"Das ist das Gegenteil von gutem Regieren"

Volker Hauff im Gespräch mit Ernst Rommeney und Ulrich Ziegler |
Der Vorsitzender des Rates für nachhaltige Entwicklung, Volker Hauff, hat von der Bundesregierung einen klareren Kurs in der Umwelt- und Finanzpolitik gefordert. Auf politischer Ebene werde derzeit mit der Stange im Nebel herumgefuchtelt, sagte Hauff. Er kritisierte insbesondere die diskutierten Steuersenkungen, da Kanzlerin Merkel wisse, dass das nicht zum Erfolg führe.
Deutschlandradio Kultur: Die Große Koalition arbeitet an einem zweiten Konjunkturprogramm. Sind Sie der Bremser?

Volker Hauff: Na, wir sind nicht der Bremser, aber wir sind diejenigen, die das begleiten. Das ist auch unser Auftrag im Rat für nachhaltige Entwicklung, dem ich ja vorsitze. Da haben wir schon eine ganze Reihe von Fragen. Im Augenblick ist ja noch nichts endgültig entschieden. Aber was schon verwunderlich ist, ist die Tatsache, dass es einen ganz eigenartigen, paradoxen Wechsel bereits in den letzten Wochen gab.

Vorher gab es viele Menschen mit großem Einfluss, die der Meinung waren, der Staat müsste zurückgestutzt, der müsste schlanker werden. Da müsste man privatisieren, deregulieren und das sei die Zukunft und das verlange die Wirtschaftlichkeit und viele andere Dinge. Und heute sind es genau die gleichen Leute, die nicht müde werden, vom Staat Dinge zu fordern, wo man aus dem Staunen nicht rauskommt, was sie dem plötzlich alles zutrauen.

Früher war ich immer ein bisschen in der Versuchung zu sagen, nein, nein, der Staat hat schon eine wichtige Aufgabe. Der hat eine Ordnungsfunktion und muss Leitplanken setzen und dafür sorgen, dass Verträge eingehalten werden, dass es ein Haftungsrecht gibt, dass es ein Kartellrecht und Umweltschutz und viele andere Dinge gibt. Und jetzt bin ich ein bisschen in Versuchung denen zu sagen, also, nun überfordert bitteschön nicht den Staat. Das ist schon ein ganz eigenartiger Wechsel, der da stattfindet.

Aber was zur Zeit inhaltlich diskutiert wird, löst bei mir schon zwei grundsätzliche Fragen aus. Das eine knüpft an eine Erinnerung an, die ich habe. In den 70er-Jahren hatten wir eine Erdölpreiskrise - große wirtschaftliche Schwierigkeiten - und haben ein Zukunftsinvestitionsprogramm gemacht. Damals haben sich die Leute durchgesetzt, die gesagt haben, erst mal müssen die Schornsteine rauchen und dann kann man auch was für den Umweltschutz tun. Dann kann man sich darum kümmern, was aus den Schornsteinen rauskommt. Das war damals falsch, und es ist heute falsch. Ich fürchte, dass wir mitten drin sind, mit dem alten Denken Probleme zu behandeln, die ganz neu sind. Das ist das erste Grundsätzliche.

Das zweite Grundsätzliche ist, dass man gerade in den letzten Tagen den Eindruck hat, dass es gar nicht darum geht, die Sache zu klären. Es ist ja gar nicht klar, welches Problem eigentlich gelöst werden soll. Sondern es werden wirr irgendwelche Lösungsvorschläge gemacht und man hat den Eindruck, statt um die Klärung von Sachfragen, von Sachinteressen, geht es darum, Machtfragen zu klären und sich durchzusetzen. Und das ist dann schon ein Ergebnis. Das ist etwas bitter angesichts der Tatsache, dass wir wirklich vor sehr ernsten großen Herausforderungen stehen.

Was wir zur Zeit erleben: Da ist keine Richtung erkennbar. Statt Orientierung gibt es Orientierungslosigkeit, statt Klarheit gibt es Unklarheit. Und statt einer klaren Kommunikation, welche Probleme tatsächlich gelöst werden können, bleibt das alles ziemlich im Dunkeln.

