"Das ist ein Pokerspiel"

09.12.2011
Thomas Hirsch ist als Klima-Experte der kirchlichen Hilfsorganisation "Brot für die Welt" in Durban. Er lobt die Zusammenarbeit der armen Länder mit der Europäischen Union im Kampf für ein Klimaabkommen.
Britta Bürger: Im südafrikanischen Durban steigt die Temperatur. Unter Hochdruck ringen die Delegierten aus knapp 200 Ländern noch bis heute Nacht um nicht mehr und nicht weniger als die Rettung des Klimas. Zum Abschluss des Weltklimagipfels interessiert uns heute Nachmittag, was die Verhandlungen in Durban für die ärmsten Länder der Welt bedeuten, für Ostafrika etwa, Bangladesch und die Fidschi-Inseln. Thomas Hirsch ist als Klimaexperte der kirchlichen Hilfsorganisation Brot für die Welt in Durban, wo wir ihn vor der Sendung am Telefon erreicht haben. Schönen guten Tag, Herr Hirsch!

Thomas Hirsch: Grüße Sie, Grüße aus Südafrika nach Berlin!

Bürger: Sie beobachten die Konferenz also als Mitglied einer Nicht-Regierungsorganisation, sind aber zugleich auch in Ihrer Funktion als Berater der Fidschi-Inseln anwesend, was Sie dazu berechtigt, dann auch im Saal zu bleiben, wenn andere Beobachter die Verhandlungen verlassen müssen. Bleiben wir also gleich bei diesem konkreten Beispiel der Fidschi-Inseln. Inwiefern ist diese Inselgruppe im südwestlichen Pazifik bereits vom Klimawandel betroffen?

Hirsch: Ja, wir haben ja in dieser Region sehr viele, sehr niedrig liegende Inseln, Inseln, die ein, zwei Meter aus dem Meer herausragend auf Korallenriffen fußen. Und durch den Meeresspiegelanstieg, der in keiner Weltregion so stark ausfällt wie in dieser – wir haben da teilweise bis zu zwei Zentimeter pro Jahr –, versalzt das Grundwasser, mussten viele Atolle inzwischen geräumt werden. Darüberhinaus ist diese Region abhängig vom Regen als Wasserbringer, und es gibt in der südlichen Zirkulation das El-Nino/La-Nina-Phänomen, das kann Trockenheit bringen oder Regen, und das ist durch den Klimawandel sehr viel stärker ausgeprägt. Sie haben im Augenblick seit Anfang September in drei südpazifischen Staaten den Wassernotstand, den nationalen Notstand, dort muss das Wasser rationiert werden. Grundwasser gibt es auf den kleinen Inseln nicht mehr, Regenwasser bleibt aus, also Sie sehen, diese Region gehört sicherlich zu den Hot Spots des Klimawandels.

Bürger: Brot für die Welt engagiert sich ja vor allem in armen Krisenregionen, die ja, was den Klimawandel angeht, mit ganz unterschiedlichen Auswirkungen zu kämpfen haben. Ein Beispiel haben wir jetzt gehört: Am Horn von Afrika kämpft man mit der Dürre, mit Überschwemmungen in Bangladesch. Wie treten diese armen Länder in Durban auf? Wie viel Raum bekommen die überhaupt in diesen Verhandlungen?

