"Das Internet ermöglicht die Entscheidung aus dem Bauch heraus"

Burkhard Wilke im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Des Geschäftsführers des Deutschen Instituts für soziale Fragen, Burkhard Wilke, hält es für gut, dass durch Internet-Plattformen auch kleinere Organisationen die Möglichkeit bekommen, sich darzustellen und für Spenden zu werden. Allerdings könne es im Kleinen genauso gut unseriöse Angebote geben wie im Großen, warnt Wilke.
Liane von Billerbeck: Sie nennen sich Weltretter oder betterplace.org, und sie sind im Kommen: Internet-Plattformen, die sozialen Projekten aus aller Welt ein Forum bieten und um Spenden werben. Spender erhalten die Möglichkeit, sagen sie, sich zu informieren, wohin ihr Geld geht. Sie können Netzwerke knüpfen und entscheiden, was sie spenden: Geld, Kleidung oder beispielsweise auch ihre Arbeitskraft.

Vorige Woche war Till Behnke hier im "Radiofeuilleton" zu Gast, der Gründer von einer solchen Plattform, von betterplace.org, und heute wollen wir kritisch hinterfragen, ob das alles so wunderbar ist, wie das die Online-Spendenplattformen behaupten. Und dazu haben wir uns Burkhard Wilke eingeladen, den Geschäftsführer des Deutschen Instituts für soziale Fragen. Herzlich willkommen.

Burkhard Wilke: Schönen guten Tag.

Von Billerbeck: Was tut Ihr Institut?

Wilke: Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen dokumentiert Spendenorganisationen, wir dokumentieren darüber hinaus aber auch soziale Arbeit insgesamt. Wir sind 1893 hier in Berlin gegründet, geben Hilfen für Helfer, ursprünglich also auch für die, die als Fürsorger, als Sozialarbeiter direkt Menschen helfen. Das tun wir heute auch noch.

Wir haben die umfassendste deutsche Fachbibliothek für Sozialarbeit, Sozialpädagogik, einen kleinen Verlag mit einer Fachzeitschrift. Und seit etwa 100 Jahren geben wir Auskunft über Spendenorganisationen. Zunächst vor allem die sozialen Spendenorganisationen, also humanitär-karitative, seit vier Jahren vergeben wir unser Spendensiegel aber auch an alle anderen gemeinnützigen, also auch Umweltschutz-, Naturschutzorganisationen.

Von Billerbeck: Befassen Sie sich da auch bei dieser Vergabe eines Spendensiegels mit solchen Internet-Plattformen? Gibt es so ein Spendensiegel überhaupt schon?

Wilke: Das Spendensiegel gibt es für Spendenorganisationen seit 16 Jahren. Es haben jetzt zurzeit 236 Hilfsorganisationen, die insgesamt rund 1,4 Milliarden Euro Spenden sammeln, also rund ein Drittel bis die Hälfte des geschätzten Gesamtspendenvolumens. Und das Spendensiegel ist gedacht für die Organisationen, die überregional, in der Regel bundesweit Spenden sammeln, weil da der Informationsbedarf der Menschen erfahrungsgemäß besonders groß ist. Bei den lokal sammelnden, regional sammelnden Organisationen, da können die Leute die Vereine, die Stiftungen auch selbst gut einschätzen, weil sie ihnen viel näher sind.

Über das Spendensiegel hinaus gibt das DZI aber auch Auskunft zu etwa 350 Organisationen ohne Spendensiegel, die auch überregional sammeln, zu denen wir regelmäßig Anfragen bekommen. Und da sind etwa 10 Prozent dieser Auskünfte negativ. Das heißt, wir haben seit etwa 100 Jahren eine umfassende Erfahrung in der unabhängigen Spenderberatung, in der Auskunftserteilung zu Spenden sammelnden Organisationen.

Von Billerbeck: Das heißt, Sie sind also ein kompetenter Gesprächspartner, uns zu sagen, ob diese Online-Spendenportale möglicherweise seriös oder unseriös sind, und wir haben also in der vorigen Woche mit dem Gründer eines solchen Spendenportals gesprochen, mit Till Behnke. Hören wir doch erst mal, was er dazu sagt, warum so ein Spendenportal eine gute Sache ist.

Till Behnke: Uns geht es vor allem um die ganzen sehr kleinen und mittelgroßen Initiativen und Vereine, die zum Teil gar nicht die Möglichkeit haben, selbst Internetinfrastruktur aufzubauen und vor allem Online-Spenden entgegenzunehmen. Und denen bieten wir die Möglichkeit, unsere technische Infrastruktur zu nutzen und so ein Gesicht zu bekommen und auf unserem Marktplatz dann auch eine große Zahl von potenziellen Unterstützern zu erreichen.