Deutschlandradio Kultur: Was bleibt in so einer Krisenzeit auf der Strecke? Bleibt dieses sich etwas Zurücknehmen und mal über etwas Nachdenken auf der Strecke? Ist da nur der Druck da, möglichst schnell zu handeln?

Hauff: Wenn das Haus brennt, muss man löschen, das berühmte Bild. Da muss die Feuerwehr eingreifen. Man muss dann aber sehr rasch beginnen, darüber nachzudenken, wie man vielleicht den Brandschutz verändert. Was stimmt da eigentlich in der Ordnung nicht? Die ganze Diskussion kommt mir im Augenblick viel zu kurz. Wir diskutieren auch ganz falsche Alternativen. Es kann nicht darum gehen, Konjunkturprogramm oder Klimaschutz zu machen. Wir müssen beides machen.

Viele Leute in der Wirtschaft, zum Beispiel der neue Vorstandsvorsitzende von Siemens hat es expressis verbis laut und deutlich gesagt: Wir müssen beides machen. Wir müssen uns um Klimaschutz kümmern, und wir müssen auch die Wirtschaft wirklich wieder ankurbeln. Und er hat dazu ein Fünfpunkteprogramm vorgelegt. Von diesen fünf Punkten sehe ich bis jetzt keinen einzigen in dem berücksichtigt, was in der Bundesregierung und im Bundestag diskutiert wird.

Deutschlandradio Kultur: Sie sind 2001 Vorsitzender des Rates für nachhaltige Entwicklung. Wir haben seit dieser Zeit eine Nachhaltigkeitsdebatte in der Bundesrepublik. Eigentlich müssten Sie doch das Konzept schon im Regal haben, das man jetzt verwenden könnte, um zu prüfen: Machen wir ein Investitionsprogramm? Machen wir ein Konjunkturprogramm? Und wenn ja, welches?

Hauff: Wir haben schon eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht. Viele davon sind berücksichtigt worden, aber eine ganze Reihe von den Dingen, die wir vorgeschlagen haben, kommt nicht zum Zug. Das sind Entscheidungen, die wir nicht erzwingen können. Wir können nur mit Rat, mit Argumenten zur Verfügung stehen. Aber eins der großen Probleme, das unbearbeitet in der Gegend liegt, ist die Tatsache, dass 40 Prozent der gesamten Energie, die wir in der Bundesrepublik verbrauchen, im Zusammenhang mit Gebäuden steht - Heizung, Warmwasser und was da zusammenkommt.

Wir sind der Meinung, dass das der Bereich ist, der vorrangig angegangen werden sollte - auch bei einem Investitionsprogramm. Ich sage noch mal: 40 Prozent, das ist eine Rieseninvestitionssumme, die da ausgelöst werden könnte. Und seit Jahren wirklich sagen wir der Bundesrepublik: Bitte geht in eurem eigenen Gebäudebestand, der dem Bund gehört, mit gutem Beispiel voran.

Es sind dann bisschen Pilotprojekte gemacht worden, einfach um zu sagen, ja, das ist ja ganz nett und schön, was die da vorgeschlagen haben und wir machen das ja auch. Aber Tatsache ist, dass das Prognos-Institut vor Kurzem eine Studie vorgelegt hat, dass bis jetzt in die Zahl der Gebäude, die tatsächlich angegangen wurden, in einem einstelligen Prozentsatz liegt. Hier müsste der Bund mit gutem Beispiel vorangehen. Er müsste in seiner Beschaffungspolitik mit gutem Beispiel vorangehen.

Und er müsste zeigen, was im privaten Bereich tatsächlich gemacht werden kann, und dafür die geeigneten Möglichkeiten zur Verfügung stellen. Und das ist nicht nur Geld, sondern das sind auch Fragen, was an gesetzlichen Veränderungen notwendig ist. Was kann man tun, um den Verbraucherschutz, die Aufklärung zu verbessern, den Menschen zu helfen zu erkennen, wie vernünftig und richtig es ist, mehr für Gebäudeisolierung zu tun.

