"Das ist ein Inseldasein hier"

Michael Neff im Gespräch mit Ulrike Timm |
Michael Neff hält die "Art Basel" auch für einen Spiegel der Zeit. So würden diesmal auch Finanzthemen aufgegriffen, "aber auf eine sehr ironische und zynische Weise", sagt der Kunsthändler über die wichtigste Messe für Gegenwartskunst.
Ulrike Timm: Die internationale Kunstwelt hat bis zum Wochenende ein Zentrum. Auf der "Art Basel" trifft sich nämlich alles, was Rang und Namen hat oder sich beides zu erobern hofft. Denn die "Art Basel" gilt als die größte, schönste und wichtigste Messe für Gegenwartskunst. 300 Galerien, 2500 Künstler und erwartete 60.000 Besucher, und unseren Gesprächspartner über Kunst und Geschäfte, den Kunsthändler Michael Neff, den habe ich mitten im Gewusel kurz vor Start per Handy erreicht und ihn gefragt, ob es denn bei der Gegenwartskunst Tendenzen gibt, rote Fäden, thematische Linien, die ganz unübersehbar sind.

Michael Neff: Ja, absolut, also momentan. Und es ist ja immer so ein Spiegel der Zeit, dass sehr viele konzeptuelle Künstler anfangen mit Zeitpolitik, also soziale, kritische Themen, Finanzthemen werden aufgegriffen, aber auf eine sehr ironische und zynische Weise natürlich, nicht eins zu eins übersetzt.

Die Malerei tritt dieses Jahr, finde ich, im europäischen Raum etwas in den Hintergrund, die Amerikaner sind schwer auf Malerei, aber die Europäer halten sich so ein bisschen zurück. Das Konzeptuelle macht eben jungen Künstlern wahnsinnig Spaß, es gibt sehr viel Neon, es gibt sehr viel Film mittlerweile, also so Themen, die früher etwas schwierig zu handeln waren, sind sehr omnipräsent.

Ulrike Timm: Wenn Sie sagen, dass auch die Finanzkrise, also die große Unsicherheit und die Verarmungsangst, Themen sind in diesem Jahr - wie sieht man das?

Neff: Ja, die Verarmungsangst macht natürlich hier auf so einer Messe mit einem Wochenumsatz von fast einer Milliarde Euro ... ist natürlich hier etwas lächerlich quasi, aber genau diese Tendenzen der Diskrepanz von jungen Künstlern, die teilweise schon 10.000, 20.000 Euro kosten und einer Diskussion in der Öffentlichkeit um Steuererhöhung, Steuersenkung ist natürlich genau so was, was die Künstler interessiert, dieses Hin- und Hergerissensein. Viele Künstler ignorieren es genau mit Absicht auch und marschieren einfach durch ihr Werk und durch ihr Leben, als würde draußen nichts passieren.

Timm: Bleiben wir aber mal beim Geld und reden wir drüber: Alle wichtigen Galerien sind wieder da, das wird jetzt schon in einem Maße betont, dass man sich wohl sehr berechtigte Sorgen gemacht hat, es würde vielleicht auch nicht so sein, und unter der Hand erfuhr man, dass der Markt für Gegenwartskunst von jetzt auf gleich mit der Finanzkrise auch schlicht weg war, zusammengebrochen, auch wenn von außen, von Galeristen meist vornehm geschwiegen wurde. Sagen Sie uns mal etwas über das Ausmaß des Desasters?

Neff: Ja, das hat eine ganz einfache Struktur. Leute, die Kunst kaufen und die eben dann auch junge, zeitgenössische Kunst kaufen, sind sofort auf die Bremse getreten, also wirklich eine Vollbremsung gemacht, haben trotzdem Kunst gekauft, aber ihr Geld in sichere Werte investiert.

