Das Herz von meinem Paris

Von Jörg Hafkemeyer |
Er ist der große alte Mann des deutschen Journalismus. Er ist ein wichtiger Zeitzeuge des vergangenen Jahrhunderts: des Zweiten Weltkrieges, der Zeit des Kriegsendes, des Wiederaufbaus im Westen Deutschland und der deutsch-französischen Aussöhnung, Verständigung: Georg-Stefan Troller, Jahrgang 1921, wohnhaft in Paris. Dort spielt sein letztes Buch über seine geliebten, geheimen Plätze. In der Stadt, die in fasziniert, in der er so viele einfache Menschen, so viele Prominente getroffen, interviewt, gefilmt hat.
Ist der Journalist und Fernsehautor Georg-Stefan Troller eigentlich ein Romantiker?

"Ich denke ja, dass ganz versteckt, verborgen, verheimlicht der Erfolg meiner journalistischen Sachen darauf beruht."

Georg-Stefan Troller darüber, wie es dazu kam, den Schriftsteller Ezra Pound im Pariser St. Germain zu interviewen.

"Ezra Pound kam nach Paris, war schon geistesschwach, war schon ganz schwer angeschlagen und Natalie sagte ihm, Ezra hier ist deine Chance, dich noch einmal deinem Publikum zu stellen. Ich hatte nichts vorbereitet, habe improvisieren müssen und darum wurde es so gut."

Der Vollbart ist grau geworden. Die Haare sind zu einem kurzen Zopf zusammengebunden. Die Augen schauen wach. Registrieren jede Kleinigkeit. Dann die Stimme.

Unverkennbar. Nachdrücklich. Georg Stefan Troller steht, in einen Trenchcoat gekleidet, auf dem Bürgersteig in der Nähe des Cafe Flore im Pariser St. Germain des Pres. In der Hand sein neuestes Buch "PARIS GEHEIM": Spaziergänge durch eine Metropole. Eine Art Spurensuche. Auch in seinem Lieblingsviertel, dem Saint Germain des Pres. Im Rücken den Boulevard St. Germain blickt er die schmale Rue Saint Benoir hinunter. Zeigt mit der rechten Hand auf ein Restaurant.

"Le Petit Saint Benoir. Ein ganz kleines Esslokal. Mit den frechsten Kellnerinnen von Paris. Einem handgeschriebenen Menü, das man nie lesen kann und wenn die Kellnerinnen sauer sind, werden immer neue Leute zu ihnen an den Tisch gesetzt. Le Petit Saint Benoir ist ein Lokal für verarmte Intellektuelle, sagen wir mal so, oder Intellektuelle, die es noch nicht geschafft haben .Hier kommen die entzückendsten Mädchen von Paris aus ihrem Lycee, aus ihrer kleinen Mädchenschule heraus, aus Nr. 18 in der Rue Saint Benoir."

Troller dreht sich nach rechts, unterbricht sich, weist auf ein zweigeschossiges weißes Haus, an einem schmalen Durchgang gelegen, weiter die Straße hinunter. Bleibt stehen.

"Nebenan ist, wir können ja mal gucken, ein wunderschönes Graffitto mit Marguerite Duras, der berühmten Autorin, die hier lebte, an der Ecke hier vorne und die auch immer im Petit Saint Benoit verkehrte. Das ist doch schon nicht schlecht."

Rue Guillaume Apollinaire, Ecke Rue Saint Benoir. Troller dreht sich um, blickt auf ein viergeschossiges, helles Haus, das saniert wird. Weiße, blinde Fenster. Ein Haus mit Geschichte.

"Ursprünglich ein Bordell. Ein Bordell, das auch von dem Dichter Apollinaire, nachdem dieses kleine Gässchen hier heißt, besucht wurde. Also mit rotem Plüsch und so weiter, das gab es schon zu meiner Zeit nicht mehr. Das ganze Eck gehört ja eigentlich Satre und Simone de Beauvoir, hier wohnten sie ja in der Rue Bonaparte, der Platz heißt ja nach ihnen. Gegenüber ist ein kleiner Park mit einer Picasso-Büste von Apollinaire."

