"Das ist durchaus sehr hawking'sch!"

Moderation: Dieter Kassel · 12.09.2013
Diesmal geht es nicht in erster Linie um Gravitation und Schwarze Löcher. Der britische Physiker Stephen Hawking hat mit "Meine kurze Geschichte" über sich selbst geschrieben. In der Autobiografie erlaube er erstaunliche Einblicke in sein Privatleben, findet der Wissenschaftler und Autor Ulrich Woelk.
Dieter Kassel: Das Buch "Eine kurze Geschichte der Zeit" hat ihn berühmt gemacht, und das weiß er selber ganz genau, denn der englische Physiker Stephen Hawking nennt seine heute in Deutschland erscheinende Biografie "Meine kurze Geschichte". Noch kürzer als in dem Buch stellt uns jetzt Thomas Gith den Wissenschaftler vor.

[Beitrag von Thomas Gith über Hawking]

Applaus für Stephen Hawking, und diesen Applaus wird er zumindest von seinen Anhängern bestimmt auch für sein neuestes Buch bekommen, für seine Autobiografie "Meine kurze Geschichte". Bei mir im Studio ist jetzt Ulrich Woelk, Physiker und Schriftsteller. Er hat sich - das wollen wir der Fairness halber auch mal sagen - nicht in allen, aber doch in einigen seiner Romane auch mit Physikern und der Physik beschäftigt. Schönen guten Morgen, erst 'mal!

Ulrich Woelk: Ja, guten Tag!

Kassel: Haben Sie denn Stephen Hawking je persönlich erlebt bei einer Gelegenheit?

Woelk: Ja, ich bin ihm einmal begegnet, und das war sogar ganz in der Nähe, es war in Potsdam auf einem Gravitations- und String-Kongress, und da war er natürlich damals - das ist jetzt etwa zehn Jahre her - der Star, ganz klar. Und trotzdem ist es natürlich sehr ambivalent und merkwürdig, wenn man dann in der Nähe dieses Rollstuhls steht und ihn nun also sieht, weil es eben diese Distanz gibt.

Man kann ja nicht direkt mit ihm kommunizieren, das heißt, ein wenig ist es auch so, als würde eine Puppe durch die Menge geschoben. Und gerade in dem kleinen Beitrag, den wir gehört haben, klingt es natürlich etwas lebendiger an, als es dann de facto ist. Ein Vortrag läuft so ab, dass er auf die Bühne geschoben wird, dann dauert's eine Weile, alle sind still, und dann geht diese Computerstimme los, die auch vorprogrammiert ist. Also es ist ambivalent.

""Diese unheimliche Vorstellung eines Genies, eingeschlossen in einem nicht funktionierenden Körper""

Kassel: Stephen Hawking sagt in seiner Autobiografie ganz offen, dass er selber überzeugt davon ist, dass seine Krankheit und das daraus resultierende sehr auffällige physische Erscheinungsbild auch eine Rolle spielen bei seiner Popularität. Er sagt ganz simpel: "Ich bin halt immer sehr leicht wiederzuerkennen." Aber das ist doch sicherlich nicht der einzige Grund für seinen Erfolg, oder?

Woelk: Na ja, ich glaube, da kommen immer sehr viele Dinge zusammen. Zum einen ist es natürlich schon diese unheimliche Vorstellung eines Genies, eingeschlossen in einem nicht funktionierenden Körper, der hat etwas sehr Faszinierendes, das fällt natürlich auf. Zum anderen ist es aber auch so, dass das vielleicht die richtige Zeit war, um mit solchen Fragen an die Öffentlichkeit zu gehen. Man muss das, wenn man das wissenschaftshistorisch anguckt, wissen: Es hat sich in den Fragen der Gravitation und der schwarzen Löcher und der Kosmologie 50, 60 Jahre, ich sag mal seit Einstein, nicht so wahnsinnig viel getan. Und dann einfach durch neue Messtechniken, neue Teleskope hat man plötzlich sehr viele Fakten gekriegt, und das Interesse der Öffentlichkeit hat sich sehr darauf gerichtet.

Und dass nun Kosmologen hingehen und ihre Bücher damit abschließen, dass sie sagen: Vielleicht ergründen wir Gottes Plan ... - Das war in dieser Zeit so. Easste so rein, sag ich mal. Und das kommt sicherlich auch dazu. Also es ist so ein Gemisch von verschiedenen Dingen, die zusammenkommen mussten, um diese Popularität dann so hochzuschießen, wie sie dann schlussendlich gekommen ist.

Kassel: AndréHatting, der die "Ortszeit" vor unserer Sendung hier moderiert hat, hat noch erwähnt, dieses Buch "Eine kurze Geschichte der Zeit" sei das erste Buch gewesen, bei dem er wirklich verstanden habe, was ein schwarzes Loch ist. Er hat korrekterweise vorsichtig gesagt, glaubte, das verstanden zu haben. Ist das vielleicht das große Talent von Hawking, dass er diese Dinge auch wirklich so erklären kann, dass sie wissenschaftlich seriös bleiben, aber trotzdem verständlich sind?

