"Das ist eben ein Glück, wenn du als junger Mensch so eine Begegnung hast"

Philipp Stölzl und Alexander Fehling im Gespräch mit Alexandra Mangel |
Keine Biografie, sondern schlicht und einfach ein unterhaltsames Liebesmelodram - Philipp Stölzl erzählt in "Goethe" aus den Jugendjahren des Dichterfürsten, der von Alexander Fehling gespielt wird.
Fehling: Ja, keine große Rolle, ehrlich gesagt, wie viele andere auch. Ich hatte es so in der Schule, und manchmal denke ich auch so, wer in der fünften Klasse zu "Faust 1" gezwungen wird, also kein Wunder, dass der dann im ganzen Leben denkt: Lasst mich in Ruhe mit diesem Mann! Manches ist dann vielleicht auch zu früh. Meine Oma war Deutschlehrerin, und die hat mir davon erzählt, während ich einen Schiller-Vortrag gemacht habe.

Mangel: Und bei Ihnen, Herr Stölzl?

Stölzl: Ich hatte eine sehr glückliche Begegnung mit Goethe. Ich hatte einen ganz tollen Deutschlehrer, so einen Hippietyp, und der war Goethe-Fan. Und der hat uns diesen Goethe vom ersten Gedicht bis zur letzten Farbenlehre, Italien, Faust, Werther, Stella et cetera, et cetera, hat uns den nahegebracht. Wir waren dann sogar in Weimar gewesen, noch zu Ostzeiten, und dann sind wir ins Theater und haben gesehen, "Faust 1" mit Helmut Griem als Faust und Sunnyi Melles als Gretchen, und es hat irgendwie geknallt und geraucht, und bei der "Walpurgisnacht" waren irgendwie nackige Frauen auf Besen und wir waren alle total begeistert. Das ist eben ein Glück, wenn du als junger Mensch so eine Begegnung hast.

Mangel: Es sind schon einige Filmkritiker irritiert gewesen, dass man hier Goethe über die Leinwand reiten sieht wie einen Helden im Mantel-und-Degen-Film, also überhaupt nicht verkopft, ein Naturbursche, der gern reitet, der gern schwimmt. Ist das einfach der Goethe, den man am Besten auf die Leinwand bringen kann, der junge Goethe des Sturm und Drang, oder warum haben Sie sich für diese Zeit entschieden.

Stölzl: Ja, das ist ganz eindeutig so, dass der junge Goethe, der Sturm-und-Drang-Goethe, der Goethe, der noch sucht und noch auf dem Weg ist, der ist natürlich fürs Kino die viel spannendere Figur als einer, der schon in Weimar angekommen ist, Straßenbauminister ist, Dichterfürst ist, der so alles hat, alles weiß, alles kann. Der hat weniger Konflikte fürs Kino. Fürs Kino brauchst du jemand, mit dem du auf dem Weg bist und hoffst, dass er es schafft letztendlich. Die Figur von Goethe, so wie sie im Film rüberkommt, eben der da reitet und stürmt und drängt so, das entspricht schon ziemlich dem, wie der wohl war. Also gut, man weiß es nie, aber über den jungen Goethe gibt es wahnsinnig viele Zeitzeugenberichte, Leute, die ihn getroffen haben. Der hat die Leute beeindruckt, der war ein schöner junger Mann, der war voller Energie, der Leute um sich herum inspiriert, er war irgendwie in der Ahnung des eigenen Genies. Und wenn man so ein Gedicht liest wie "Willkommen und Abschied", berühmtes Gedicht, dann sieht man den doch reiten vor sich. Eigentlich habe ich das Gefühl, dass wir im Film diesem Bild des jungen Goethe eigentlich relativ nahegekommen sind. Insofern glaube ich, auf diese Weise ist es auch ein historisch genauer Film, den wir da gemacht haben.

Mangel: Das ist ja ein Film, der nun mit dem Hauptdarsteller steht und fällt, und ich hab gelesen, dass Sie gleich begeistert waren und gesagt haben, der ist es. Herr Fehling, wie sind Sie denn an diese Figur, zu der Sie ja erst mal keine besonders große Nähe hatten, jetzt rangekommen? Wie überwindet man die Distanz, also wie wird man Goethe?

Fehling: Indem man vielleicht es gar nicht so sehr versucht. Der Fahrplan, den man hat, ist das Drehbuch. Und dann gibt es einerseits so Recherche und viel zu lesen, oder dann gab es ganz praktische Vorbereitungsdinge wie Reiten lernen und so eine Schrift entwickeln, die ja auch in Szenen dort stattfindet, weil es ja um dieses Auspressen dieses Leidensdrucks irgendwie geht. Und dann ist es eigentlich was, was dann aus 100, 200 Stücken entsteht, und irgendwann ist es dann halt ein Film. Und im Auge des Zuschauers ist es dann hoffentlich der junge Goethe.

Mangel: Sie haben gesagt, die Entwicklung einer Schrift – worum es ja auch geht, ist ja auch die Entwicklung einer Sprache in diesem Fall. Was war denn da verabredet, möglichst zeitgetreu oder schon versuchen, das näher an ein junges Publikum auch ranzubringen?

Fehling: Die Sprache, die wir haben in dem Film, ist so eine Art Pseudo-18.-Jahrhundert. Die Wahrheit ist, wir wissen ja nicht, wie die Leute gesprochen haben. Du hast nur Schriftzeugnisse, die sind oft sehr gewunden, sehr barock noch ...

Stölzl: Das will man, glaube ich, auch sehen, man will nicht das sehen, was hier auf der Straße jetzt gesprochen wird.