Die Straße hinauf zum Boulevard St. Germain füllt sich an diesem sommerlichen Herbsttag mehr und mehr mit Menschen. Eine Gruppe älterer Ehepaare, aus Japan, ausgerüstet mit Digitalkameras, Stadtplänen, Rucksäcken, Schirmmützen, kurzen weißen Socken, Sportschuhen und großen Sonnenbrillen wird ausgeführt von einer französisch sprechenden Japanerin.
Sie erklärt den ungläubig Zuhörenden das St. Germain. Die Welt der Existentialisten, der Literaten und Sänger, der Maler und der Lebenskünstler.
Troller interessiert das nicht. Er hat diese Zeit in sich, hat sie gelebt, achtet auf ganz andere Dinge. Eben noch immer der Reporter.

"Also hier gibt es einen Jazzspieler ..., Also als ich nach Paris kam, um hier zu wohnen, 49 als Student, saßen die Jungs auf der Straße am Bordstein vor dem Tanzlokal Club Saint Germain des Pres. Und dieses berühmte Foto wie die davor sitzen um vier Uhr morgens oder so, war eigentlich das, was mich nach Paris gebracht hat. Dieses Gefühl von Freiheit, Unabhängigkeit und von jugendlichem Übermut, das, na ja und Edith Piaf in ihrem schwarzen Kleid auf der Schallplattenhülle. Das waren die zwei Dinge, weswegen ich nach Paris kommen wollte."

Der Saxophonist sammelt ein paar Münzen ein, verbeugt sich nach allen Seiten, zieht weiter. Troller blickt ihm lächelnd nach.
87 Jahre ist der gebürtige Wiener jetzt alt. Kennt Paris wie kein anderer. Autor des Buches "PARIS GEHEIM". In ihm nimmt er den Leser mit durch alle Arrondissements. Er geht die Rue Saint Benoir hinunter.

Mit festem Schritt. Noch einmal zu jenem niedrigen weißen Haus, der von ihm so geschätzten Schriftstellerin Maguerite Duras.

"Hier hat sie gewohnt, Marguerite Duras. Sie war ja sehr zugänglich. Hat ja auch immer Freunde untergebracht in ihrer Wohnung. Sie war sehr gastfreundlich, sehr freigiebig. Und da die jungen Studenten und Intellektuellen oft keine Wohnung hatten, keine Unterkunft hatten, hat sie sie bei sich untergebracht, in diesem schönen Haus. Espace des Femmes, der Raum der Frauen steht hier, das ist ein kleiner Laden. In dieser Sackgasse, die ursprünglich eine Straße war, die durchführte, aber jetzt zugebaut ist, wie das schon manchmal passiert. Dieses Haus ist halt jetzt weiß gestrichen, aber auf der Mauer, auf dem Mäuerchen, zu dem Eingang von dem Haus von Marguerite Duras, ist ein wunderschönes Graffitto gemalt mit ihr, mit ihrem Porträt und darauf steht, "Aus einem Wort den schönen Liebhaber eines Satzes machen"."

Dann stutzt er einen Moment. Schaut genauer hin. Entziffert die von einem Unbekannten hinzu gefügten Zeilen:

"Ein Zyniker. "Und aus einer Phrase einen Dreckhaufen von Worten". So ist das, weil nicht jeder die Prosa von Marguerite Duras geliebt hat. Ja, ich fand auch die Frau toll und dann stellte sich heraus, dass sie als junge Frau eine so großartige Liebende gewesen war."

Troller ist unermüdlich. Geht weiter. Der Mann ist eine Fernsehlegende und ein Abenteurer. Ein Menschenfischer, der mehr als 150 Porträtfilme und mehr als 2000 Interviews macht. Der durch sein Viertel, wie er sagt, spaziert und auch durch seine Erinnerungen. Er ist ein genauer Beobachter, ein guter Erzähler und ein geduldiger Zuhörer. An der Ecke der Rue Saint Benoir zur Rue Jacob, im tiefen Saint Germain, zwei schmale Häuser lehnen sich aneinander, kommt so eine Erinnerung zur Sprache.

