Das Internet in Spanien

Ein Impuls zur Politisierung?

Ein Teilnehmer der traditionellen Oster-Prozession in Leon in Spanien macht am 5.4.2015 ein Foto mit seinem Smartphone.
Digitales Spanien: Auch bei der traditionellen Oster-Prozession darf das Smartphone nicht fehlen. © picture-alliance / dpa / J. Casares
Von Daniel Sulzmann · 13.08.2015
Die spanische Polizei Guardia Civil hat mehr Follower bei Twitter als das FBI. Die junge Partei Podemos setzt auf digitale Kommunikation. In Andalusien gibt es sogar ein Twitter-Dorf. Wie das Internet in Spanien Politik und Gesellschaft verändert, berichtet Daniel Sulzmann.
Das Telefon klingelt: Es ist ein altmodisches Geräusch. Doch die Presseabteilung von Podemos, der jungen, aufmüpfigen Partei scheint unbesetzt zu sein. Wer auf den Anrufbeantworter spricht, bekommt keinen Rückruf. Podemos, so heißt es unter Kollegen, antwortet nur auf Nummern, die der Partei bekannt sind. Podemos heißt "wir können." Die Partei war der politische Shootingstar des Frühjahrs in Spanien. Modern, radikal, sozial. Es war alles drin. Und es sollte wohl auch eine Geschichte des Internets sein. Denn Podemos ist ohne die Neuen Medien undenkbar.
Wenn Generalsekretär Pablo Iglesias eine Rede hält, dann ist alles im Netz abrufbar, die ikonographischen Sätze, die nach den alten Regeln der Redekunst formuliert, jetzt immer und immer wieder nachhörbar sind. So wie hier in Valencia, als Iglesias im Frühjahr schon meinte, das Ende der konservativen Regierung Rajoy hören zu können:
"Tick, Tack" - "Lasst uns Mariano Rajoy eine Botschaft senden, Tick-Tack, nach dem 31. Januar beginnt die Nach-Rajoy-Ära."
Iglesias twittert viel und bekommt viel Resonanz. Schreibt er etwas über ein Buch, einen Artikel, bekommt er hunderte von Posts von Sympathisanten und Gegnern. Die Presseabteilung von Podemos arbeitet mit Interviewauszügen, versendet ganze Pressekonferenzen per Mail. Gibt sich damit schnell und flexibel.
Paranoia, nein Danke! Der Korrespondent Daniel Sulzmann erläutert im Interview mit Isabella Kolar den Pragmatismus der Spanier im Internet. Audio Player
Der Twitter-Bürgermeister von Jun
Flexibel sein, transparent, das ist auch das Argument eines Bürgermeisters im Süden von Spanien. Hier in Jun, einem Dorf unweit von Granada läuft die Gemeindeverwaltung inzwischen komplett über Twitter. Warum? Der Bürgermeister verspricht sich davon eine moderne Verwaltung, die nah am Bürger ist. Juan Antonio Rodriguez hat vielleicht eine Revolution ausgelöst in Spanien. Er ist plötzlich Star in Talkshows, die sich ansonsten sicher nicht für die 3500 Einwohnergemeinde Jun interessiert hätten. Schon die Ankündigung bei seinen Fernsehauftritten spricht Bände:
"Heute Nacht sprechen wir mit einem Mann, der täglich 129 E-Mails beantwortet." sagt der Moderator in der Late-Night-Show. 129 Mails am Tag, das ist nicht gerade wenig, aber wenn ein Politiker sein Projekt Politik 2.0 nennt, dann ist das irgendwie auch folgerichtig. Als er in Kalifornien war, besuchte er den Firmensitz von Twitter:
"Ich habe ihnen gesagt, dass ich der Bürgermeister von Jun bin und dass ich mit einem Verantwortlichen von Twitter sprechen möchte, und sie haben mir gesagt, dass sie um 12 Uhr mit mir essen können, warum, weil Jun das Twitter-Dorf ist."
Kein Wunder, dass der Mann so begeistert ist von der Firma mit dem hellblauen Vögelchen im Logo, dass die Firmenchefs in Kalifornien gar nicht anders konnten, als ihren größten Fan zu empfangen. Twitter ist in Jun inzwischen allgegenwärtig. Das zeigt sich in ganz praktischen alltäglichen Dingen:
Dieser Einwohner erklärt erst mal, mit was die Gemeindeverwaltung sich auf Twitter beschäftigt. Es geht zum Beispiel um die Bezahlung der Steuern fürs Auto:
"Zuletzt habe ich erfahren, dass ich die Kfz-Steuer von Juli bis August bezahlen soll."
Sagt dieser Mann auf der Straße. Twitter in Jun. Das ist ganz alltäglich. Alte, Junge, die ganze Gemeinde wird vernetzt und erschlossen.