Woelk: Ehrlich gesagt weiß ich das gar nicht. Ich glaube: Er kann es gut erklären, zweifellos. Es ist aber auch immer sehr viel der Wunsch dabei der Menschen, es verstehen zu wollen, und dafür gibt es eben auch wieder den richtigen Zeitpunkt. Was er sicherlich sehr gut kann, ist - und das hängt vielleicht sogar mit seiner Behinderung zusammen -, er muss, er ist gezwungen, Dinge sehr kurz und knapp auf den Punkt zu bringen, weil er einfach keine umfassenden, langen Formulierungen machen kann. Und das zwingt ihn zu dieser Pointierung, die man in seinen Texten auch immer wieder lesen kann, die auch, finde ich, zum Lesen eigentlich dann sehr schön ist. Und das gibt einem dann vielleicht das Gefühl, im Moment, wenn so ein Satz stimmt, etwas verstanden zu haben.

Kassel: Also war das sehr vernünftig, vorhin zu sagen: Ich glaubte, es verstanden zu haben. Man kann, glaube ich, sagen - Sie dürfen immer widersprechen -, aber ich glaube, man kann schon behaupten, er ist einer der erfolgreichsten Wissenschaftserklärer oder zumindest Astrophysikerklärer oder wenn man ganz korrekt ist, Erklärer der theoretischen Physik, aber ist er auch als Forscher so bedeutend?

Woelk: Man muss dazu Folgendes wissen: Der Bereich, in dem er sich bewegt, ist hochspekulativ. Natürlich, man erwartet ja von den Naturwissenschaften, dass sie exakt sind, dass die Aussagen, die Naturwissenschaftler treffen, wahr oder falsch sind. Aber in den Grenzbereichen, in denen sich Hawking bewegt, kann man das so nicht einlösen. Sie können eben nicht das Universum als Ganzes hernehmen und mit dem Universum ein Experiment machen und dann entscheiden: Ist eine Aussage wahr oder falsch. Und ähnlich ist es auch mit den mikroskopischen Partikeln, mit denen er sich ja auch befasst, mit dem Kleinsten - auch da stoßen wir, wie wir jetzt wissen, an Grenzen. Letztes Jahr im CERN ist noch mal ein großer Durchbruch gelungen, aber wie viel noch geht, das wissen wir nicht so genau. Also sprich: Die Spekulation gehört ganz natürlicher Weise zu diesem Forschungsgebiet dazu. Dass man dann auch mal falschliegen kann, danebenliegen kann, hat man übrigens an dem Beispiel Hawking auch sehr gut gesehen.

""Erfolg ruft natürlich auch Neider auf den Plan""

Kassel: Aber gerade das scheint er nicht gerne zuzugeben, das ist mir auch bei seiner Autobiografie aufgefallen.

Woelk: Er hat schon dreimal, glaube ich, drei Wetten erwähnt er, die er mit Wissenschaftlern abgeschlossen hat, und die hat er alle verloren.

Kassel: Aber trotzdem, da sind wir beim Thema. Mir ist das schon bei der Autobiografie noch mal deutlich aufgefallen: Er hat selber auch keine großen Zweifel daran, dass er ein bedeutender Mann ist, oder?

Woelk: Nein, also er hat ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, aber das sei ihm absolut zugestanden, denn ich bin schon auch als Wissenschaftler, wenn ich jetzt noch mal in diese Rolle schlüpfe, überzeugt, dass gewisse Dinge von ihm definitiv bleiben werden. Also wenn ich's jetzt einfach mal sage: "Hawking-Strahlung" - das ist jetzt natürlich erst mal unklar, was es ist, aber das sind so die Begriffe, die jeder Physiker mittlerweile kennt und von denen ich glaube, dass sie doch Bestand haben werden.

Kassel: Wir reden heute Vormittag mit dem Schriftsteller und Physiker Ulrich Woelk über Stephen Hawking, dessen Autobiografie "Meine kurze Geschichte" heute in Deutschland erscheint. Damit haben Sie schon klargemacht, wenn manchmal der Vorwurf kommt: Der erklärt ganz viel und ist sehr populär, aber er forscht nicht ganz viel. - Das ist zumindest für seine gesamte Lebenszeit - wir können ja drüber reden, was er jetzt noch machen kann - für seine gesamte Lebenszeit ein ungerechtfertigter Vorwurf in Ihren Augen?

Woelk: Der Meinung bin ich definitiv. Es ist wahrscheinlich immer so, dass, wenn sich jemand dann der Popularität zuwendet, wie Hawking es getan hat, immer so ein Geschmäckle entsteht, auch in der Community - Warum macht er das jetzt? Wird der jetzt plötzlich unseriös? -, und Erfolg ruft natürlich auch Neider auf den Plan, die sagen: Das hätte ich auch alles schreiben können. Also insofern denke ich: Da muss man sehr vorsichtig sein. Er weiß, was er kann, er weiß auch, wie er wirkt. Ich glaube, er spielt auch sehr bewusst damit mittlerweile und setzt das ein, aber das bedeutet nicht, dass die Dinge, die er nun schreibt und die er als Forscher macht, deswegen nicht seriös seien. Das muss man definitiv sagen.