"Nun ja, als ich als Student hier war, sah ich mich auch als Autor oder Poet und das Poetenlokal des Viertels war dieses jetzt Braun gestrichene und übrigens leer stehende, damals Bar Vert genannt, kleine Lokal, Cafe und Bar, in dem unter anderem die Greco verkehrt hat und die Brüder Prevert und so weiter, die hatten die ersten deutschen Platten der Dreigroschenoper im Original und spielten die auch auf einem alten Grammophon ab. Das war damals sensationell, kannte niemand. Und da ging ich hin, manchmal zwei-, dreimal die Woche am Abend aus Meinung Wohnung in der Rue des Ecole und hab hier geschrieben, weil man nach Wiener Tradition ja in einem Kaffeehaus schreiben muss. Und nicht am Schreibtisch …Irgendetwas wird hier gespielt aus einem der offenen Fenster."

Saint Germain. Kopfsteinpflaster. Schmale Bürgersteige. Wenige Bäume. Torbögen. Einfahrten mit schweren, alten, hölzernen Flügeltüren verschlossen. Zwei, drei Höfe dahinter. Holztreppen, ausgelatschte Stufen, führen nach oben.

Es ist anziehend, geheimnisvoll, mit einer ganz eigenen Atmosphäre. In diese Stadt kommt der noch junge Georg-Stefan Troller 1949. Voller Erwartungen.

"Es war halt zukunftsträchtiger für mich, weil man ja in dem Alter doch nicht weiß was aus einem wird. Und diese Unsicherheit, dass möglicherweise noch alles drin ist, das ist ja das Aufregendste an der Jugend. Nachher weiß man dann, das und das war drin und das war es dann."

Aus einem weit geöffneten Fenster in der ersten Etage eines Haus in der Rue Jacob erklingt Juliette Greco. Troller schaut hoch, neigt den Kopf, bleibt stehen, hört zu. Sie singt darüber, dass sie nicht mehr 20 ist. Die Greco wohnt auf der anderen Seite der Seine, im Marais, einst ein Arbeiter-, dann auch ein Künstler- und Literatenviertel, heute ist es teuer wie Saint Germain.
Und wie seine überwiegend kleinen, alten Hotels. Von einem in der Rue Jacob ist der Journalist besonders fasziniert.

"Hier wohnte Hemingway als er 1921 als junger Reporter, als Sportreporter, für eine kanadische Zeitung rüber kam, wohnte in dem Hotel, das jetzt La Villa heißt, und dessen früheren Namen ich leider jetzt vergessen habe. Das war seine erste Adresse in Paris, übrigens auch.

Die von Fitzgerald, der dann ganz schnell reich wurde, während Hemingway immer arm blieb. Und hier in diesem Cafe an der Ecke gab es die furchtbare Szene, wie Fitzgerald Hemingway gefragt hat, ob sein Geschlechtsorgan noch ausreicht, um Frauen zu befriedigen. Und Hemingway sagte, geht noch grad. Das alles fand auf der Toilette hier statt. Gertrud Stein, für mich war Fitzgerald soviel Mann wie Hemingway je gewesen ist. "

Scott Fitzgerald ist zu jener Zeit ein berühmter Mann. Sein Roman "Der große Gatsby", macht ihn schneller reich und erfolgreicher als Hemingway. Erinnert sich Troller.
Junge Leute eilen vorbei in Richtung Medizinische Fakultät der nahe gelegenen Pariser Universität. Beachten das Hotel Villa nicht, das einmal Hotel Angleterre hieß. Mehr als 1000 Euro kostet die Übernachtung in Hemingways Zimmer. Troller schüttelt den Kopf. Findet den Preis obszön.


"Aber in dieser Straße ist noch einer der schönsten Orte zu finden, den ich jetzt zeigen möchte … darf ich?"