"Man kann zum Beispiel sehr gut sehen, ob es neue Angebote für Arbeitsplätze gibt – Twitter ist gut, um ganz schnell die neuesten Nachrichten zu erfahren."
Dieser an sich banale Satz ist der Kern der ganzen Geschichte. Der Politiker 2.0 möchte tatsächlich mehr direkte Demokratie praktizieren. Er holt weit aus, wenn er begründet, warum er sein Projekt 2.0 genannt hat:
"Die Demokratie in Spanien ist wie von Motten zerfressen, wir leben in der repräsentativen Demokratie des 19 Jahrhunderts, von Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, wo alle zufrieden waren, weil man den Absolutismus hinter sich gelassen hatte, und einen Staat geschaffen hatte, der eine repräsentative Demokratie war, zum Beispiel die Verfassung von Cádiz von 1812, die die fortschrittlichste ihrer Zeit war. Aber das wollen die Bürger jetzt nicht mehr. Sie wollen die Aufgaben nicht mehr delegieren, sie wollen Aktivität, sie wollen eine Reaktion. Das ist das, was wir eine aktive Demokratie nennen."
Vertrauen durch Transparenz
Aktiv heißt im Netz. Schnell. Transparent. Der Sozialist aus Jun, der auch gerne mal Bilder von der Gedenktafel für die 13 im Ort von Francotruppen erschossenen jungen Leute twittert, will, dass die Menschen wieder Vertrauen in die spanische Politik gewinnen. Er sieht das Mitteilungenschreiben im Kurznachrichtendienst als etwas an, das dieses Vertrauen schaffen kann, das die Politik im politik-verdrossenen Spanien voranbringt:
"Die Politiker hier haben eine gewisse Angst, die sozialen Netze zu benutzen, weil sie fürchten, die Kontrolle zu verlieren. Die politischen Parteien fürchten, dass sie die Kontrolle verlieren, auch über den Parteiapparat mit dieser direkten Demokratie. Aber es dient jetzt schon den Parteimitgliedern, es sind eben nicht vier Leute in einem Büro, die die Entscheidungen dominieren. Deshalb glaube ich, dass das die Zukunft ist. Warum muss man das tun, damit es wieder Vertrauen in die politische Klasse gibt, das erste, was wir ändern müssen ist die Form der Politik. Eigentlich muss man ja gar nicht mehr erwähnen, was sich alles verändert hat, das Fernsehen zum Beispiel und andere Formen der Kommunikation. Es gibt immer mehr Formen der Frage und Antwort, des Hin und Her, des direkten Dialogs, die so im Moment in der spanischen Politik nicht existieren."
Also hatte der junge Student recht, der auf der Puerta del Sol diesen Satz sagte?
"Tenemos que cambiar todo y empezamos de Nuevo."
"Wir müssen alles ändern und noch mal von vorne anfangen."
Alles ändern, heißt das auch, sich auf einen Kurznachrichtendienst zu stützen? Alles andere beiseitelassen, Kontrolle und Dominanz zuzulassen? Das wäre ein Problem in einer direkten Demokratie, wie sie Antonio Rodriguez vorschwebt, der mit seinem Twitterdorf in der sozialistischen Partei mit Sicher-heit ein absoluter Vorreiter ist. Seine Worte von der direkten Demokratie dürften auch die Podemos-Vertreter mit Wonne hören. Warum also Twitter?
Wieder erklärt es der Bürgermeister 2.0 mit seinem Sinn fürs Praktische:
"Twitter ist das soziale Netzwerk, das im Moment gerade total angesagt ist, alle können gleichzeitig alles verfolgen. Twitter ist der Motor der sozialen Netzwerke."
Ob er diese Sätze ernst meint oder nicht, ist nicht zu ermitteln. Fest steht aber, der Mann mit dem Faible für Kurznachrichten scheint durchdrungen von seiner Botschaft. Immer wieder wird mantrahaft eingehämmert, dass es ohne die modernen Medien in der Politik nicht mehr geht:
"Wenn eine Person ein Interview verabreden möchte, dann geht das ja inzwischen auch mit einem Medium wie YouTube, Fernsehen, wenn man so will, das im Internet steht und da kann man sich direkt verabreden. Man braucht keinen Pressechef, den man erstmal wegen der Verabredung fragen muss, denn es gibt keinen, und man braucht keinen. In der Politik 2.0 gibt es keine Filter."
Dieser Satz kommt so harmlos daher. Er ist aber in einer Gesellschaft wie der andalusischen hochpolitisch. Es gibt Gemeinden, die beschäftigen ganze Heerscharen von Presseangestellten. Das ist im Süden Spaniens manchmal eine verdeckte Form der Korruption, der Vetternwirtschaft, die hier eine lange Tradition hat. Vielleicht ist es auch deswegen so, dass die Politik in Spanien das Angebot von Bürgermeister Rodriguez eher höflich übersieht.
