fehlt im Bereich der Finanzaufsicht. Diese Branche gehörte in den letzten Jahren zu den so edlen Branchen, dass keiner genau hingeguckt hat, was die machen, und die Folgen können wir alle spüren.
Schwarz: Also fehlt es an Kontrolleuren? Habe ich Sie da richtig verstanden?
Billen: Genau! Es fehlt an Kontrolleuren, es fehlt an Untersuchungen, welche Finanzprodukte nun wirklich was taugen. Es fehlt daran, dass denen, die Verbraucher über den Tisch ziehen, dann auch saftige Strafen drohen.
Schwarz: Viele offene Fragen, Herr Billen, gibt es ja auch im Bereich der Gesundheit. Wie befürchtet stehen einige Krankenkassen vor der Insolvenz und auf die Versicherten kommen Zusatzbeiträge zu. Wie stehen Sie dazu?
Billen: Es ist schade, dass die Koalition sich völlig erschöpft in dem Grundsatzstreit, ob man nun eine Gesundheitsprämie einführt oder nicht, weil die wirklich wichtigen Probleme für die Verbraucher sind andere. Da geht es eben um die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen, wie kann man das in den Griff kriegen, wie kann man dafür sorgen, dass die Pharmapreise gesenkt werden, dass wir nicht so viel ausgeben, und es geht den Verbrauchern ganz stark um die Qualität der Leistung, woran erkenne ich, dass ich in einem guten Krankenhaus bin, dass ich einen guten Arzt erwischt habe.
Mein Eindruck ist, Herr Rösler verkämpft sich da an einer Stelle, wo er erkennbar in dieser Legislaturperiode nicht viel gewinnen kann. Das ist so, als ob man einen 100-Meter-Läufer nun zum Stabhochspringen schickt. Er sollte sich um die wirklichen Probleme kümmern. Er kann das, da bin ich mir sicher. Dafür muss die Koalition aber diesen Grundsatzstreit jetzt ad acta legen. In dieser Legislaturperiode – das pfeifen die Spatzen von den Dächern – wird es nichts mehr mit der großen Gesundheitsreform.
Schwarz: Aber diesen Fonds, der jetzt zu Zusatzbeiträgen führt, den hat ja nicht Herr Rösler, sondern seine Vorgängerin Schmidt eingeführt. Ist sie Ihrer Meinung nach dann vielleicht doch Schuld?
Billen: Nein. Schuld? Ich glaube, hier kann man gar nicht von Schuld sprechen. Wir haben eine älter werdende Bevölkerung, wir haben steigende Aufwendungen im Gesundheitswesen, wir haben viele Stellen, an denen sich im Gesundheitswesen auch so eine Art Selbstbedienungsmentalität entwickelt hat. Nehmen wir die Pharmapreise. Wir zahlen in Deutschland viel mehr Geld als andere für Medikamente. Aber es sind auch wir selber.
Die Deutschen gehen viel öfter zum Arzt und ins Krankenhaus als die Verbraucher in den Nachbarländern. Also ich glaube, es geht nicht so sehr um Schuld, als darum, jetzt sich wirklich anzugucken, was sind die Dinge, die mehr und mehr kosten, wo kann man im Gesundheitswesen sparen, und wer kann da welchen Beitrag leisten. Diese notwendigen Aktivitäten unterbleiben meines Erachtens nach, weil man sich in so einem Grundsatzstreit verheddert hat, und da muss die Regierung raus.
Schwarz: Wer, wenn nicht die Versicherten, soll denn die Lasten tragen, Herr Billen?
Billen: Na ja, wir haben ja schon heute eine Situation, dass zum Beispiel Arbeitgeber einen hohen Anteil zahlen. Das sollte auch so bleiben. Wir haben eine Situation, dass privat Versicherte nicht den notwendigen Solidaranteil im Gesundheitswesen teilen. Wir haben auf der anderen Seite hohe Kosten. Wir haben sehr viele Apotheken, auch viel mehr als in anderen Ländern.
