"Das ist einfach schon ein Clown"

Moderation: Susanne Führer · 15.10.2010
Anlässlich der Berliner Austellung "Hitler und die Deutschen" kritisiert der Historiker Wolfgang Wippermann die Angst vor Hitler, welche die Schau in ihrer Konzeption zeige. Außerdem bemängelt er fehlende Bezüge zur Gegenwart und eine Tendenz zur Kommerzialisierung der Figur.
Susanne Führer: Filme und Bücher über Adolf Hitler gibt es mittlerweile zuhauf. Eine Ausstellung aber, die den Diktator ins Zentrum rückt, die gibt es erst jetzt. "Hitler und die Deutschen" heißt sie und ist ab heute für das Publikum im Deutschen Historischen Museum in Berlin geöffnet. Privilegierte und andere Fachbesucher durften gestern schon rein, und zu ihnen gehört der Historiker Wolfgang Wippermann, Professor für Neuere Geschichte an der FU Berlin. Guten Morgen, Herr Wippermann!

Wolfgang Wippermann: Guten Morgen!

Führer: Was sagen Sie zu der Ausstellung?

Wippermann: Also sie ist fachlich sehr gut gemacht, auf dem neuesten Stand eben der Ausstellungstechnik. Aber ich würde eigentlich inhaltlich sagen: Déjà-vu, alles schon gesehen. Hitler steht auch noch nicht mal im Mittelpunkt, sondern es ist eigentlich mehr ein Geschichtsbuch Klasse zehn beziehungsweise ein Kursheft Nationalsozialismus. Es ist gar nicht Hitler, sondern es ist der Nationalsozialismus insgesamt.

Führer: Wir hatten gestern im Programm einen der Kuratoren der Ausstellung, Hans-Ulrich Thamer. Und der hat gesagt: Hitler alleine zeigen geht gar nicht, denn er ist ja nur das geworden, was er war, weil es eben eine breite Mitwirkung aus Teilen der Gesellschaft gab. Deswegen heißt die Ausstellung ja "Hitler und die Deutschen".

Wippermann: Ja, das ist ja natürlich selbstverständlich. Hitler hat es nicht alles allein gemacht. Und der schöne Satz "Ich war es nicht, es war Adolf Hitler", der Titel eines Theaterstückes, ist natürlich richtig. Er ist hier ein Sowohl-als-auch, es war Hitler und die Deutschen, ja, wer denn sonst? Hitler allein kann es ja nun nicht gemacht haben.

Führer: Na ja, ich meine, mir tun dann die Ausstellungsmacher auch ein bisschen leid, weil die einen sagen, seid ihr denn verrückt, man muss aufpassen, dass Hitler nicht verklärt wird, dass er nicht verharmlost wird, dass sich nicht vor den Vitrinen irgendwelche Neonazis fotografieren lassen mit Hitler-Devotionalien, also die Vorsichtigen. Und Sie, Herr Wippermann, kommen von der anderen Seite und sagen, die haben sich jetzt nicht mal getraut, Hitler alleine darzustellen, sondern müssen auch immer gleich wieder irgendwie alles rundum zeigen. Aber das ist doch historisch korrekt, was ist denn dagegen einzuwenden?

Wippermann: Das ist historisch korrekt, aber es ist eine Angst geradezu vor Hitler, und es muss alles gebrochen werden. Wenn da also ein Propagandabild ist, dann muss wieder ein Bild aus dem KZ sein, und das wird gegeneinander geschnitten. Also das ist eine Angst, die ich nicht verstehe. Also vielleicht vor 50 Jahren, als der Schulunterricht bei Bismarck aufhörte, war es vielleicht berechtigt. Aber wir haben jetzt so viel Hitler gesehen und so viel Propaganda gesehen, dass diese ständigen Brechungen manchmal sehr merkwürdig sind.

Und die Angst davor, wenn da jemand kommt und fällt vor diesen Devotionalien auf die Knie, dann soll er doch. Das ist doch nicht der Heilige Rock von Trier, die Uniform, die man sieht, die sieht man überall. Also ich verstehe ehrlich gesagt diese Angst nicht. Und wenn das passiert, dann kann man sagen: Ja, sollen sie das doch machen. Und wenn da jemand kommt – die schöne Wachsfigur gibt es zwar nicht – und haut einer Wachsfigur den Kopf ab, dann soll er das halt tun – wenn es ihm Spaß macht und wenn er dafür entsprechend bezahlt. Also vor Hitler brauchen wir keine Angst mehr zu haben.

Führer: Da wird mir jetzt doch ehrlich gesagt ein bisschen anders, wenn Sie das jetzt so pauschal sagen. Also ich denke zum Beispiel an die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die gerade vor zwei Tagen rausgekommen ist, wonach sich jeder Zehnte wieder einen Führer wünscht, und viele Deutsche von einer, ich glaube fast ein Viertel, davon träumen, es soll wieder eine große einige Partei geben, die alle Belange regelt. Und dann sagen Sie, och Gott, dann sollen die doch Hitler verehren?