Fehling: Absolut, ja.

Stölzl: Man will was Fremdes sehen, und gleichzeitig will man aber auch was ganz Normales spüren.

Fehling: Ja, absolut.

Mangel: Können Sie mal ein Beispiel bringen, wie Sie dieses Pseudo-18.-Jahrhundert dann entwickelt haben?

Fehling: Wir haben geguckt, wie reden die Leute in den Dramen der Zeit, also sozusagen, wie ist das jetzt bei den "Räubern" oder bei Lenz oder so, wo man so ein bisschen das Gefühl bekommt für Rhythmus. Und dann haben wir auch geguckt, was gibt es bei Goethe auch zum Beispiel für erdige, saftige Sachen. Da muss man nur den "Faust" lesen, da gibt es ja unheimlich viel, also auch schmutzige Wörter. Wir wissen, dass er Wörter erfunden hat, er sagt da ziemlich oft scheißig zum Beispiel im Film. Das ist so ein Wort, das Goethe so gesagt hat und auch sich ausgedacht hat. Überhaupt hat man das Gefühl, dass sozusagen Sprache noch mehr kreativ in Besitz genommen wurde. Die Sprache ist im Fluss im 18. Jahrhundert, und ich glaube, da haben wir versucht, eine fiktionale Welt zu finden, sprachliche Welt, die gleichzeitig als historisches Bild glaubhaft ist und gleichzeitig aber den Figuren heutige und eine freche, flapsige Note verleiht. Das ist ein bisschen die Grätsche, die das versucht.

Mangel: Vor allen Dingen ist die Glaubhaftigkeit aber Ihrer Darstellung geschuldet, Herr Fehling. Sie spielen den so ...

Fehling: Finde ich auch.

Mangel: Sie spielen den so mitreißend und das gesamte Spektrum der Gefühle ist da vorhanden, also von Witz bis tiefster Trauer, und man hat wirklich so das Gefühl, dass das für Sie auch so eine Traumrolle war. War es das?

Fehling: Also mir ging es so. Ich hab das Drehbuch gelesen und dann dachte ich so: Ich muss jetzt da hingehen zum Casting und ich muss denen sagen, ihr braucht jetzt nicht mehr suchen, ihr habt schon den Richtigen – so größenwahnsinnig eigentlich wie die Figur. Ich hab irgendwie so jemanden gesehen, der so angreifbar und trotzdem so mutig und so sehr am Leben.

Stölzl: Ja, ich muss mal ihn korrigieren, das klingt so ... Ich bin eh so nahe dran an der Figur, aber ich meine, da ist so viel Handwerk und tolles Schauspiel, was der junge Mann da macht und gemacht hat am Set, das ist als Leistung gar nicht hoch genug einzuschätzen. Ich meine, es ist immer blöd, wenn man sich so gegenseitig lobt, aber ich muss das einfach loswerden, weil ich glaube, das ist einfach eine ganz, ganz tolle Arbeit und Sichreingraben auch dabei.

Mangel: Ich würde von Ihnen beiden gerne noch wissen, was haben Sie denn jetzt beide über das Dichtergenie Goethe aus dieser Arbeit mitgenommen? Herr Fehling!

Fehling: Also mir ging es so, dass ich nicht mehr dieses Gefühl habe, dass Schiller so der junge Wilde war und Goethe immer ... man denkt schon mal, dass er so in Sicherheit seine Weisheiten übern Zaun geworfen hat. Wenn er sich die Zeit genommen hat, sogar in dieser Attitüde. Aber dieses Gefühl habe ich überhaupt nicht mehr. Und das ist genau das, was Philipp auch gesagt hat: dass da ein Bild entstanden ist aus Sicherheit und Weisheit, was auch möglicherweise das Ergebnis von etwas ist, nämlich davon auch, dass der mit sehr jungen Jahren schon wahnsinnig schonungslos war zu sich selbst, glaube ich, und eine wahnsinnige Neugier hatte dem Leben gegenüber.

Stölzl: Ich meine, man muss mal – der das nicht mehr vor Augen hat ... ich kann nur empfehlen, den "Werther" auch noch mal zu lesen, sein kleines Bändchen. Das ist einfach ein unglaublich kraftvolles Stück Literatur.

Fehling: Ja, finde ich auch.

Stölzl: Wahnsinnig modern. Wenn man sich das vorstellt – und ich glaube, das hoffe ich, dass das der Film auch reflektiert –, dass das geschrieben ist in einer Zeit, wo noch total barock ist, also eine sehr künstliche, die Liebe zur künstlichen Welt, und da kommt jemand und schreibt diese Natur- und Gefühlsekstase so hin. Ich glaube, der hat irgendwie vier Wochen dran geschrieben, also er hat das richtig so, kam so raus so. Das war schon ein radikaler Geist. Und dann liest man alles, was drumrum so entstanden ist, wahnsinnig viel Gedichte, "Zauberlehrling", die ganzen Sachen, die fast so ein bisschen hollywoodartig Unterhaltungsliteratur so im besten Sinne sind. Und dann kommt der "Faust" und "Dichtung und Wahrheit" et cetera, et cetera, sozusagen einen Kosmos bekommt man mit und wirklich einen radikalen Denker, wo man sagt, gut, wo ist der hingeraten, irgendwo in Weimar, in so eine bisschen gesicherte Situation. Aber das Wohlgefällige und das scheinbar Balancierte, was Goethes Leben so kennzeichnet, verwehrt auch den Blick drauf, dass es wirklich auch ein radikaler, berührender, intensiver Schreiber auch war.