Das ist nur ein Beispiel. Energiesparende Haushaltsgeräte ist ein ganz anderes großes Beispiel, wo wir auch Vorschläge dazu gemacht haben und wo es Dinge auf dem Markt gibt und wo man nicht nur sagen kann, macht das bitte. Sondern es gibt Staaten, die machen das Frontrunner-Modell. Das heißt, man sagt: Das Produkt in einer bestimmten Produktklasse, zum Beispiel Tiefkühlschränke, das den niedrigsten Energieverbrauch hat, der Standard wird in drei Jahren für alle gelten. Da können sich alle drauf einstellen.

Das sind solche ordnungspolitischen Dinge, die das wirklich in Gang bringen und zeigen, es geht um die Zukunft. Wenn wir jetzt diese Riesenmengen Geld ausgeben, das ist Geld von unseren Kindern. Das müssen die irgendwann mal zurückbezahlen. Also sollten wir deren Interessen auch ein bisschen stärker berücksichtigen und nicht nur davon reden, irgendwelche Strohfeuer anzuzünden, wie durch Kraftfahrzeugsteuer und Ähnliches.

Ich frage mich manchmal, warum es innerhalb dieser Bundesregierung überhaupt gewagt wurde, darüber nachzudenken, Geländewagen im Zuge der Ankurbelung der Wirtschaft steuerlich zu begünstigen. Das ist ein Beispiel für diesen horrenden Unsinn, der gemacht wird. Es gibt auch gute Beispiele. Ich zähle dazu insbesondere, dass das Kurzarbeitergeld verlängert wurde. Das hilft tatsächlich, die jetzige Schwierigkeit zu überbrücken und den Weg in die Zukunft zu finden.

Deutschlandradio Kultur: Aber kommen Sie sich da nicht manchmal vor wie ein einsamer Mahner in der Wüste, der die ganze Zeit kritisiert und sagt, ihr müsst die Dinge anders machen, aber es passiert wenig - wie Sie eben schon gesagt haben -, wenn es um die öffentlichen Gebäude der Bundesregierung geht?
Hauff: Man darf sich durch sich nicht einstellende Erfolge nicht zurückwerfen lassen. Das sind dicke Bretter, die da zu bohren sind. Wer eine nachhaltige Entwicklung haben will, und ich will sie haben, der muss wissen, das ist eine Arbeit von einigen Jahrzehnten, diese Orientierung, bei Entscheidungen darüber nachzudenken, was wirklich Bestand haben wird.

Was davon ist auch für unsere Kinder gut? Was ist für unsere Enkelkinder gut? Dieses neue Denken, das erforderlich ist, wird man nicht innerhalb von einer oder zwei Legislaturperioden durchsetzen, sondern das ist ein Begriff, der wird dieses Jahrhundert prägen - in der Finanzwelt ebenso wie in anderen Bereichen.

Ich glaube, dass Herr Zeitler, der Vizepräsident der Deutschen Bundesbank recht hat, wenn er sagt: Wir brauchen eine an der Nachhaltigkeit orientierte Kreditpolitik. Das sind ganz neue Töne aus der Bundesbank. Das heißt, da ist was im Entstehen. Da sind neue Orientierungen schon da. Die muss man verstärken, da muss man dran arbeiten.

Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sagen, wenn ich einmal einen Rat gegeben habe und der wird nicht befolgt, dann schmeiße ich den Bettel hin. Sondern dann überlege ich mir neu, wie kann ich den Rat verbessern, wie kann ich den intelligenter machen. Wie kann ich den auch öffentlich so vortragen, dass er Menschen findet, die das mit unterstützen, die dann Druck auf diejenigen ausüben, die politische Verantwortung tragen oder die, die Verantwortung tragen in Unternehmen? Denn es ist ja keinesfalls so, dass das alles nur den Staat angeht.

Deutschlandradio Kultur: Wie kommt es, dass dieses neue Denken, wie Sie sagen, teilweise in der Wirtschaft schon praktiziert wird und in der Politik noch nicht angekommen ist?