Hirsch: Die armen Länder sind spätestens seit gestern zu den eigentlichen Helden dieser Verhandlungen geworden. Die armen Länder waren in den Verhandlungen über viele Jahre hinweg relativ marginalisiert, sie haben wenig Personal, was in der Lage ist, mit hochqualifizierten Verhandlern aus den USA beispielsweise mitzuhalten. Sie haben sich da immer sehr zurückgehalten, sie sind anfällig gegen politischen Druck, und diesen Druck sieht man hier in sehr krasser Weise stattfinden. Ich habe selbst einen Brief gesehen, den ein afrikanisches Land seitens der US-Delegation hier bekommen hat und der um wohlfeiles Verhalten verlangt hat. Und dennoch sind diese Länder – die ärmsten Länder – zusammen mit den Inselstaaten gestern eine Allianz eingegangen mit den Europäern, die hier wirklich auch sehr gut kämpfen für Ergebnisse, und haben sich offen dazu bekannt, wir wollen hier ambitionierte Ergebnisse sehen. Für uns geht es um alles oder nichts. Wir haben keine Zeit mehr, die Verhandlungen um weitere Jahre zu verzögern. Jetzt muss hier ein Durchbruch kommen, oder wir müssen in Frage stellen, ob dieser multilaterale Prozess, und wenn ja, welchen Sinn er dann noch macht. Das ist außerordentlich mutig gewesen.

Bürger: Deutschland hat das ja bislang davon abhängig gemacht, dass auch Staaten wie China konkrete Zusagen machen. Inwiefern hängt jetzt also die Zukunft von Regionen wie den Fidschi-Inseln tatsächlich davon ab, ob sich China auf diesem Klimagipfel noch weiterbewegt?

Hirsch: China wird hier sicherlich der entscheidende Faktor sein. Die Deutschen zusammen mit den kleinen Inselstaaten sagen, wir brauchen ein Paket. Die Umsetzung dessen, was in den Vorjahren beschlossen wurde, indem man nämlich die armen Länder finanziell und technisch wesentlich besser unterstützt bei der Anpassung an den Klimawandel, und hier sehen wir Fortschritt. Das ist eigentlich abschlussreif, dieser Teil des Paketes. Der zweite Teil des Paketes ist die Fortsetzung des Kyoto-Protokolls beziehungsweise die neue Verpflichtungsperiode. Das Kyoto-Protokoll, was für die EU-Emissionsminderungsziele rechtlich verbindlich, international verbindlich festlegt, läuft 2012 aus. Jetzt geht es darum, wird es erneuert, und wenn ja, mit welchen Klimaschutzzielen?

Da sagen die Europäer: Wir machen das gerne, aber wir machen es abhängig davon, dass die vielen, vielen Staaten, die zu den großen Verschmutzern gehören, und die nicht an Bord des Kyoto-Protokolls sind oder austreten wollen – wie Kanada, wie Japan, wie Australien, wie die neuen Schwellenländer China, Indien, Brasilien, Südafrika und last but not least die USA –, wenn ihr euch nicht bewegt, wenn ihr nicht auch einen fairen Beitrag leistet, dann werden wir auch das Kyoto-Protokoll nicht verlängern. Diese harte Position erscheint uns aber richtig, denn Kyoto alleine wird das Weltklima nicht retten, die Emissionen oder der Anteil an den weltweiten Emissionen, der jetzt noch auf die Kyoto-Länder entfällt, sind gerade mal 15 Prozent.

Bürger: Zum Abschluss des Klimagipfels in Durban sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Klimaexperten Thomas Hirsch von der Organisation Brot für die Welt. Sie haben das ja jetzt einigermaßen positiv dargestellt, was sich seit gestern entwickelt auf dem Klimagipfel. Aber gibt es denn wirklich eine gemeinsame Strategie der armen Länder oder kämpft dann unterm Strich doch auch jeder für sich allein?

Hirsch: Bislang gibt es diese gemeinsame Strategie, und ich glaube auch nicht, dass die dann doch auseinanderfallen. Es sei denn, Europa beginnt zu wackeln und macht zu viele Zugeständnisse an die Schwellenländer, dann glaube ich, ist die Allianz stark gefährdet, und das wird sicherlich noch die ganze nächste Nacht dauern.

Bürger: Aber wovon hängt das ab, wenn man jetzt noch nicht sagen kann, wie so ein Gipfel ausgeht? Mit welchen Bandagen wird da heute gekämpft? Geben Sie uns mal einen bisschen konkreteren Einblick noch in die Art, wie dort verhandelt wird.