Also ich glaube, es geht um eine Mischung aus Sparen, Effizienzreserven im Gesundheitswesen zu nutzen und eben zu gucken, wie kann man die Kostenentwicklung im Griff behalten. Am Ende werden es die Versicherten tragen müssen.
Ich glaube, da kommt man auch nicht drum herum. Jetzt zu sagen, das soll dann alles aus dem Staatshaushalt finanziert werden, das ist ein Spiel linke Tasche, rechte Tasche. Das wird uns auf Dauer nicht helfen.
Schwarz: Der oberste Verbraucherschützer in Deutschland, Gerd Billen, war das zur Politik der schwarz-gelben Bundesregierung. Ich danke Ihnen, Herr Billen, für das Gespräch.
Billen: Okay! Gerne.
Da war doch mal was: Steuersenkung, Gesundheitsreform. Stattdessen Sparpaket, "Wildsau", Rücktritte und Dementis. Aber jetzt muss man doch noch mal konkret fragen: Wo bekommt der Bürger das Scheitern dieser Regierung denn jetzt schon am eigenen Leibe zu spüren? Darauf wird vermutlich der Bundesverband der Verbraucherzentralen heute in seiner Zwischenbilanz eine Antwort geben. Mit dessen Vorstand, Gerd Billen, bin ich jetzt am Telefon verabredet. Guten Morgen!
Gerd Billen: Guten Morgen.
Schwarz: Herr Billen, die Verbraucherzentralen sind ja die Ansprechpartner für den Bürger. Wo würden Sie sagen ist denn derzeit die Verzweiflung am größten?
Billen: Die Verzweiflung und die Enttäuschung ist im Moment ganz groß im Bereich des Finanzmarktes. Es sind ja sehr viele Sparer, Anleger durch die Finanzkrise stark getroffen worden, und deswegen haben wir große Hoffnungen in die Regierung, dass sie insbesondere die Finanzaufsicht reformiert, also dafür sorgt, dass die Finanzaufsicht Banken an die Kandare nimmt, die den Verbrauchern Produkte verkaufen, die nicht zu ihnen passen. Hier hat Herr Schäuble gerade in den letzten Tagen erst anklingen lassen, diese Reform würde man wohl verschieben, und das ist für die Verbraucher eine ganz bittere Entscheidung.
Schwarz: Das Kabinett will aber nächste Woche, am 23. Juni, einen entsprechenden Gesetzentwurf absegnen. Ist doch eigentlich ein Beweis für die Tatkraft der Regierung, oder nicht?
Billen: Na ja, man muss sich eben ansehen, was ist in dem Paket drin. Es ist richtig, dass die Regierung im Bereich Anlegerschutz einige Dinge auf den Weg bringen will. Sie will dafür sorgen, dass zum Beispiel Produkte des grauen Kapitalmarktes auch stärker kontrolliert werden in Zukunft.
Aber es fehlt im Prinzip das Kernstück, also das, was wir bei der Lebensmittelüberwachung haben, dass es Leute gibt, die sich umgucken, die Risiken aufdecken, die den schwarzen Schafen auf die Finger klopfen. Das fehlt im Bereich der Finanzaufsicht. Diese Branche gehörte in den letzten Jahren zu den so edlen Branchen, dass keiner genau hingeguckt hat, was die machen, und die Folgen können wir alle spüren.
Schwarz: Also fehlt es an Kontrolleuren? Habe ich Sie da richtig verstanden?
Billen: Genau! Es fehlt an Kontrolleuren, es fehlt an Untersuchungen, welche Finanzprodukte nun wirklich was taugen. Es fehlt daran, dass denen, die Verbraucher über den Tisch ziehen, dann auch saftige Strafen drohen.
Schwarz: Viele offene Fragen, Herr Billen, gibt es ja auch im Bereich der Gesundheit. Wie befürchtet stehen einige Krankenkassen vor der Insolvenz und auf die Versicherten kommen Zusatzbeiträge zu. Wie stehen Sie dazu?