Hauff: Es ist richtig, dass zur Zeit eine Entwicklung festzustellen ist, die schon seit Jahren anhält, dass man sich in der Wirtschaft ganz verstärkt um diese Dinge kümmert - nicht nur bei uns. Als Bush gesagt hat, die ganze Klimadiskussion ist alles Kappes, das brauchen wir nicht weiter verfolgen, das machen wir nicht, da haben sich eine Reihe von großen amerikanischen Unternehmen zusammengeschlossen, die GAP-Initiative, und gesagt: Unsere Regierung sagt, das sei kein Problem. Wir sind der Meinung, es ist ein Problem. Und wir werden uns jetzt drum kümmern. Und amerikanische Unternehmen haben festgelegt, was sie zur Reduzierung von Treibhausgasen beitragen.

Also, in der Wirtschaft geschieht in der Tat einiges. Aber auch in der Politik geschieht einiges. Uns werden noch die Augen und Ohren aufgehen, wenn wir über Amerika nachdenken. Denn so falsch die Politik der Bush-Regierung in Fragen der Klimapolitik war, so richtig wird sie unter Obama sein. Es werden da Veränderungen stattfinden, die wir im Augenblick noch gar nicht zu denken wagen. Und diese - vorsichtig formuliert - manchmal durchklingende Überheblichkeit, wir Deutschen seien hier besonders gut, wird sich sehr relativieren bereits in den nächsten Monaten. Da bin ich sicher. Also, auch in der Politik tut sich einiges. Man muss da geduldig einfach weiter dran arbeiten und die Dinge voranbringen.

Was mich manchmal wütend macht, ist die Tatsache, dass diejenigen, die wirklich mutwillig in der Finanzwelt Vermögen verspielt haben, auch öffentliches Vermögen verspielt haben und die Situation geschaffen haben, dass dies zu hoher Arbeitslosigkeit führt, die zu ganz ernsten Problemen führt, die für die Dritte Welt zu nahezu unlösbaren Problemen führen wird, dass die sich im Augenblick hinstellen und sagen: Ja Gott, wir haben alles richtig gemacht. Es war der Staat, der da versagt hat. Das kann schon einen gewissen Zorn in einem auslösen.

Deutschlandradio Kultur: Fangen wir noch mal von vorne an. Sind Sie überhaupt für ein Konjunkturprogramm oder für Konjunkturprogramme? Man könnte aus nachhaltiger Perspektive ja sagen, das gibt alles viel zu viele Schulden, und wir wissen gar nicht, ob es nicht in drei, vier Jahren eine erneute Krise gibt, die wir wieder mit neuen Investitionen und neuen Schulden beantworten müssen.

Hauff: Wir brauchen schon eine große Investitionsoffensive. Wir brauchen eine wirkliche Erfinder- und Entdeckerwelle. Wir brauchen eine dritte industrielle Revolution, weil das alles nur auch mit neuen Technologien zu bewältigen ist. Wir brauchen dazu auch eine Veränderung des Lebensstils, das ist richtig, aber auch neue Technologien.

Insofern ist so eine Offensive völlig richtig. Nur das, was zur Zeit diskutiert wird, da habe ich den Eindruck, dass Herr Kampeter, der haushaltspolitische Sprecher der CDU, recht hat, wenn er sagt, das weckt nur Illusionen, das wird nicht die Probleme lösen. Das ist meine Kritik, die Orientierung ist falsch. Ich hab den Eindruck, dass nicht mal eine Orientierung da ist, sondern man ergötzt sich an Zahlen und Größenordnungen von Zahlen und meint, damit seien Probleme zu lösen. Das schafft möglicherweise nur Probleme für kommende Generationen.

Deutschlandradio Kultur: Was würden Sie jetzt machen?

Hauff: Ich hatte Beispiele vorhin genannt. Der ganze Gebäudebereich zählt dazu, Energiesparen zählt dazu. Das heißt, nicht immer nur mehr Energie bereitstellen, sondern fragen, wie können wir die, die wir haben, besser nutzen. Da gibt es große ungenutzte Reserven. Alles zu tun, um die CO2-Emission zu reduzieren und das nicht nur national, sondern sehr viel stärker international.