Kassel: Jetzt haben Sie es schon beschrieben, Herr Woelk, am Anfang unseres Gesprächs, wie Vorträge ablaufen, und ich meine, da ist es vorprogrammiert, aber es ist - er beschreibt das auch, Hawking selber in seinem Buch - für ihn ja unglaublich mühselig, per Sprache zu kommunizieren, per gesprochener Sprache. Er kann nicht sprechen, seine Maschine kann das, er muss da die Buchstaben auswählen. Da fragt man sich: Ist er überhaupt in der Lage, ein solches Buch, auch wenn es für eine Autobiografie gar nicht so arg lang ist, überhaupt noch selbst zu schreiben?

Woelk: Ja, das fragen sich auch viele. Ich denke, er hat in den letzten Jahren etwa, sagen wir eben, seit der "Kurzen Geschichte der Zeit" fünf oder sechs Bücher veröffentlicht. Denen, die danach, nach der "Kurzen Geschichte der Zeit" erschienen sind, sieht man deutlich an, dass er sie nicht alleine gearbeitet hat. Da sind ganz viele Grafiken drin. Das sind alles natürlich Sachen, die er mit seinen Studenten, Doktoranden erarbeitet hat. Und insofern ist es auch klar, er wird diese Texte redigieren, er wird einiges auch selber schreiben, aber das entsteht in Kooperation, das ist ganz klar. Jetzt bei dem, bei seiner Autobiografie, würde ich wieder sagen, ich halte es durchaus für möglich, dass die wesentlichen Textteile von ihm auch so, mit seiner sehr schwierigen Technik - er macht das ja mit den Augen, steuert er diesen Sprachcomputer - geschrieben sind, weil es auch wieder eben sehr im Hawking'schen Sprachduktus ist. Das heißt: Es ist sehr kurz, es ist sehr knapp, es liest sich hier und da auch ganz amüsant, und deswegen denke ich, da findet man einfach auf sprachlicher Ebene Dinge wieder, die schon in der "Kurzen Geschichte der Zeit" da waren, und ich glaube, das ist durchaus sehr hawking'sch!

""Mit der zweiten Frau geht es ein bisschen flotter dann""

Kassel: Man erwartet natürlich von einer Autobiografie mehr als nur eine Erklärung, die liefert er natürlich, seiner wissenschaftlichen Arbeit, man erwartet auch Persönliches. De facto liefert er das. Er schreibt über seine Krankheit, über seine beiden Ehefrauen, über seine Kinder. Aber da frage ich Sie jetzt, wenn ich mir die Rolle mal aussuchen darf, wieder in der Rolle des Schriftstellers: Als wie persönlich haben Sie das denn empfunden, hat man am Schluss das Gefühl, ich kenne ihn jetzt?

Woelk: Ich würde sagen: Jain. Also auf eine bestimmte Weise hat es mich durchaus fasziniert, wie er in seiner Art schreibt: Also dann passierte das, dann war meine erste Frau unzufrieden. Oder wie er diesen - da gibt es eine kleine Dreiecksgeschichte darin -, und wie er das in wenigen Sätzen erzählt, dass er ja eigentlich davon ausging, dass er sterben würde, das hatten ihm die Ärzte gesagt, und deswegen seiner Frau quasi die Lizenz gegeben hat, ein Verhältnis einzugehen mit einem Mann, von dem er dann dachte: Wenn er tot ist, kann der sie versorgen. Das fand ich schon sehr interessant. Natürlich fängt er jetzt nicht an, darüber zu reflektieren, seine Gefühle, seine Emotionen vielleicht dabei offenzulegen. Und trotzdem, aber der Grundkonflikt war doch da. Das hat mich schon durchaus beeindruckt. Mit der zweiten Frau geht es ein bisschen flotter dann, da sagt er: Na gut, die war dann irgendwann 'mal überfordert, und weil er auch oft starke Krankheitskrisen dann und Schübe hat. Und insofern würde ich sagen: Doch, da habe ich, glaube ich, schon auch ein Gefühl für die Person Stephen Hawking bekommen, für etwas, was dahinter liegt. Aber zweifellos haben Sie auch recht, es geht nicht natürlich in eine Tiefe der Reflexion dieser vielleicht auch emotionalen Zustände, die wir natürlich erwarten bei so einer Dreiecksgeschichte, beispielsweise.

Kassel: Wer das selber mal nachlesen möchte: Ab heute ist das Buch "Meine kurze Geschichte" von Stephen Hawking auch in deutscher Übersetzung erhältlich. Im Rowohlt-Verlag ist es erschienen. Bei uns im Studio war der Schriftsteller und Physiker Ulrich Woelke. Herr Woelk, ich danke Ihnen sehr!

Woelk: Ich danke Ihnen auch!

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