"Das ist ein Riesenfortschritt"

Moderation: Marie Sagenschneider · 25.01.2008
Die Verbraucherschutzorganisation foodwatch hält die geplante Kennzeichnung gentechnikfreier Lebensmittel für einen wichtigen Schritt. Foodwatch-Leiter Thilo Bode sagte, damit bekämen die Verbraucher die Möglichkeit, sich für oder gegen die Gentechnik zu entscheiden. Allerdings werde die Kennzeichnung nur dann glaubwürdig, wenn die Regierung ein eigenes Siegel herausgebe.
Marie Sagenschneider: Was ist so alles drin im Futtertrug, und damit eben auch im Fleisch, im Käse oder in der Milch? Wer diese Produkte nicht im Bioladen kauft, der weiß es in der Regel nicht. Steckt im Futter zum Beispiel Gentechnik? Künftig soll die Antwort per Etikett auf den Produkten ablesbar sein. "Ohne Gentechnik" heißt es dann und soll Orientierungshilfe bieten, so wird es der Bundestag heute beschließen. Aber ist tatsächlich auch keine Gentechnik drin, wenn "Ohne Gentechnik" draufsteht? Nun ja, weitgehend, aber nicht zwangsläufig zu 100 Prozent. Denn wenn Zusatzstoffe oder Tierarzneimittel nur aus Genprodukten zu erhalten sind, dann dürfen sie weiter verwendet werden. Wie glaubwürdig ist ein solches Label? Thilo Bode ist Gründer der Verbraucherschutzorganisation foodwatch und nun am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen, Herr Bode.

Thilo Bode: Guten Morgen.

Sagenschneider: Was halten Sie von dem Label "Ohne Gentechnik"? Ist das ein Fortschritt oder nicht?

Bode: Das ist ein großer Fortschritt, weil 80 Prozent aller gentechnisch veränderten Pflanzen sind ja Futtermittelpflanzen und gehen in den Futtermitteltrug. Und wie Sie gesagt haben, mussten bisher Fleisch, Milch und Eier nicht entsprechend gekennzeichnet werden. Jetzt gibt es die Möglichkeit, Fleisch von Tieren, die ohne Gentechnikfutter gefüttert worden sind, mit dem Label "gentechnikfrei" zu kennzeichnen. Das ist ein Riesenfortschritt, weil die Verbraucher sich jetzt beim Kauf gegen Gentechnik entscheiden können.

Sagenschneider: Aber sie können gekennzeichnet werden, sie müssen nicht. Ist das ein Nachteil?

Bode: Das kann ein Nachteil sein. Die Sache wird nur glaubwürdig, wenn die Regierung jetzt auch ein entsprechendes Label, ein Siegel macht – "Ohne Gentechnik" – und dieses Label genauso wie das Bio-Siegel staatlich garantiert und staatlich kontrolliert. Das ist extrem wichtig, dass das wirklich progressiv angegangen wird, nur dann wird sich das auch durchsetzen.

Sagenschneider: Was ist mit den Ausnahmen, die das Gesetz ja vorsieht, dass das Futter eben doch zu einem wenn auch geringen Anteil verunreinigt sein darf durch Zusatzstoffe oder Arzneimittel aus Gen-Produktion. Sind das Ausnahmen, die Sie für vertretbar halten, oder müsste hier eigentlich die reine Lehre gelten?

Bode: Nein, absolut vertretbar. Das wird auch oft falsch dargestellt. Es geht nur darum, dass, zum Beispiel bei Vitaminen, die Vitamine im Labor mit gentechnisch veränderten Bakterien hergestellt werden. Und es gibt praktisch fast keine Vitamine mehr heute, wo das nicht der Fall ist. Die Vitamine selber sind überhaupt nicht gentechnisch verändert. Die sind unverändert. Das heißt, die dürfen dann ins Futtermittel rein. Das ist natürlich vertretbar, weil den Bürgern geht es ja bei der Gentechnologie um die Gentechnologie auf dem Acker. Es geht nicht um Gentechnologie im Labor. Dann müssten die Leute auch gegen Insulin sein, das wird heute auch mit gentechnologischen Verfahren hergestellt.

Sagenschneider: Aber das ist ja genau das Interessante. Wenn es um Arzneimittel geht, da diskutiert kaum noch jemand darüber, ob Gentechnik in Ordnung ist oder nicht, bei Lebensmitteln schon. Warum sind wir da skeptischer?

Bode: Nein, es geht um die Verfahren im Labor, und die Sachen werden oft durcheinander geschmissen. Hier, bei der Gentechnologie in der Landwirtschaft, geht es darum, dass die gentechnisch veränderten Pflanzen sich nicht ausbreiten, andere Pflanzen kontaminieren, dass die Sortenvielfalt nicht reduziert wird. All diese Argumente geben Anlass zur Kritik an der Gentechnologie. Und wenn heute Verbraucher sich gegen Gentechnologie entscheiden wollen, dann müssen sie die Möglichkeit haben. Und das neue Siegel gibt ihnen diese Möglichkeit. Deswegen muss man das wirklich begrüßen und nicht päpstlicher als der Papst sein.

Sagenschneider: Dieses neue Gentechnikgesetz, das heute beschlossen werden soll, könnte das auch weitreichenden Einfluss haben zum Beispiel auf den Sojaanbau in Übersee?

Bode: Ja, das glaube ich schon. Ich meine, Deutschland ist ein großes Land in der EU. Wenn hier das Siegel wirklich gepuscht wird von der Regierung, dann werden sehr wahrscheinlich andere Länder in der EU nachziehen. Das wird den globalen Futtermittelmarkt sicherlich beeinflussen. Der Markt für gentechnikfreie Soja wird wachsen, und das hätte erhebliche Auswirkungen. Das muss man wirklich sagen. Das ist schon heute ein ganz wichtiger politischer Moment.

Sagenschneider: Ein wichtiger politischer Moment, der tatsächlich dann von Europa ausginge?

Bode: Der von Europa ausgeht, und der vor allen Dingen auch den Verbrauchern Wahlfreiheit gibt. Ich meine, das ist ja auch das Credo der Regierung gewesen, dass man diese umstrittene Technologie nicht irgendwie entscheidet in den Ministerien, sondern dass die Verbraucher die Möglichkeit haben, sich dafür oder dagegen zu entscheiden, und damit wir nicht so lange warten, bis die letzten wissenschaftlichen Klärungen herbeigeführt werden. Und mit dieser Kennzeichnung – wie gesagt, wenn der Staat ein Siegel macht und dieses Siegel auch kontrolliert und garantiert, gibt es eben die Möglichkeit für den Bürger, sich gegen die Technologien zu entscheiden. Und das, finden wir, ist eine gute Sache.

Sagenschneider: Heißt das im Umkehrschluss dann auch, dass ein Markt für Futtermittel ohne Gentechnik inzwischen sehr reduziert ist?

Bode: Ja, der ist sehr reduziert. Und das hat natürlich dann auch Probleme, weil dann die Mengen kleiner sind und die Kontrollen relativ teurer werden. Diese gentechnikfreien Futtermittel sind im Vergleich zu den gentechnisch veränderten Futtermitteln immer teurer. Und dieser Prozess kann jetzt aufgehalten werden durch eine Ausweitung des Marktes für gentechnikfreie Futtermittel. Die werden dann wieder billiger, und dann haben wir wieder Chancengleichheit. Die gibt es bisher nicht mehr.