Ich wundere mich, wie wenig im Augenblick angesichts einer Krise, die international ausgelöst wurde, auch über internationale Maßnahmen diskutiert wird, zum Beispiel über den internationalen Zertifikatehandel, dass der notwendig, dass der vernünftig und dass der richtig ist und dass der auch durchgesetzt werden muss und dass man den nicht opfern darf auf dem Altar. Wir müssen jetzt aber große, Riesenprogramme schaffen, weil das angeblich dann Arbeitsplätze schafft.

Ich erinnere mich sehr genau an die Wirkungen, die das berühmte Zukunftsinvestitionsprogramm in den 70er-Jahren gehabt hat. Es hat, was den Arbeitsmarkt angeht, die Probleme nicht gelöst, aber es hat einen Riesenschuldenberg geschaffen. Mein Eindruck ist, wir sind im Augenblick in der Situation, dass wir den gleichen Fehler noch einmal machen.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben eben gesagt, es gibt keine Orientierung. Aber wird der künftige US-Präsident Obama die Orientierung geben mit seinem so genannten "Green New Deal"?

Hauff: Ich glaube, dass das die richtig und vernünftige Orientierung ist. Ich habe vor Kurzem noch mal die Rede nachgelesen, die Roosevelt in den 30er-Jahren gehalten hat. Seine erste große Regierungserklärung als neu gewählter Präsident, wo er den "New Deal" verkündet hat. Was er dort gesagt hat, fand ich sehr überzeugend, dass er sagte: Das Erste und Wichtigste, worauf das amerikanische Volk ein Anrecht hat, ist, dass wir die Probleme so schonungslos beim Namen benennen, wie sie tatsächlich sind.

Und dass man da eben nicht über Pendlerpauschalen und solche Dinge rum hantiert, bevor man mal klar und präzise sagt: Welches Problem muss jetzt wirklich gelöst werden? Und in welchem Kontext steht das eigentlich? Das vermisse ich.

Deutschlandradio Kultur: Dann hätten wir doch eigentlich gar nicht über die Finanzkrise so lange sprechen brauchen, sondern hätten im politischen Thema der letzten Wochen bleiben können. In Brüssel und in Posen wurde darüber gesprochen, dass wir ein Klimaschutzprogramm für die ganze Welt brauchen. In Kopenhagen soll das in einem Jahr als Kyoto-Nachfolgeprogramm verabschiedet werden. Wir bleiben also im Thema, auch wenn wir jetzt ein Investitionsprogramm auflegen.

Hauff: Wenn das so orientiert wäre, wie ich das fordere, ja. Das halte ich für möglich. Aber das, was zur Zeit diskutiert wird, entspricht dem nicht. Ein solches Programm ist nicht nur notwendig aus Klimagründen, sondern auch aus ökonomischen Gründen. Es gibt ja die berühmte Untersuchung von Sir Nicolas Stern, dem britischen Volkswirt, der an der London School of Economics lehrt und der im Auftrag der britischen Regierung mal gefragt hat: Wie verhalten sich eigentlich die Schadenskosten, die durch hohe CO2-Emissionen entstehen, zu den Vermeidungskosten, die entstehen, wenn man etwas dagegen tut?

Er kam zu dem Ergebnis, dass die Schadenskosten ungefähr das Fünffache dessen betragen, was die Vermeidungskosten sind. Es macht also großen Sinn, auf dem Gebiet sich wirklich auf den Weg zu machen, diesen grundlegenden Wandel, der auch wirklich eine neue industrielle Revolution mit sich bringt, ein neues Denken mit sich bringt, auch neue Lebensstile mit sich bringen wird, tatsächlich voranzutreiben.

Die Münchner Rückversicherung hat vor wenigen Tagen wieder einmal veröffentlicht, wie hoch die Schäden durch Naturkatastrophen weltweit sind. Sie betrugen im abgelaufenen Jahr 2008 rund 200 Milliarden Dollar. Ein Jahr vorher waren das noch 82 Milliarden Dollar. Daran sieht man einfach, hier gibt es ein Problem. Da kann man nicht die Augen davor verschließen. Das Problem wird auch nicht vertagt, nur weil wir jetzt sagen, jetzt machen wir nur Wirtschafts- und Konjunkturpolitik.