Das heißt, das finanzielle Volumen war bestimmt das gleiche wie die Jahre zuvor, aber es hat sich verschoben. Die Leute kaufen auch momentan noch, nicht mehr ganz jung und wild, wie es also als Experiment und vielleicht ein bisschen als Spielerei auch galt, die Leute kaufen gesettelte Werke, geben im Jahr das gleiche Geld aus, aber bestimmt gezielt nur noch auf ein, zwei Werke anstatt, wie früher, vielleicht auf fünf oder zehn junge Werke. Das ist der Grund. Also die ganz jungen Zeitgenossen leiden unter der Krise, die Gewinner sind groß etablierte Künstler und große Namen, die viel Geld kosten und die jetzt in so einer Krise noch mehr Geld kosten.

Timm: Also, die Sammler und Händler kaufen Blue Chips, wie man im Aktiengeschäft sagen würde, das Geld fließt in Picasso und Modigliani, und der begabte Heinz Müller, wo man vorher sagte, das war doch strange, das ist doch interessant, der fällt über den Rost?

Neff: Der muss jetzt gerade mal noch eine Schleife drehen und muss noch mal ein, zwei Jahre ... oder muss jetzt ein, zwei Jahre warten, ein Jahr ist ja schon rum. Aber wir reden jetzt nicht von Picasso und Co., sondern schon jünger, also es geht schon 60er-, 70er-, 80er-Jahre, aber eben dort auch ... Blue Chips von 200.000 Euro ist momentan überhaupt kein Problem.

Timm: Aber was bedeutet das für Galeristen der ganz jungen Kunst? Sind die dann die letzten zwei Jahre doch erheblich mit abgestürzt?

Neff: Ja, die haben erheblich gelitten und haben, wenn sie Glück hatten und sich ein kleines Polster angefressen haben die Jahre zuvor, davon auch leben und zehren, und das wissen auch Galeristen, dass es auch mal schlechte Zeiten geben kann, das wissen sie aus der Historie heraus. Und ich muss Ihnen aber sagen, zum Beispiel in Deutschland gibt es keine Galerie, die aus Finanzgründen geschlossen hat, also eine von diesen führenden Galerien, von den jungen, führenden Galerien hat keiner aus Finanzgründen geschlossen.

Daran sieht man, dass die Deutschen oder auch generell die Europäer da sehr zurückhaltend sind, was solche Sachen betrifft, und ich glaube, das ist relativ gut überstanden, mit einem blauen Auge überstanden, so wie das hier aussieht.

Timm: Diese Messe, die Art Basel, ist ja schon was für Menschen mit Geld. Auf dem Baseler Flughafen stehen derzeit viele, viele Privatjets. Verirren sich da eigentlich auch ein bisschen normalere Menschen hin, die sagen, na ja, so ein oder zwei Monatsgehälter für ein Kunstwerk, das mir wirklich gut gefällt, würde ich schon ausgeben, oder trauen sich solche Menschen da gar nicht erst hin?

Neff: Doch, absolut. Nein, nein, das ist die Basis. Genau solche Menschen ist die Basis von so einer Messe. Diese hochprivilegierten Menschen können Sie an zwei Händen abzählen. Die gibt es hier natürlich auch, aber ... die stehen hier immer im Vordergrund, aber die wichtigen sind wirklich die (…), die hier zwischen 10.000 und 5.000 Euro einkaufen. Das ist diese Menge und diese Masse, und die bewegen auch sehr viel.

Timm: Aber Risikofreude oder gar Wagemut sind nicht verbreitet, wenn ich Ihnen zuhöre?

Neff: Das hat was mit der Zeit zu tun und es kommt auch wieder zurück. Hier ist nicht die Messe für heiße Experimente und für wildes Engagement, hier ist eine Geschäftsmesse, auch für Investment, auch für solide Werke, für solide Preise, und für – auf gleicher Augenhöhe – Sammler wie Galeristen.

Timm: Stellen sich denn junge Künstler darauf ein, dass der Markt schwierig geworden ist, um es vorsichtig zu sagen?

Neff: Nein, also, mittlerweile kann ich sehen, dass die Formate, die letztes Jahr und vorletztes Jahr also auf einmal einen Meter geschrumpft sind, im Gegenteil jetzt eher wieder größer werden und auch die Künstler insofern drauf reagieren, dass sie es entweder komplett ignorieren oder, genau im Gegenteil, jetzt Skulpturen machen, die vier Meter hoch sind. Das ist ja auch immer eine Reaktion.