Hirsch: Das ist ein Pokerspiel, dort wird taktiert und gepokert, es werden immer wieder unrealistische Forderungen gestellt, man kündigt an, dass man sonst nicht mehr weiterverhandelt, und der UN-Prozess ist ja ein Prozess, wo am Ende des Tages ein einstimmiges Ergebnis stehen muss. Und sie können sich vorstellen, angesichts der großen Gegensätze, die ich geschildert habe, dass es sehr schwierig werden wird, hier ein einstimmiges Ergebnis zu erzielen, was dann auch ambitioniert genug ist, um den Klimawandel zu adressieren.

Bürger: Sollte der Gipfel scheitern, was bedeutet das dann für Regionen wie die Fidschi-Inseln?

Hirsch: Das wäre für Regionen wie die Fidschi-Inseln auf der Wahrnehmungsebene ein Schlag ins Gesicht, denn im Klartext würde das bedeuten, das Rule of Law, also gleiche Regeln und Rechte für alle, ersetzt werden würde im Bereich Klimapolitik durch das Recht des Stärkeren. Das würde bedeuten, dass viele dieser Länder, die ja ohnehin zumeist schon zu den ärmsten Ländern gehören, noch sehr viel größere Schwierigkeiten haben, Armut zu überwinden. Es würde für unsere Arbeit bedeuten, dass viele unserer Projekte über Sicht der nächsten zehn, 20 Jahre in dem, was sie erreicht und geschaffen haben, massiv unter Druck geraten. Das kann man so nicht stehen lassen. Das bedeutet, es müssen auch dann, wenn dieser Fall eintritt, Alternativen gesucht und gefunden werden.

Bürger: Wenn der Gipfel scheitert, fragt man sich natürlich auch einmal mehr, was es bringt, wenn 8000 Menschen kreuz und quer durch die Welt jetten, um nach zwei Wochen einmal mehr nichts Wesentliches erreicht zu haben. Sie sagen, man müsste dann nach anderen Wegen gucken. Was meinen Sie damit?

Hirsch: Nun, ich glaube, man muss dann eine Strategie, eine Klimadiplomatie, eine Klimapolitik bestreiten, die auf drei Pfeilern ruht. Nummer eins: Wie machen wir weiter mit diesem Prozess hier, wenn es bei Lippenbekenntnissen bleibt? Dann sollte diese Konferenz nicht beendet werden. (…) Das heißt, die Uhren werden angehalten, und die Verhandlungen gehen im nächsten Jahr weiter. Denn sonst würden diejenigen, die genau keine Ergebnisse wollten, hier rausgehen und hätten gewonnen. Zweitens: Der UN-Prozess bewegt sich im Tempo des Langsamsten, der Einstimmigkeit wegen. Wir brauchen aber ein Tempo, was durch die Schnellen vorgegeben wird. Das heißt, es müssen neue Bündnisse von Ländern gefunden werden, und zum Teil sind die hier im Entstehen, die sagen, wir machen außerhalb dessen, was uns das Völkerrecht vorgibt, mehr und gemeinsam. Drittens: Man müsste die willigen Länder darin unterstützen, in bilateralen Partnerschaften – zum Beispiel mit Deutschland mit den Fidschi-Inseln, oder in anderen Kombinationen –, Klimaschutz und Klimaanpassung in diesen Ländern fördern und unterstützen, sodass eine neue Dynamik von unten entsteht und wir nicht immer und immer wieder darauf warten müssen, dass die Unwilligsten uns vorschreiben, wie schnell wir vorankommen.

Bürger: Der Klimaexperte Thomas Hirsch ist für die Organisation Brot für die Welt als Beobachter beim Weltklimagipfel in Durban. Darüber hinaus sitzt er als Berater der Fidschi-Inseln direkt in den Verhandlungen. Herzlichen Dank fürs Gespräch, Herr Hirsch!

Hirsch: Herzlichen Dank an Sie!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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