Wippermann: Ja, aber Hitler ist nun tot, und einen neuen Hitler gibt es nicht. Und hier setzt also die Kritik an und auch das Lob. Also hier ist in der achten Abteilung die Nachwirkung Hitler und kein Ende. Und hier hätte man wirklich mit dieser Nachwirkung Hitlers aufräumen sollen.

Ein Beispiel nur und sehr interessant: Es wird auf einer Tafel gezeigt - etwa 50 "Spiegel"-Titel mit Hitler. Da hätte man doch nachfragen können: Ja warum, warum machen die das? Warum waren diese Hitler-Wellen mit Joachim C. Fest und so weiter dort? Warum war diese Wirkung? Warum diese Kommerzialisierung? Warum hat Guido Knopp so einen großen Erfolg mit Hitler und die Hunde und die Frauen und weiß ich was und so weiter dazu?

Und diese, ich sage immer wieder "Knoppisierung" von Hitler, die hätte man aufbrechen können und auch müssen. Und dann vermisse ich wirklich eben den Bezug zur Gegenwart – das lieben ja auch die Lehrer, ich auch sozusagen dazu. Also Hitler ist tot, aber ich hätte mir dann Bilder von der Gegenwart erwartet und gewünscht. Und provozierend zum Beispiel die Bilder gestern von Ahmadinedschad und der Hisbolla im Libanon. Das ist die Gefahr von heute – Hitler ist tot, der Faschismus, der Antisemitismus und der Rassismus nicht, die leben. Und den muss man bekämpfen, und den kann man wohl nicht mit Hitler-Ausstellungen bekämpfen.

Führer: Wolfgang Wippermann, der Professor für Neuere Geschichte an der FU Berlin, ist zu Gast im "Radiofeuilleton". Wir sprechen über die Ausstellung "Hitler und die Deutschen", die ab heute im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen ist. Herr Wippermann, ich würde gern trotzdem noch mal einen Schritt zurückgehen in die Ausstellung. Sie waren jetzt schon am Ende, die Nachwirkungen Hitlers, wie wirkt denn das eigentlich, wenn man – also ich habe auch so einige, im Gegensatz zu Ihnen konnte ich noch nicht die Ausstellung sehen, aber einige Bilder gesehen –, wie wirkt denn das, wenn man heute diese Devotionalien sieht, also diesen Lampion mit dem Hakenkreuz, diese gestickten Teppiche, diese Spielkarten mit Hitler-Konterfeis. Hat das heute, hat das noch was Attraktives oder hat das nur was Kurioses?

Wippermann: Also für mich ist es geradezu lächerlich und sie haben auch wirklich Hitler-Kitsch und Nazi-Kitsch gezeigt, der von den Nazis selber als Kitsch bezeichnet worden ist und verboten worden ist. Und dieser Glaube auch des Deutschen Historischen Museums, dass alle möglichen Gegenstände – Sie haben einige aufgezählt, also Kartenspiel mit Hitler –, dass das irgendwelche, eine Anziehung hat, also als ob es wie gesagt ein Heiliger Rock ist oder so etwas, das bezweifle ich halt.

Es war für mich teilweise wirklich richtig langweilig – hab ich schon gesehen im Original oder auch nicht, was die alles zusammengebracht haben –, und wie gesagt, mehr lächerlich, kann man sagen: Um Gottes Willen, das haben die gut gefunden? Na, die müssen ja ein bisschen verrückt gewesen sein. Das wäre nach meiner Ansicht das richtige Ergebnis.

Führer: Na, dass Sie das schon gesehen haben, dürfte kein Kriterium sein. Denn Sie sind ja nun Professor für Geschichte, Herr Wippermann. Sie haben jetzt gesagt, wir müssen keine Angst mehr vor Hitler haben, der ist nun tot und "knoppisiert". Aber kann man sich das so leicht machen, schließlich, also gerade rund um Tote ranken sich ja Mythen und Legenden, die eine große Wirkungsmacht entfalten können?

Wippermann: Ja, zweifellos, aber noch einmal – nicht, dass ich jetzt sage, gut, also ich bin vielleicht nicht der richtige Besucher sozusagen. Ich bin vorbelastet, weil ich mich da nun mehrmals mit beschäftigt habe. Aber noch einmal: Sicherlich auch für alle Besucher: Die haben alle jetzt, die Generation, das mehrmals - Hitler und den Nationalsozialismus - im Schulunterricht gehabt. Und ich glaube, dass sie auch nicht viel Neues dort entdecken werden.

Also diese große Aufklärung dazu ist wohl nicht möglich, zumal eben dann auch bei den Kontroversen, und die sind ja interessant bei Hitler, immer ein Sowohl-als-auch: Es war der Führerstaat, aber es war auch eine sogenannte Kompetenz-Anarchie. Es war modern, aber es gab auch Terror. Es war Machtergreifung, aber es war auch das Bündnis zwischen der nationalsozialistischen Partei und den Konservativen. Es war der schöne Schein der Propaganda, aber es war auch die Verfolgung. Und es war Verfolgung und natürlich Widerstand, der auch auftaucht und so weiter dazu.