Ich sage noch mal: Ich glaube, dass diejenigen recht haben, die sagen, wir müssen beides lösen. Wir müssen beides mit großer Tatkraft angehen, mit einer klaren Orientierung, so dass jeder der Beteiligten versteht, hier geht es nicht darum, dass die einzelnen Leute ihre Interessen durchsetzen und nur darauf schauen, ob das für sie steuerliche Vergünstigungen mit sich bringt, sondern ob daraus ein Zukunftsbild für unser Land wird, für den Globus als Ganzes, aber zunächst mal für unser Land, das die Menschen wirklich überzeugt.

Denn alles, was zur Zeit diskutiert wird, wird zwar zur Kenntnis genommen, aber eine wirkliche Begeisterung löst es nicht aus, weil einfach nicht deutlich wird, dass es da um ein Stück Zukunftsgestaltung geht.

Deutschlandradio Kultur: Hat denn dann eine der vielen Maßnahmen, die jetzt im ersten Konjunkturpaket schon verabschiedet worden sind, die jetzt für das zweite Konjunkturpaket diskutiert werden, überhaupt noch Bestand?
Hauff: Es geht nicht darum, einzelne Maßnahmen rauszupicken, sondern ich sage noch mal: Als erstes müsste es darum gehen, die klaren Kriterien zu benennen, warum eine Maßnahme eigentlich sinnvoll ist. Zu welchem Ziel soll sie eigentlich führen? Wenn ich keine klaren Ziele im Kopf habe, kann ich auch keine Maßnahmen diskutieren. Und im Augenblick fuchtelt man da - das ist mein Eindruck - auf der politischen Ebene mit der Stange im Nebel herum, ohne eine klare Vorstellung davon zu haben, was man tatsächlich will.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben jetzt über Investitionsprogramme gesprochen. Die andere Seite des Konjunkturprogramms ist die soziale Komponente oder die Seite für jedermann. Soll man Steuern senken?
Hauff: Das ist eine typische Frage, wo ich den Eindruck habe, hier werden wirklich Sachfragen durch Machtfragen ausgetauscht. Frau Merkel weiß, dass Steuersenkungen nicht wirklich zum Erfolg führen. Sie hat das ja lange, lange Zeit auch öffentlich so gesagt. Jetzt ist sie eingeknickt ganz offensichtlich, um Herrn Seehofer entgegen zu kommen und den Frieden zwischen CDU und CSU wieder herzustellen. Und jetzt im Augenblick hört man Signale, dass man auch in der Großen Koalition im Begriff ist zu sagen, um des lieben Friedens willen wollen wir da irgendwas machen.

Das ist das Gegenteil von gutem Regieren. Gutes Regieren müsste klar sagen, warum eine Maßnahme notwendig und warum die sinnvoll ist, und nicht dass sie dazu dient, Parteiinteressen zu befriedigen. Es geht darum, die öffentlichen Interessen, die Interessen derjenigen, die heute leben und die morgen leben, zu berücksichtigen und dann darüber nachzudenken.

Und wenn man über Steuersenkungen nachdenkt, dann bitteschön in dem Kontext: Was dient eigentlich wirklich unseren Kindern? Es wäre schon ein Riesengewinn, wenn man das Ehegattensplitting endlich mal durch ein Familiensplitting ersetzen würde, das heißt, den Kindern, den Familien mit Kindern eine wirkliche Steuervergünstigung zu geben. Das hätte eine langfristig klare Perspektive. Das wäre auch eine klare Botschaft, die - wenn man sie richtig kommuniziert - auch verstanden werden würde.

Deutschlandradio Kultur: Nachhaltigkeit und klare Ziele zu benennen, wird in diesem Jahr vielleicht etwas schwierig werden, einem Superwahljahr, so Parteien natürlich in erster Linie daran denken, Wahlgeschenke zu verteilen und die Leute auf ihre Seite zu ziehen.

Hauff: Ja, das kann sein, dass das schwierig ist. Aber ich glaube, dass die Zeit gekommen ist, und Amerika ist ein Beispiel dafür, dass - wenn man wirklich eine klare Überzeugung hat, aber man darf da nicht zittern, man darf da nicht zaudern, sondern muss klar und deutlich sagen, was man will und warum man das für richtig hält, und für seine Sache tatsächlich kämpfen - vieles von dem, was wir unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit diskutieren, durchaus mehrheitsfähig ist.