Von Billerbeck: Herr Behnke [meint Wilke, Anm. d. Redaktion], das klingt doch wunderbar, was ist daran auszusetzen?

Wilke: Es ist sicherlich gut, wenn auch kleinere Organisationen die Möglichkeit bekommen, sich darzustellen in der Öffentlichkeit, aber natürlich muss man auch sehen, ob auch diese Aktionen seriös sind. Gerade im Kleinen kann es genauso gut unseriöse Angebote geben wie im Großen, und wenn man von größeren Organisationen Wirtschaftsprüfungen verlangt, wenn es sinnvoll ist, dass sie ein Spendensiegel freiwillig beantragen, wenn sie sich mit transparenten Jahresberichten darstellen müssen, dann sollten auch kleine Aktivitäten eine gewisse Basistransparenz haben, ansonsten kann auch da das Geld in die falschen Kanäle fließen, gar nicht mal unbedingt nur, dass kriminell in die eigene Tasche gewirtschaftet wird, sondern einfach, dass die Projekte nicht wirklich so gut sind, wie sie es versprechen zu sein.

Also insofern einerseits ein guter Marktplatz, vor allem die Idee von "betterplace", auch Meinungen von Spendern, Erfahrungen auszutauschen, subjektiv. Die finde ich interessant, aber man sollte die nicht mit zu großen Erwartungen befrachten. Wenn "betterplace" auf der Internetseite unter seinen eigenen Fragen und Antworten sagt, die Einzelmeinungen der Spender, die sich hier quasi austauschen können, sind insgesamt schlauer und sind wirksamer als alle Evaluationen, alle externen Überprüfungen, die es so gibt, dann halte ich das doch für sehr gewagt.

Von Billerbeck: Nun wird ja oft die Kritik geäußert, gerade an großen Hilfsorganisationen, dass so viele, so ein großer Anteil der Spendengelder eben für Verwaltungskosten drauf geht und viel weniger, als man erhofft als Spender, bei den Projekten ankommt. Wahrscheinlich ist das auch ein Grund, nämlich dass Online-Spendenportale damit werben, dass viel mehr Geld - manche sprechen sogar von 100 Prozent - bei den Projekten ankommt, dass sie eben durchaus erfolgreich sind.

Wilke: Bei einem Online-Spendenportal gibt es ja zwei Ebenen, zwei Hauptebenen, auf denen Kosten entstehen können: Zum einen bei dem Online-Portal selbst, es muss ja auch aufgestellt werden, es muss sich finanzieren, zum anderen bei der Organisation, an die das Geld weitergegeben werden kann. Und wenn man auf "betterplace" zum Beispiel, aber auch vor allem die anderen Spendenportale schaut, dann geht das Geld in vielen Fällen ja eben doch an Organisationen, nicht an einzelne Individuen, die überhaupt keine Struktur um sich drumherum haben, sondern auch erfahrene Organisationen wie Care und andere haben inzwischen auf "betterplace" und den anderen Plattformen auch Projekte gestellt.

Das heißt, es sind nicht nur die kleinen privaten Projekte. Aber auch kleine private Initiativen merken bei ihrer Arbeit sehr schnell - das ist die Erfahrung, die wir immer wieder gemacht haben -, dass eine gewisse Größenordnung von Arbeit eben nur noch mit einer gewissen Verwaltung dann auch gemacht werden kann. Zum Beispiel haben wir gerade in Katastrophenfällen immer wieder dann verzweifelte Anrufe oder E-Mails bekommen von kleineren Organisationen, sie haben hier Sachspenden gesammelt …

Von Billerbeck: Und sie können die gar nicht verwerten.

Wilke: … und stehen an der Grenze zu der Ukraine und können sie dort gar nicht verwenden. Oder sie haben einen Transport gemacht mit enormen Schwierigkeiten und bitten jetzt, dass wir dann quasi eine mittelgroße oder eine größere, erfahrenere Organisation vermitteln, die ihnen helfen kann, diese Art Know-how dann auszugleichen und über diese praktischen Schwierigkeiten ein Projekt wirklich umzusetzen, drüber hinwegzukommen.

Nach unserer Erfahrung haben große, mittelgroße und kleine Organisationen und Initiativen jeweils alle ihre Stärken für sich, sie haben aber auch ihre Risiken für sich. Und wichtig ist, dass jede Organisation, egal wie groß sie ist, diese Stärken und Risiken richtig erkennt und optimal einsetzt. Und das heißt, kleinere Aktionen sind oft flexibler.