Denn auch der Krieg war auch ein Rassenkrieg, das ist auch umstritten. Leider werden – und das hätte ich mir allerdings gewünscht beim Rassenkrieg und bei der Vernichtung – die Vernichtung der Roma und der Porajmos, was im Romanes das Verschlungene heißt, der Völkermord an den Roma. Das ist noch umstritten und das ist wenig bekannt, hat auch eine Verbindung mit der jetzigen Hatz auf Roma, dem Antiziganismus, das hätte man stärker darstellen müssen nach meiner Ansicht sogar.

Führer: Sie haben gesagt, im Grunde genommen wüssten wir alle genug über Hitler und den Nationalsozialismus. Das kann man ja dann doch immer wieder bezweifeln. Es gibt dann ja immer wieder Befragungen von Schülern, wo dann doch erschreckende Ergebnisse herauskommen. Und um noch mal diese Umfrage jetzt zu zitieren, die vorgestern herausgekommen ist: Da bin ich mir nicht so sicher, ob daraus dann wirklich die richtigen Lehren gezogen worden sind.

Wippermann: Ja, also auf diese Umfragen, was Schüler wissen – die wissen eigentlich in der Regel nichts, wenn sie befragt werden –, bin ich sehr skeptisch. Es kann einfach gar nicht sein, dass man darüber nichts weiß. Bedenken Sie bitte, die heutigen Generationen haben das schon in der Kita gehabt. Die haben das in der Grundschule gehabt. Sie haben es dann zweimal noch gehabt in Sekundarstufe eins und zwei.

Einige sagen – und mit Recht –, das ist zu viel. Man kann das Gute auch zum Schlechten machen, wenn man es zu häufig macht. Und das hat man auch gemacht. Und hinzu kommt eben auch, dass man immer wieder nur auf die Vergangenheit geblickt hat und meint, mit dem Blick auf die Vergangenheit und die bewältigte Vergangenheit die Gegenwart zu bewältigen. Das ist der Fehler.

Und wenn eine Umfrage heute sagt, wir wollen einen Führer haben, dann ist das nicht unbedingt Hitler, der damit gemeint ist. Denn das weiß jeder, den gibt es nicht mehr. Und der ist auch lächerlich sozusagen dazu, das ist einfach schon ein Clown. Dann wollen sie einen anderen Herren haben, und da wird mir Angst. Natürlich ist diese autoritäre Sehnsucht der Deutschen, und nicht nur der Deutschen, noch da. Daher, der Faschismus von heute ist das Problem und nicht der Faschismus der Vergangenheit.

Führer: Sie haben von einer "Knoppisierung" Hitlers gesprochen, also in Anspielung auf Guido Knopp, den berühmten ZDF-Historiker, der zahllose Filme über den Nationalsozialismus gemacht hat. Man kann auch von einer Trivialisierung sprechen oder Ironisierung. Es gibt verschiedenste Filme - Helge Schneider "Mein Führer", Dani Levy, wo Sie der historische Berater waren, habe ich vorhin erfahren, Herr Wippermann, "Der Untergang", also ein ernsthafterer Film. Ist das eigentlich hilfreich für unsere Auseinandersetzung mit dem Phänomen und auch – Sie haben gerade versucht, den Bogen zu schlagen in die Gegenwart – Lehren für die Gegenwart zu ziehen oder ist das eher verharmlosend oder störend?

Wippermann: Nein, es war notwendig, diesen Hitler-Mythos auch zu zerstören. Eigentlich hatte das schon Charlie Chaplin gemacht. Der beste Film über Hitler ist Charlie Chaplin "Der große Diktator", mein Lieblingsfilm. Und da ist eigentlich alles schon fast oder fast alles geleistet. Und jetzt sind noch weitere gekommen, die das auch richtig ins Lächerliche gezogen haben. Wir sollen da keine Angst mehr davor haben. Und das ist aber jetzt nach meiner Ansicht nicht mehr nötig.

Also noch einmal "Knoppisierung" – man soll Namen nicht benutzen, aber ich liebe das - das heißt, es ist diese Kommerzialisierung: "Hitler sells". Und das soll er jetzt wahrscheinlich auch wiederum. Und da wird es natürlich – und da gebe ich Ihnen recht – natürlich auch etwas problematisch, worauf Saul Friedländer schon vor 30 Jahren hingewiesen hat: Kitsch und Tod.

Also wenn man Hitler verkitscht, ist natürlich auch die Gefahr damit verbunden, dass der Tod, dass der Massenmord damit eben auch als nicht so wichtig dargestellt wird. Das heißt also noch einmal: Bei jeder Auseinandersetzung mit Hitler und dem Nationalsozialismus muss der Tod, der Massenmord, müssen die Opfer im Mittelpunkt stehen. Und da wäre nach meiner Ansicht eine Ausstellung besser über die Opfer Hitlers. Und da sind einige nicht geehrt, nicht anerkannt, zum Beispiel auch die Roma.

Führer: Der Historiker Wolfgang Wippermann über die Ausstellung "Hitler und die Deutschen", die ab heute in Berlin zu sehen ist. Ich danke Ihnen für Ihren Besuch im Studio, Herr Wippermann!