"Das ist fast eine religiöse Erfahrung"
Nach Ansicht des russischen Regisseurs Andrej Nekrassow ist sein Freund, Ex-Spion Alexander Litwinenko wegen seiner Bemühungen ermordet worden, üble Machenschaften des Kreml an den Pranger zu stellen. Nekrassow hatte Litwinenko beim Sterben begleitet.
Andrej Nekrasow: "Als er sah, wie ich erschrocken bin, hat er gesagt: 'Nur so wird man einem glauben, dass man die Wahrheit gesagt hat.’ Diese Worte, man muss mit dem Tod für die Wahrheit bezahlen, das ist größer als irgendwelche Lebenserfahrung für mich. Das ist fast eine religiöse Erfahrung. In was für einer Gesellschaft leben wir, dass man muss vergiftet werden, um Glaubwürdigkeit zu bekommen. Das ist sehr tragisch."
Ein ungleiches Freundespaar: Alexander Litwinenko und Andrej Nekrasov, der Exspion und der Künstler. Auf gemeinsamen Photos könnte man sie äußerlich allerdings fast für Brüder halten. Innerlich verbunden sind sie schon seit Jahren.
Andrej Nekrasow: "Oberflächlich haben wir sehr wenig Ähnliches. Er war im Militär fast sein ganzes Leben - ein Militär- und FSB-Mann. Er kämpfte im ersten tschetschenischen Krieg, war dann in einem Elite FSB, der neuen KGB-Einheit. Und ich habe natürlich ganz anders gelebt. Ich gehöre zur so genannten Intelligenzia, obwohl ich glaube, dass es heutzutage ein ganz fraglicher Begriff ist, weil von der alten Intelligenzia nicht viel übrig bleibt im Moment."
Normalerweise hätten sich ihre Lebenswege eigentlich nie kreuzen sollen. Andrej Nekrassov geht den typischen Weg eines sowjetischen Dissidenten: 1980, noch in der Breschnewzeit, emigriert er in den Westen. Der Hochbegabte studiert Film und Literatur in New York, Bristol und Paris. Er assistiert Tarkowskij bei seinem letzten Film "Das Opfer", arbeitet als Journalist und dreht elitäre Filme über Künstler und Musik.
Im Herbst 99, vor den Präsidentenwahlen, explodieren in Moskau und Rjasan mehrstöckige Wohnhäuser, viele Menschen kommen ums Leben. Der Kreml macht tschetschenische Terroristen für die Anschläge verantwortlich. Dies liefert ihm den Vorwand zum zweiten Tschetschenienkrieg und inthronisiert auf den Wogen einer neuen patriotischen Welle den bis dahin unbekannten Wladimir Putin als Kriegsherren und Nachfolger Jelzins. Andrej Nekrasov hat von Anfang an Zweifel an der vom Kreml gelegten tschetschenischen Spur.
Im Zuge seiner Recherchen für den Dokumentarfilm "Disbelief" trifft er auf Alexander Litwinenko. Der einstige FSB-Offizier weigert sich, im Auftrag des FSB Putins einstigen Verbündeten und späteren Rivalen, den Oligarchen Boris Beresowskij, zu ermorden. Er wird inhaftiert, einige Monate später emigriert er nach London. Dort schreibt er an einem Buch über die Wohnhausexplosionen, in dem er den Kreml der Attentate beschuldigt. Nekrassov macht Litwinenko zum Helden seines Theaterstücks "Königsberg", das er im Herbst 2002 an der Berliner Volksbühne inszeniert. Am Schluss stirbt der Held – als angeblicher Verräter um die Ecke gebracht von ehemaligen Geheimdienstkollegen.
Andrej Nekrasow: "Er wusste einfach sehr viel. Er wusste ganz konkret, wie der Sicherheitsapparat in Russland funktioniert, wie korrupt die Polizei ist, der FSB, seit dem Zerfall der UdSSR, wie diese Strukturen ihre Macht missbrauchen und wie unkontrolliert sie agieren können. Er hat in einer Weise seinen eigenen Tod vorausgesagt. Er sagt: Sie können alles machen, sie können die perfekteste Waffe in der Welt gegen ihre eigenen Bürger verwenden, im vollkommen Geheimen und ohne Risiko bestraft zu werden. Es ging mir in diesem Stück in Berlin um einen typischen russischen Charakter. Nicht besonders verfeinert, oder so einen neurotischen, Turgenjewschen oder Tschechowartigen Charakter. Sondern einen typischen russischen Mann - ein bisschen Macho, mit seinen Vorurteilen. So war er. Aber auch wahnsinnig großzügig. Ein typischer ‚strong man’. Silny muschtschina."
Der russische Staat muss wiederauferstehen, lauten die ideologischen Parolen des Putin Regimes. Russland soll erwachen zu neuer imperialen Größe. Diese großrussische Ideen bilden als nationales Unbewusste den Nährboden für faschistoide und xenophobe Gruppen. Doch hinter der vollmundigen nationalen Propaganda stehen zynische Interessen einer kleinen Machtclique. Mit seinem Wissen aus der Geheimküche des Kremls öffnet Litwinenko Nekrassov die Augen.