Timm: Vor einigen Jahren, Herr Neff, waren große Skulpturen sehr in Mode - sehr eindrucksvoll, aber da brauchte ein Sammler eben immer noch einen Raum extra, insofern war das Luxuskunst. Werden inzwischen aus wirtschaftlichen Gründen oder auch zwecks besseren Verkaufs wieder mehr Bilder gemalt?

Neff: Nein, nein, das hat glücklicherweise auf solche Medien gar keine Auswirkungen. Nein, es ist nicht der Trend zu mehr handelbaren Arbeiten, für privat genauso wie für Galeristen, sondern schwierigere Techniken, wie ich Ihnen vorhin sagte – Neonarbeiten, Filmarbeiten –, kommen mehr in den Vordergrund, das heißt, die Künstler wagen mehr, auch die Sammler wagen mehr; genau weil in so einer Krise ... es ist oft jemand ... irgendwie so Nischendinge, wie oft auch in der Kunst eben, wie gesagt, Neon oder Filme, sind meistens dann auch solche Gewinner, die in so einer Krise entstehen und wo es Leute und Künstler auch wagen, weil der Markt sich etwas beruhigt und nicht heiß nach Bildern schreit, wenn sie Zeit haben, sich um Neonarbeiten oder seltsame Installationen zu kümmern.

Timm: Ist bestimmt schwierig, aber haben Sie so ein Bild oder ein Thema entdeckt oder eine Skulptur, wo Sie gesagt haben: Das passt in unsere Zeit wie Arsch auf Töpfchen?

Neff: Ja. Ich stehe hier gerade vor einer Neonarbeit, die heißt ... wenn sie leuchtet, heißt sie "Democracy", wenn sie aus ist, steht "Demoncracy" da, das ist ganz schön, das "n" ist (…), man sieht es nur, wenn man genau davor steht.

Timm: Demokratie und Demonkratie bei einer Konzeptkunst. Sie haben uns beschrieben, dass die Art Basel aller Finanzkrise, aller wirtschaftlicher Situation zum Trotz immer noch ganz gut dasteht. Sie ist da aber wohl doch, was die Ausstellungen, die Messen angeht, in den letzten Jahren die Ausnahme gewesen. Ist das alleine in der wirtschaftlichen Situation begründet, oder hatte der Kunsthandel schlicht ein paar Jahre lang einen Boom und bewegt sich nun auf Normalmaß zurück?

Neff: Nein, die Art Basel ist eine Ausnahmesituation, das war schon immer so. Die Art Basel war schon immer eine (…) größte, beste, teuerste, auch von der Qualität, von den Ausstellungen her. Das ist ein Inseldasein hier. Dass sie in so einer Krise noch ... wahrscheinlich noch mehr frequentiert wird als alle anderen Messen, das kann man nicht pauschalisieren, das ist sehr abhängig von verschiedenen Dingen wie Orte, Zeiten, also, wann im Jahr, wo im Jahr, was gibt es da in der Nähe. Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, dass so ein Wort oder so ein Medium wie Finanzkrise von außen hat sich eher sekundär, wie sich so eine Messe entwickelt. Da spielen andere Faktoren eine riesige Rolle.

Timm: Woran liegt das eigentlich, dass sich gerade die Art Basel so gut behaupten kann?

Neff: Weil die Art Basel gibt es schon seit fast 40 Jahren, sie ist etwas jünger als die Art Cologne, und sie ist hier in einem Zentrum entstanden, Österreich, Schweiz, Deutschland, zu einer Zeit, wo hier unten wirklich gar nichts war, und die Stadt ist auch hier im ganzen Jahr über, 360 Tage lang, tot, bis wie eine Atombombe die Art Basel immer reinfällt. Und auch diese Behäbigkeit der Schweiz lieben die Leute, lieben die Menschen.

Und in diesem Kleinod hat sich hier was, ohne Hektik und ohne Mode, über 40 Jahre lang ein Diamant entwickelt, von dem heute alle zehren. Das ist einfach eine Entwicklungssache. Das versucht man auch immer wieder zu transportieren, in andere Städte, das gelingt leider nicht.