"Das ist ein gnadenloser Gesellschaftskritiker"

Moderation: Joachim Scholl · 17.01.2006
Der Literaturkritiker Elmar Krekeler hält den amerikanischen Schriftsteller Bret Easton Ellis für einen "gnadenlosen Gesellschaftskritiker". Das Skandalöse an Ellis' größtem Erfolg "American Psycho" sei nicht die drastische Schilderung von Gewaltexzessen gewesen, sondern dass er einem sinnentleerten Jahrzehnt den Spiegel vorhielt. Allerdings sei Ellis' große Zeit jetzt vorüber, glaubt Krekeler.
Scholl: Im Studio ist jetzt Elmar Krekeler, Literaturkritiker, Leiter der "literarischen Welt" bei der Tageszeitung "Die Welt". Herr Krekeler, vielen Lesern hat sich bei der Lektüre von "American Psycho" der Magen umgedreht. Ihnen auch?

Krekeler: Nein, mir nicht, aber das lag auch an meinem Magen, der relativ schwer umzudrehen ist. Ich bin noch ein Generationskollege von Bret Easton Ellis, und ich glaube, dass ein großer Teil des Problems, das viele Leute mit dem Roman hatten, ein Generationsproblem war, dass also Menschen, die mit derselben Videobildung, Filmbildung, Literaturbildung aufgewachsen sind wie Bret Easton Ellis, einfach eine ganz andere Vorbildung hatten und ganz anders auf diese Gewaltexzesse eingegangen sind als Leute, die, sagen wir mal, die 50 schon überschritten hatten.

Scholl: Was war eigentlich der Skandal von "American Psycho"? War das mehr, dass ein Schriftsteller sich traute, so etwas zu schreiben, oder dass man es eben nicht aushielt, solche extreme Gewalt zu lesen?

Krekeler: Ich glaube, es war zum einen ein Genrebruch, dass er zum ersten Mal das Genre zwischen Krimi und Thriller sozusagen in die Hardcore-Belletristik hinein genommen hat. Das waren die Leute nicht gewöhnt, also jedenfalls die zehn Prozent nicht, die Belletristik eben lesen. Es war aber auch der Skandal, dass jemand versucht hat, dieses relativ zeitnahe Porträt der achtziger Jahre so auf die Spitze zu treiben, also die Sinnentleerung eines ganzen Jahrzehnts so zuzuspitzen, das hat vor ihm keiner gewagt, und man wollte schlicht nicht vor einem Spiegel stehen und sich komplett nackt und präsentiert sehen.

Scholl: Die Kritikerstimmen damals - wir haben es gerade im Beitrag von Matthias Eckholdt gehört - also hin bis zu "degenerierter Psychopath" und "unbegabter Schriftsteller". Das hat sich dann mit den Jahren verändert, und man hat immer mehr so den Satiriker und auch den, ja, glänzenden Stilisten, auch den Moralisten Bret Easton Ellis hervorgehoben. Es ist ein extremes Spektrum. Also es gibt immer noch Leute, die sagen, der Junge ist vollkommen durch den Wind und eigentlich genauso wie seine Romanfiguren. Wo sollte man als kühler Kopf diesen Autor einordnen?

Krekeler: Das ist ein gnadenloser Gesellschaftskritiker. Es ist halt jemand, der wie viele andere amerikanische Schrittsteller sein Jahrzehnt hatte. Bret Easton Ellis hatte die achtziger Jahre wie Truman Capote beispielsweise die fünfziger Jahre hatte oder die vierziger. Nun ist es mit den Achtzigern aber, wie gesagt, das Revival, das jetzt gerade wiederkommt, ein bisschen vorbei, also mildert man den Blick drauf. Es ist sehr talentierter, großartiger Stilist auch, aber irgendwie ist seine Zeit, glaube ich, ein bisschen vorbei.

Scholl: Nochmals zu diesem Thema Gewalt: Also gerade in dieser Form, wie Ellis sie beschrieb, also gerade als extreme, pathologische Gewalt, kranke Psychologie, sexuelle Gewalt, es sind praktisch ständig Vergewaltigungen, die stattfinden in diesem Roman, und heute sagen Leute, wenn sie diese Szenen gelesen haben, man kriegt sie nicht mehr aus dem Kopf. Also ich persönlich rate vielen Menschen, dieses Buch nicht zu lesen. Es ist eine glänzende Satire auf diese Welt, wie Sie es gerade sagten, aber diese Szenen haben immer noch diese Schockhaftigkeit. Wäre das ein letztes Tabu für die Literatur, dass man also, wenn man an dieses rührt, diese Gewalt, wir sind ja eigentlich jeden Schock, jeden ästhetischen Schock gewohnt durch das 20. Jahrhundert, wir kennen ja eigentlich alles, und auf Video gibt es sowieso jede Form von Perversität in der Videothek zu kaufen, aber in der Literatur, wäre das noch ein Tabu, wo man sagt, das darf nicht sein, das geht nicht?