Nekrassow: "Er hat Tschetschenien gemacht, er war ein FSB Mann, das heißt, er war kein Engel. Er hat bestimmte Kompromisse gemacht, sicher, er hat das nie verneint. Aber es war ein Punkt, es war eine Linie, die er nicht überschreiten wollte. Und das, dieser moralische Imperativ, der nicht von irgendwelcher Bildung kommt, oder von Theorien, die dann sehr oft in der Praxis nicht verwendet werden, wie ich sehr oft sehe in diesen Elitenkreisen von Moskau. Dieser Mann mit allen seinen Vorurteilen und Kompromissen hat dann gesagt: ‚Nein, das mache ich nicht. Leute werde ich nicht umbringen. Ich kann einfach nicht. Ich kann meinen eigenen Bürger nicht umbringen. Krieg, ja okay, Feinde. Aber das nicht.’ Und dann er ist zu einer Pressekonferenz gegangen, dann kam es zu einer Kette von Ereignissen – dann musste er weg. Und das hat mich an ihm interessiert. Trotz der Propaganda, trotz einer bestimmten autoritären Prägung und Zügen unserer Kultur, unserer Traditionen, gibt es einen Punkt, wo man sagt: ‚nein’. Warum ist mir das wichtig? Weil das bedeutet, dass, wenn es solche Leute gibt, dass es nicht hoffnungslos ist mit dem russischen Volk. Die Leute sind nicht xenophobisch, die Leute sind nicht nationalistisch. Sie sind nicht antigeorgisch, antitschetschenisch, antiukrainisch, antialles. Wie man manchmal den Eindruck hat. Ich bestehe darauf – und das war auch seine Idee- das kommt nicht vom russischen Volk, sondern von dieser so genannten Elite."
Noch steht Nekrassov unter dem Schock des Todes seines Freundes, er ist wie im Fieber. Er schläft fast nicht, arbeitet weiter an seinem Psychatrie- Film und einem Roman. Vor seinem Tod hat Litwinenko seinen Freund Nekrassov gewarnt, nach Russland zurückzukehren. Doch der fühlt sich im Gegenteil verpflichtet, im Gedenken an den Freund die Aufklärung im Westen über Russland zu intensivieren.
Nekrasow: "Er war sogar von den Freunden ein bisschen nicht ernst genommen. Viele bedauern das jetzt. Nicht nur seine Feinde da in Russland haben ihn gehasst. Er war so von seinen Ideen besessen. Immer wieder hat er von der Ungerechtigkeit und den Lügen in Russland erzählt, das wurde vielen einfach zu viel. Selbst seine Freunde wollte er durch diesen schrecklichen Tod zwingen, ihn vollkommen ernst zu nehmen. Natürlich, jemand hat ihn vergiftet. Aber das Bewusstsein von seiner Mission – und das, was er mir gesagt hat: ‚Das ist der Preis der Wahrheit!’ - das macht es mehr als einen Zufall und ein Unglück. Das ist die Tragödie von einer ganz grossen Dimension."
Ein ungleiches Freundespaar: Alexander Litwinenko und Andrej Nekrasov, der Exspion und der Künstler. Auf gemeinsamen Photos könnte man sie äußerlich allerdings fast für Brüder halten. Innerlich verbunden sind sie schon seit Jahren.
Andrej Nekrasow: "Oberflächlich haben wir sehr wenig Ähnliches. Er war im Militär fast sein ganzes Leben - ein Militär- und FSB-Mann. Er kämpfte im ersten tschetschenischen Krieg, war dann in einem Elite FSB, der neuen KGB-Einheit. Und ich habe natürlich ganz anders gelebt. Ich gehöre zur so genannten Intelligenzia, obwohl ich glaube, dass es heutzutage ein ganz fraglicher Begriff ist, weil von der alten Intelligenzia nicht viel übrig bleibt im Moment."
Normalerweise hätten sich ihre Lebenswege eigentlich nie kreuzen sollen. Andrej Nekrassov geht den typischen Weg eines sowjetischen Dissidenten: 1980, noch in der Breschnewzeit, emigriert er in den Westen. Der Hochbegabte studiert Film und Literatur in New York, Bristol und Paris. Er assistiert Tarkowskij bei seinem letzten Film "Das Opfer", arbeitet als Journalist und dreht elitäre Filme über Künstler und Musik.
Im Herbst 99, vor den Präsidentenwahlen, explodieren in Moskau und Rjasan mehrstöckige Wohnhäuser, viele Menschen kommen ums Leben. Der Kreml macht tschetschenische Terroristen für die Anschläge verantwortlich. Dies liefert ihm den Vorwand zum zweiten Tschetschenienkrieg und inthronisiert auf den Wogen einer neuen patriotischen Welle den bis dahin unbekannten Wladimir Putin als Kriegsherren und Nachfolger Jelzins. Andrej Nekrasov hat von Anfang an Zweifel an der vom Kreml gelegten tschetschenischen Spur.