Das muss intelligent gemacht werden. Ich bin der Letzte, der der Meinung ist, nur wenn man das ins Schaufenster stellt, sei das bereits Allgemeingut geworden. Aber diese öffentliche Auseinandersetzung, der wirkliche Streit darüber, wie wir in der Zukunft leben wollen, und da die Menschen wirklich mitzunehmen und sie nicht nur als Konsumenten zu behandeln, denen irgendwelche Slogans vorgesetzt werden, nur damit sie dann ihr Kreuz an der richtigen Stelle machen, das steht auch bei der Erneuerung der politischen Kultur an. Wir werden eine nachhaltige Entwicklung nur kriegen, wenn es auch eine Erneuerung der politischen Kultur gibt. Das ist wohl wahr.

Deutschlandradio Kultur: Aber da muss sich ja eigentlich nicht widersprechen - nicht Wahlkampf und Nachdenken über nachhaltige Politik. Man kann ja unterschiedliche Konzepte auch selbst der Nachhaltigkeitsprüfung unterstellen und sagen, man habe eine Antwort darauf. Trotzdem: Sind die Politiker schon so weit Ihrer Meinung nach?

Hauff: Ich glaube, dass die pauschale Feststellung, was "die" Politiker anbetrifft da fehl am Platze ist. Da gibt es Riesenunterschiede. Im Übrigen, noch einmal aus meiner Sicht: Nachhaltigkeit ist nicht nur eine Sache, die die Politik angeht. Sehr, sehr vieles betrifft ganz andere Menschen. Vor 20, 30 Jahren war die Wissenschaft eine der treibenden Kräfte, die dafür gesorgt haben, dass es eine wirkliche Erneuerung im Denken gab und man den Umweltschutz etwas ernster nahm.

Heute kommt es vor allem darauf an, die Produzenten, also diejenigen, die in Unternehmen Entscheidungen treffen, und vor allem auch die Konsumenten dafür zu gewinnen, dass eine nachhaltige Entwicklung vernünftig und richtig ist und dass sie ihre Entscheidungen daran orientieren. Wir haben dazu im Rat für Nachhaltigkeit eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, wie ein nachhaltiger Warenkorb eigentlich aussehen könnte, was man da tun kann, um die Menschen in die Lage zu versetzen, dass sie das auch tatsächlich tun können. Da gibt’s schon eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Die können noch verbessert werden.

Gerade das ist ja der Punkt, dass man das Problem nicht so diskutieren darf, dass man nur auf die Politik schaut. Sie hat eine ganz wichtige und unverzichtbare Rolle, keine Frage. Sie setzt den Rahmen für all die Entwicklungen, die da stattfinden. Aber zu meinen, sie könnte das allein tun, sozusagen Allmacht der Politik anzunehmen, das wäre ganz falsch. Die Verbraucher sind eine ganz, ganz große und wichtige Kraft, die es zu stärken gilt und dafür auch Einrichtungen zu schaffen, die sie stärken, die Informationen zur Verfügung zu stellen. Die Information so transparent zu machen, dass sie wirklich verstanden werden kann, dabei wiederum kann die Politik eine große Rolle spielen.

Deutschlandradio Kultur: Wie wollen Sie es schaffen, die Bevölkerung, also die Verbraucher mitzunehmen, dass dort auch ein Umdenkungsprozess stattfindet, dass man sein Leben vielleicht anders ausrichtet?

Hauff: Ich will zunächst mit einem Beispiel aus der Wirtschaft beginnen. Das stammt aus der Schweiz. In der Schweiz gibt so genannte Runde Tische zur Energieeinsparung, wo man Informationen austauscht, wie man Energie einsparen kann unter den Unternehmen. An diesen Runden Tischen in der Schweiz sind mittlerweile Unternehmen aktiv beteiligt, die ein Drittel des gesamten industriellen Energieverbrauchs der Schweiz ausmachen. Die tauschen sich regelmäßig aus, was eigentlich getan werden kann, um Energie zu sparen, und helfen sich damit gegenseitig.