Krekeler: Ja, das ist die Frage des Literaturbegriffs sozusagen. Wenn man in den letzten Jahren Krimis gelesen hat, dann braucht man nur Henning Mankell aus dem Regal zu nehmen, dann kann man über das, was Bret Easton Ellis geschrieben hat vor fünfzehn Jahren, eigentlich nur müde lächeln. Also ich glaube, dass die Tabus, die gibt es eigentlich gar nicht mehr. Ich glaube auch, es ist alles schon angerührt worden, was nur anzurühren ist.

Scholl: Das heißt sozusagen, der Schock oder der Skandal ist eigentlich mehr eine Oberflächenreaktion?

Krekeler: Ja, sicher, dass man es nicht gewohnt war. Also wenn man ein Buch liest oder ein Buch kauft, auf dem der Titel "Thriller" draufsteht, dann denkt man, okay, das habe ich jetzt gekauft, das muss ich einfach mitnehmen. Wenn ich aber jetzt ein Roman, der als Roman präsentiert ist in der Belletristikabteilung, lese, und auf einmal tauchen solche Szenen auf, dann ist dieser Genrebruch da, und ich glaube, das war das Problem.

Scholl: In der Kulturgeschichte, in der aufgeklärten europäischen Kulturgeschichte hat man auch von einer so genannten Ästhetik der Grausamkeit gesprochen. Das fängt beim Marquis de Sade an und wurde weiterentwickelt von Antonin Artaud und George Bataille. Wäre dieses Schema, wenn man es sozusagen so hochkulturell ansetzen würde, auf einen Roman wie "American Psycho" anzuwenden, wäre das vielleicht so der Endpunkt, der vielleicht schon sogar Kipppunkt ist?

Krekeler: Ich glaube, das sind so Maßstäbe, an denen misst sich Bret Easton Ellis, glaube ich, gar nicht, also das ist so, das will er gar nicht.

Scholl: Dass er darüber nicht nachdenkt, das glaube ich schon.

Krekeler: Ja, aber...

Scholl: Sie meinen, es ist zu hoch angesetzt?

Krekeler: Ich glaube, schon.

Scholl: In seinem neuesten Roman "Luna Park", der jetzt erscheint, taucht nun das Monster aus "American Psycho" wieder auf, als Geist, als Albtraum, aber auch als realer Nachahmer der literarischen Vorlage. Der Autor selbst tut im Buch so, als habe diese Figur ihn sein Leben lang nur verfolgt. Er sagt, Bateman sei das Böse, also eine richtige theologische Kategorie. Bereut hier ein Schriftsteller seine Untat oder ist es auch wieder nur ein Spiel?

Krekeler: Das ist ein Spiel, also Bereuen liegt ihm, glaube ich fern, da braucht man nur die ersten zwanzig Seiten zu lesen, dass er sich immer noch ganz gerne selber mag. Also es taucht ja nicht nur Bateman auf, es tauchen eine ganze Reihe von Figuren auf aus seinen früheren Romanen, die alles wiederum Wiederspiegelungen von sich selber sind. Das ist so eine Art Persönlichkeitsspaltung, die da betrieben wird, und das Ganze ist ein literarisches Spiel, also ein Schauerroman, aber von Reue ist da keine Spur.

Scholl: Was Bret Easton Ellis auch kennzeichnet, ist so eine konsequente Taktik der Verschleierung, also nichts ist so, wie es aussieht. Mit jedem Buch hat er diese Technik verfeinert, also wenn man genau liest, finden die Verbrechen in "American Psycho" gar nicht statt, sondern sind nur Projektionen der Hauptfigur. Im neuen Roman wird die Existenz des Schriftstellers selbst fiktiv, also er tut so, als ob er eine Autobiografie schreibt. Zurückgewendet auf Ihre erste Antwort, Herr Krekeler, als Sie sagten, wir, eine jüngere Generation, also um die 1960 geboren - so jung ist es auch nicht mehr -, sind schon aufgewachsen mit Bildern, Videospielen, mit der ganzen Fiktion, die uns umgibt, der ganzen Irrealität des Dargestellten. Wäre das, was Bret Easton Ellis literarisch macht, also konsequent zu tun, also ob es vielleicht nur ein Film sei, als ob es nur ein Traum sei, wäre das vielleicht so der Masterplan für dieses ganze Werk?

Krekeler: Ich glaube, schon. Das Problem ist nur, dass, also Verschleierung kann man ja machen, wenn dahinter irgendetwas verborgen ist, wenn man dabei irgendwas entdeckt, und ich glaube, das Einzige, was man eben in "Luna Park" entdecken kann, ist sozusagen die Psychostörung von Bret Easton Ellis. Also es geht da um Vaterverlust vor allem, um Vatersein auch, und das ist aber so ziemlich das Einzige, was hinter den Schleiern sich noch verbirgt, und ansonsten gibt es da gar nichts mehr. Hinter "American Psycho" war irgendwo noch ein Gesellschaftsporträt, ein Generationsporträt, und das macht auch den Reiz, dass man selbst über diese Gewaltexzesse hinweg kam, machte es aus, aber hier ist es im Prinzip so ein bisschen in sich selbst drehender Schleiergang.

Scholl: Also Sie halten den Autor auch für gestört letzten Endes?

Krekeler: Das ist er, glaube ich, wirklich, aber das weiß er auch.

Scholl: Vielen Dank für Ihren Besuch.
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