Im Zuge seiner Recherchen für den Dokumentarfilm "Disbelief" trifft er auf Alexander Litwinenko. Der einstige FSB-Offizier weigert sich, im Auftrag des FSB Putins einstigen Verbündeten und späteren Rivalen, den Oligarchen Boris Beresowskij, zu ermorden. Er wird inhaftiert, einige Monate später emigriert er nach London. Dort schreibt er an einem Buch über die Wohnhausexplosionen, in dem er den Kreml der Attentate beschuldigt. Nekrassov macht Litwinenko zum Helden seines Theaterstücks "Königsberg", das er im Herbst 2002 an der Berliner Volksbühne inszeniert. Am Schluss stirbt der Held – als angeblicher Verräter um die Ecke gebracht von ehemaligen Geheimdienstkollegen.
Andrej Nekrasow: "Er wusste einfach sehr viel. Er wusste ganz konkret, wie der Sicherheitsapparat in Russland funktioniert, wie korrupt die Polizei ist, der FSB, seit dem Zerfall der UdSSR, wie diese Strukturen ihre Macht missbrauchen und wie unkontrolliert sie agieren können. Er hat in einer Weise seinen eigenen Tod vorausgesagt. Er sagt: Sie können alles machen, sie können die perfekteste Waffe in der Welt gegen ihre eigenen Bürger verwenden, im vollkommen Geheimen und ohne Risiko bestraft zu werden. Es ging mir in diesem Stück in Berlin um einen typischen russischen Charakter. Nicht besonders verfeinert, oder so einen neurotischen, Turgenjewschen oder Tschechowartigen Charakter. Sondern einen typischen russischen Mann - ein bisschen Macho, mit seinen Vorurteilen. So war er. Aber auch wahnsinnig großzügig. Ein typischer ‚strong man’. Silny muschtschina."
Der russische Staat muss wiederauferstehen, lauten die ideologischen Parolen des Putin Regimes. Russland soll erwachen zu neuer imperialen Größe. Diese großrussische Ideen bilden als nationales Unbewusste den Nährboden für faschistoide und xenophobe Gruppen. Doch hinter der vollmundigen nationalen Propaganda stehen zynische Interessen einer kleinen Machtclique. Mit seinem Wissen aus der Geheimküche des Kremls öffnet Litwinenko Nekrassov die Augen.
Nekrassow: "Er hat Tschetschenien gemacht, er war ein FSB Mann, das heißt, er war kein Engel. Er hat bestimmte Kompromisse gemacht, sicher, er hat das nie verneint. Aber es war ein Punkt, es war eine Linie, die er nicht überschreiten wollte. Und das, dieser moralische Imperativ, der nicht von irgendwelcher Bildung kommt, oder von Theorien, die dann sehr oft in der Praxis nicht verwendet werden, wie ich sehr oft sehe in diesen Elitenkreisen von Moskau. Dieser Mann mit allen seinen Vorurteilen und Kompromissen hat dann gesagt: ‚Nein, das mache ich nicht. Leute werde ich nicht umbringen. Ich kann einfach nicht. Ich kann meinen eigenen Bürger nicht umbringen. Krieg, ja okay, Feinde. Aber das nicht.’ Und dann er ist zu einer Pressekonferenz gegangen, dann kam es zu einer Kette von Ereignissen – dann musste er weg. Und das hat mich an ihm interessiert. Trotz der Propaganda, trotz einer bestimmten autoritären Prägung und Zügen unserer Kultur, unserer Traditionen, gibt es einen Punkt, wo man sagt: ‚nein’. Warum ist mir das wichtig? Weil das bedeutet, dass, wenn es solche Leute gibt, dass es nicht hoffnungslos ist mit dem russischen Volk. Die Leute sind nicht xenophobisch, die Leute sind nicht nationalistisch. Sie sind nicht antigeorgisch, antitschetschenisch, antiukrainisch, antialles. Wie man manchmal den Eindruck hat. Ich bestehe darauf – und das war auch seine Idee- das kommt nicht vom russischen Volk, sondern von dieser so genannten Elite."
Noch steht Nekrassov unter dem Schock des Todes seines Freundes, er ist wie im Fieber. Er schläft fast nicht, arbeitet weiter an seinem Psychatrie- Film und einem Roman. Vor seinem Tod hat Litwinenko seinen Freund Nekrassov gewarnt, nach Russland zurückzukehren. Doch der fühlt sich im Gegenteil verpflichtet, im Gedenken an den Freund die Aufklärung im Westen über Russland zu intensivieren.
Nekrasow: "Er war sogar von den Freunden ein bisschen nicht ernst genommen. Viele bedauern das jetzt. Nicht nur seine Feinde da in Russland haben ihn gehasst. Er war so von seinen Ideen besessen. Immer wieder hat er von der Ungerechtigkeit und den Lügen in Russland erzählt, das wurde vielen einfach zu viel. Selbst seine Freunde wollte er durch diesen schrecklichen Tod zwingen, ihn vollkommen ernst zu nehmen. Natürlich, jemand hat ihn vergiftet. Aber das Bewusstsein von seiner Mission – und das, was er mir gesagt hat: ‚Das ist der Preis der Wahrheit!’ - das macht es mehr als einen Zufall und ein Unglück. Das ist die Tragödie von einer ganz grossen Dimension."