Die PP biedert sich an
Hofiert wird er weder von seiner Partei noch wird von den anderen, den Konservativen, den ganz Linken anerkannt, dass da einer etwas Neues macht, das genauso revolutionär ist wie das Medium, das er benutzt. Er ist selbst ein Medienstar geworden. Die etablierten Kräfte versuchen es eher mit Anbiederung. So hat die sehr konservative und in Spanien gerade mit absoluter Mehrheit regierende Partido Popular im Wahlkampf um die Regionen im Frühjahr versucht, in der bitterarmen Extremadura junge Wähler mit Rap-Einlagen zu gewinnen.
"Ich verteidige meine Heimat. Ich glaube mehr an die Menschen als an die Politik. Extremadura ist meine einzige 'Doktrin'", singt sie. Ganz im Stile eines amerikanischen Musikvideos. Der rhythmische Sprechgesang löste sofort eine kontroverse Debatte im Wahlkampf aus. Die Sängerin musste sich verteidigen, gibt an für die Aufnahmen kein Geld bekommen zu haben. Doch der jugendliche Impetus nützt der Partido Popular nichts: Ssie wird abgewählt, es regieren seit dem Frühjahr wieder die Sozialisten in der Extremadura. Denn die war schon immer eine Hochburg der Sozialisten. Da nutzen auch die modernen Rap-Texte von der Verteidigung der Heimat und der ach so politiklosen Politik, die sich eigentlich nur an den Menschen orientieren soll, nichts mehr.
Es kommt etwas zum Tragen, was bei allem Getwitter, bei aller Zurschaustellung von Politik auf Facebook und direkter Demokratie ein wenig hinten ansteht, aber umso wichtiger ist: Tradition. Die gerät allerdings beim Eventcharakter der Neuen Medien auch in Spanien unter die Räder. Früher war die Guardia Civil ein Instrument der Unterdrückung im Franco-Staat. Die Polizeikräfte galten als Musterbeispiel für Demokratieferne, von den ganz Linken stets und immer als Faschisten gebrandmarkt.
Heute, 40 Jahre später, mit einem modernen, lebensfrohen, demokratischen und gereiften Spanien im Rücken, versuchen die Polizisten alles, um selbst modern zu arbeiten. Mit erstaunlichen Ergebnissen: Die Guardia Civil hat mehr Follower auf Twitter als das amerikanische FBI. Über 1,1 Mio Menschen. Carlos Guerra führt die Twittereinheit der spanischen Polizei. In einem hellen Büro in der Madrider Innenstadt sitzen inzwischen 8 Polizisten, die sich ausschließlich mit dem Internet, den Tweets und den Followern beschäftigen:
"Wir sprechen die Menschen einfach sehr persönlich und sehr direkt an. Manchmal mit einem Augenzwinkern und immer mit Sympathie."
Die digitale Strategie der Polizei
Es ist die neue Polizei, die so gar nichts von Francos Obrigkeitsstaat hat. Es passieren sogar Pannen, die in Deutschland vermutlich für gewaltige Diskussionen, Skandale, Rücktritte sorgen würden, im immer toleranten modernen Spanien aber nur intern Staub aufwirbeln. Einmal fragte ein Follower die Polizei per Twitter an, wie er am Besten einen Joint ins Flugzeug schmuggeln könnte. Die Antwort der Sicherheitskräfte lapidar: "Versuch es doch mit einer Zigarettenschachtel". Das fanden die Vorgesetzten gar nicht lustig, meint Carlos Guerra:
"Danach habe ich fünf Tage nicht geschlafen, aber das ist halt das Risiko, wenn man permanent twittert, direkt und schnell, jeden Tag."
Doch die Twitter-Polizei hat auch reale Effekte. Mehr als 500 Festnahmen führen die Guardia-Civil-Leute auf Meldungen von Spaniern per Twitter zurück. Vor allem im Drogenmilieu. Und die Twitter-Follower der Polizei kriegen einiges geboten:
"Die Leute fragen uns, wie wir arbeiten, sie möchten kuriose und interessante Videos von Einsätzen sehen und auch Raschläge bekommen."
Festnahmen werden spektakulär inszeniert und ins Netz gestellt. Man sieht auf dem Boden liegende Kriminelle in Handschellen, die von martialisch aussehenden Polizisten umringt sind. Man sieht Beamte, die riesige Geldbündel fächerartig entfalten, um die Mengen an Drogengeld zu zeigen, die beschlagnahmt wurden. Die Aufnahmen zeigen natürlich immer nur die Erfolge, zu Medienterminen werden nur gutaussehende Polizisten und Polizistinnen abgestellt. Das passt zur Strategie der neuen Freundlichkeit und Offenheit. Allerdings, wer mit den Neuen Medien nichts zu tun hat, der kann bei der Polizei in Spanien auch immer noch anrufen. Das Telefon wird klingeln. Es ist ein vertrautes, altmodisches Geräusch.
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