Sie sind, wenn das Projekt genau passt auf ihre Kompetenz, wenn es zum Beispiel ein Arzt ist, der dieses Projekt gestartet hat, und er kooperiert mit einem Krankenhaus in einem Dritte-Welt-Land oder in einem osteuropäischen Land und bringt da sein Know-how und vielleicht sein persönliches Netzwerk genau ein, dann kann das sehr passgenau sein. Sobald er aber schon beginnt, weil er vielleicht mehr Spendengeld bekommt, sich mit einem zweiten, einem dritten Krankenhaus zu verbinden, dort im Empfängerland, vielleicht mit einem zweiten Nachbarland auch anzufangen mit der Arbeit, dann braucht er ein größeres Netzwerk. Und wenn er das alles versucht, noch zu Nulltarif dann zu organisieren, dann entstehen sehr schnell blinde Flecken, die die Spender oft gar nicht erkennen, die Organisationen sich oft auch nicht eingestehen wollen. Aber wenn die Arbeit in dieser Form wächst, muss auch die Personalkompetenz, muss auch in gewisser die Verwaltungskompetenz mitwachsen.

Von Billerbeck: Deutschlandradio Kultur, über Online-Spendenplattformen sprechen wir mit Burkhard Wilke, dem Geschäftsführer des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen. Herr Wilke, wer finanziert eigentlich solche Plattformen?

Wilke: Die Finanzierung ist so unterschiedlich wie die Plattformen an sich. Die ersten Plattformen wurden vor zehn, zwölf Jahren gegründet. Und die heute wohl am meisten genutzte Plattform ist schon zehn Jahre alt, das ist HelpDirect.org. Diese Plattform basiert auf einem reinen, gemeinnützigen Rechtskörper, das heißt, sie ist auch rein aus gemeinnützigen Mitteln finanziert. Und diese Plattform ermöglicht nicht nur die Spende, die Online-Spende an einzelnen Projekte, sondern auch gezielt an Organisationen.

Und diese Plattform gibt den Nutzern auch die Information, welche Drittprüfungen die betreffenden Organisationen absolviert haben, ob sie das DZI-Spendensiegel tragen, ob sie in einem der bekannten etablierten Dachverbände Mitglied sind. Und die Plattform beschreibt auch, was mit der jeweiligen Mitgliedschaft oder Prüfung verbunden ist, welche Art von Verbindlichkeit damit verbunden ist. Es gibt andere Plattformen, die rein Dienstleistungszweige, gewerbliche Agenturen sind.

Es gibt zum Beispiel spenden.de, eine Plattform, die eine Dienstleistung eines Fundraising-Dienstleisters ist in Nordrhein-Westfalen für seine Kunden, also einen gewerblichen Hintergrund hat. Für den Nutzer einer solchen Plattform ist das oft nicht so zu erkennen. Und die neueren Plattformen, wie betterplace, wie Helpedia, haben häufig eine kombinierte Finanzierung aus Startfinanzierung von einigen Unternehmen und dann dem Bestreben oder der Absicht, sich durch Gebühren dauerhaft zu finanzieren.

Soweit ich weiß, will betterplace sich ja durch Beratungsgebühren gegenüber Unternehmen, die ihre sozialen Aktivitäten darstellen, finanzieren, auch indem sie diesen Unternehmen im Grunde eine Werbeplattform bietet. Das heißt, dann ist es eine Mixfinanzierung aus gemeinnützigen und auch eigenen kommerziellen Einnahmen.

Von Billerbeck: Nun behaupten Teile der Betreiber von solchen Online-Spendenplattformen, sie würden eine neue Kultur des Helfens ins Leben rufen. Was meinen Sie, Herr Wilke, welche Folgen haben diese Spenderplattformen für die traditionelle Art zu spenden?

Wilke: Es hat immer schon Spenden gegeben, die quasi aus dem Bauch heraus gegeben wurden. Und das Internet ist ein schnelles Medium. Das Internet ermöglicht von daher die Entscheidung aus dem Bauch auch heraus. Aber die stabile Spenderbeziehung, die ist in der Vergangenheit immer nur zwischen einem Spender und einer bestimmten Organisation aufgebaut worden.

In den letzten zehn bis 20 Jahren hat sich das so entwickelt, dass es nicht immer dieselbe Organisation ist, sondern die Spender auch Beziehungen zu anderen Hilfsorganisationen, teilweise auch anderen Zwecken, also vom sozialen weggehend eben auch mal im Umweltschutz ein Organisationen zu unterstützen, aber die wesentliche Identifikation ist doch die des Spenders zu der entsprechenden Organisation.

Das über einen Mittler zu tun, das erkennen wir selbst auch in unserer Arbeit: Wir sind seit vielen Jahrzehnten Informationsmittler, aber das Entscheidende ist letztlich das Vertrauen des Spenders, dem wir die Information geben, in die jeweilige Organisation und nicht das Vertrauen in die Mittlerorganisation.

Von Billerbeck: Online die Welt retten - was von Spendenplattformen im Internet zu halten ist. Das war mein Thema im Gespräch mit Burkhard Wilke vom Deutschen Institut für soziale Fragen. Ich danke Ihnen.