Es gibt auch in den Kommunen eine ganze Vielzahl von Initiativen, die dann den Bürgern zur Verfügung stehen. Es gibt viele Städte, die da wirklich Vorbildliches leisten, auch in der Beratung der Bürger, in dem Verbinden von unmittelbaren Interessen von einzelnen Menschen und dem lokalen Handwerk.

Viele Städte haben solche Initiativen und unterstützen das auch und leisten damit einen sehr, sehr wirksamen Beitrag dazu. Aber es gibt natürlich auch Initiativen, die bundesweit da sind, die ja den Menschen helfen durch Kennzeichnung von bestimmten Produkten, sich darüber zu informieren, wenn sie Kaufentscheidungen treffen.

Aber das Ganze bleibt eine große Aufgabe, von der ich überzeugt bin, dass sie in großem Maßstab wirklich nur richtig in Gang kommen wird, wenn es klar ist, dass es nicht ein Projekt von vielen einzelnen ist, die privatisierend vor sich hingehend versuchen, da einigermaßen vernünftig zu leben, sondern wenn es ein großes gemeinsames Projekt unseres Volkes wird. Das war das Entscheidende bei Roosevelt beim New Deal. Und diesen Durchbruch zu schaffen, daraus ein Projekt zu machen, wo die Menschen erkennen, das ist unsere Zukunft und daran wollen wir gerne mitwirken, das muss von der Politik kommen.

Deutschlandradio Kultur: Also ist Deutschland noch gar nicht in der Spur, die Ziele des Jahres 2020 erreichen zu wollen?

Hauff: Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung hat ja 21 Indikatoren, die festlegen, woran man Nachhaltigkeit eigentlich misst. Man sagt, eine nachhaltige Landwirtschaft messen wir an dem Eintrag von Stickoxid pro landwirtschaftlich bewirtschafteter Fläche. Oder die Energieeinsparung messen wir an der Energieeffizienz. So gibt es 21 Indikatoren. Wir haben im letzten Jahr einen Bericht erstellt, den so genannten "Ampelbericht", wo wir gesagt haben, welche dieser 21 Indikatoren stehen eigentlich auf Rot, welche stehen auf Gelb und welche stehen auf Grün. Von den 21 Indikatoren, die die Bundesregierung selbst definiert hat, steht über die Hälfte auf Rot und zwei Drittel auf Rot oder Gelb.

Es gibt einige, da gibt es natürlich große Fortschritte. Das läuft in eine sehr vernünftige Entwicklung. Da sind wir völlig auf der Spur. Ich glaube, dass wir vorbildlich bei dem ganzen Thema erneuerbare Energien dastehen. Da sind wir gut unterwegs. Aber in vielen anderen Bereichen gibt’s noch einen großen Nachholbedarf. Also, das Bild ist nicht ganz einheitlich.
Aber es ist so, dass die Maßnahmen, die bisher getroffen wurden, nicht ausreichen, um das zu erreichen, was man sich vorgenommen hat.

Das hängt eben auch daran, dass das Thema nicht ernst genug genommen wird. Mit "ernst genug" meine ich nicht, dass die Leute, die damit umgehen, das nicht ernst nehmen. Sondern mit "ernst genommen" meine ich durchaus eine handwerkliche Seite, dass man dem, was man als Ziele festgelegt hat, auch eine Verbindlichkeit gibt, dass es Monitoring-Prozesse gibt, dass man in regelmäßigen Abständen prüft, sind wir tatsächlich auf der richtigen Spur.

Wir haben keinen Mangel an Zielsetzungen. Unsere Zielsetzungen gerade in der Bundesrepublik, was die Nachhaltigkeit angeht, sind sehr gut. Aber wir haben ein wirkliches Defizit in wichtigen großen Bereichen der Umsetzung, der Implementierung, der Verwirklichung dessen, was man sich als Ziel vorgenommen hat. Insofern ist die Suche, eine neue Art der Verbindlichkeit zu finden, eine der großen Herausforderungen, vor denen die derzeitige Bundesregierung steht.

Deutschlandradio Kultur: Herr Hauff, wir danken Ihnen für das Gespräch.