Billen: Es ist schade, dass die Koalition sich völlig erschöpft in dem Grundsatzstreit, ob man nun eine Gesundheitsprämie einführt oder nicht, weil die wirklich wichtigen Probleme für die Verbraucher sind andere. Da geht es eben um die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen, wie kann man das in den Griff kriegen, wie kann man dafür sorgen, dass die Pharmapreise gesenkt werden, dass wir nicht so viel ausgeben, und es geht den Verbrauchern ganz stark um die Qualität der Leistung, woran erkenne ich, dass ich in einem guten Krankenhaus bin, dass ich einen guten Arzt erwischt habe.
Mein Eindruck ist, Herr Rösler verkämpft sich da an einer Stelle, wo er erkennbar in dieser Legislaturperiode nicht viel gewinnen kann. Das ist so, als ob man einen 100-Meter-Läufer nun zum Stabhochspringen schickt. Er sollte sich um die wirklichen Probleme kümmern. Er kann das, da bin ich mir sicher. Dafür muss die Koalition aber diesen Grundsatzstreit jetzt ad acta legen. In dieser Legislaturperiode – das pfeifen die Spatzen von den Dächern – wird es nichts mehr mit der großen Gesundheitsreform.
Schwarz: Aber diesen Fonds, der jetzt zu Zusatzbeiträgen führt, den hat ja nicht Herr Rösler, sondern seine Vorgängerin Schmidt eingeführt. Ist sie Ihrer Meinung nach dann vielleicht doch Schuld?
Billen: Nein. Schuld? Ich glaube, hier kann man gar nicht von Schuld sprechen. Wir haben eine älter werdende Bevölkerung, wir haben steigende Aufwendungen im Gesundheitswesen, wir haben viele Stellen, an denen sich im Gesundheitswesen auch so eine Art Selbstbedienungsmentalität entwickelt hat. Nehmen wir die Pharmapreise. Wir zahlen in Deutschland viel mehr Geld als andere für Medikamente. Aber es sind auch wir selber.
Die Deutschen gehen viel öfter zum Arzt und ins Krankenhaus als die Verbraucher in den Nachbarländern. Also ich glaube, es geht nicht so sehr um Schuld, als darum, jetzt sich wirklich anzugucken, was sind die Dinge, die mehr und mehr kosten, wo kann man im Gesundheitswesen sparen, und wer kann da welchen Beitrag leisten. Diese notwendigen Aktivitäten unterbleiben meines Erachtens nach, weil man sich in so einem Grundsatzstreit verheddert hat, und da muss die Regierung raus.
Schwarz: Wer, wenn nicht die Versicherten, soll denn die Lasten tragen, Herr Billen?
Billen: Na ja, wir haben ja schon heute eine Situation, dass zum Beispiel Arbeitgeber einen hohen Anteil zahlen. Das sollte auch so bleiben. Wir haben eine Situation, dass privat Versicherte nicht den notwendigen Solidaranteil im Gesundheitswesen teilen. Wir haben auf der anderen Seite hohe Kosten. Wir haben sehr viele Apotheken, auch viel mehr als in anderen Ländern.
Also ich glaube, es geht um eine Mischung aus Sparen, Effizienzreserven im Gesundheitswesen zu nutzen und eben zu gucken, wie kann man die Kostenentwicklung im Griff behalten. Am Ende werden es die Versicherten tragen müssen.
Ich glaube, da kommt man auch nicht drum herum. Jetzt zu sagen, das soll dann alles aus dem Staatshaushalt finanziert werden, das ist ein Spiel linke Tasche, rechte Tasche. Das wird uns auf Dauer nicht helfen.
Schwarz: Der oberste Verbraucherschützer in Deutschland, Gerd Billen, war das zur Politik der schwarz-gelben Bundesregierung. Ich danke Ihnen, Herr Billen, für das Gespräch.
Billen: Okay! Gerne.