Noch immer in der Rue Jacob, ein paar Schritte weiter: Ein elfenbeinfarbenes Haus mit einer dunkelblauen Tür, die ziemlich vergammelt aussieht. Ein wichtiger Platz für den alten Journalisten.

"Hier lebte einmal über 50 Jahre hinweg eine von den drei großen Salonschlangen von Paris. Die eine war ja Sylvia Beach, von Shakespeare und Company, die andere war Gertrud Stein und die dritte war Natalie Barney. Eine amerikanische Autorin, alle drei Lesbierinnen. Alle drei haben einander mehr oder weniger gehasst. Und in diesem Salon wurde Rilke empfangen. Hier habe ich ein Interview, das einzige Fernsehinterview, das es gibt, glaube ich, mit Ezra Pound gedreht. Und die gute Natalie war damals 90. Pound war 80. Sie lebte beim Trocadero. Wurde von einem französischen Politiker, der ihre Wohnung aufgekauft hat, verdrängt, aus ihrer Wohnung und musste noch mit 90 Jahren übersiedeln.
Sie war berühmt für die wunderschönen Frauen, mit denen sie lebenslang Verhältnisse hatte. Und für die interessanten Leute, die sie hier in ihrem Salon empfangen hat. Gertrud Stein nur ein einziges Mal."

Gleich um die Ecke von der Rue Jacob, ein geradezu enger Ort. Kopfsteinpflaster natürlich.

Aus einem Straßengully plätschert Wasser. Läuft die Rue Visconti hinab in die Rue de Seine. Tiefer in das Zentrum des Saint Germain, von Paris, ist kaum einzudringen.

"Na ja, es ist die einzige Straße in Paris, wo die Straßenkehrer mit einem einzigen Schwung die Straße reinigen können, weil sie so eng ist. Sie müssen einmal von links nach rechts und von rechts nach links, Es ist eine Straße, die damals berühmt war dafür, dass das die einzigen Hugenotten waren, die in Paris die Bartholomäusnacht überlebt haben. In dieser Straße. Möglicherweise weil sie so eng war, dass die Leute sie übersehen haben. Die einzigen Protestanten, die in Paris überlebt haben, waren hier."

An ihrem unterem Ende trifft die nicht mehr als 300 m lange Straße auf die Rue de Seine. Sie verbindet den Boulevard Saint Germain mit der Seine. Der 87-Jährige geht in Richtung Fluss, bleibt vor einer der vielen Galerien stehen, entdeckt nichts, geht weiter.


Zu einem kleinen Platz. Mit einem Restaurant. La Palette. Tische draußen. Es wird geraucht. Geredet. Gelacht. Geschrieben. Postkarten. Von den wenigen Touristen, die sich hierher verirren und sich von den ruppigen, aber herzlichen Kellnern malträtieren lassen. Das Herz von Paris.

"Au coeur de mon Paris. Das Herz meines Paris. Ecke Rue de Seine und Calaux. Also, das Viertel der Kunstgalerien, der Buchhandlungen, der interessanten Leute. Moderne Kunst, was es so an moderner Kunst gibt, ist eigentlich in dieser Straße am besten zu sehen, was zu verkaufen ist, meine ich, nicht das Museale. Zu meiner Zeit kannte ich ja sehr viele Leute längs dieser Straßen. Jetzt sind sie alle weg. Im Ruhestand. Haben ihre Millionen verdient an moderner Kunst. Ob sich das halten wird, weiß ich auch nicht. Oder vielleicht endet es hier bei dem schönen grünen Wagen der vorbei kommt: Müllabfuhr."

Der große Müllwagen kommt knapp um die Ecke. Biegt in die Rue de Seine ein. Eine Einbahnstraße hinunter zur Seine. Niemand in der Palette stört sich an dem Lärm. Troller auch nicht. Er ist immer Reporter. Erzähler.

"Wir sitzen hier in der Palette. Die Palette ist, na ja, eines der letzten Jungkünstlerlokale in Paris. Eigentlich ein ganz einfaches Cafe, wo man auch ein bisschen was essen kann. Mit sehr viel Freilufttischen. Und eine Art Zelt. Anständige, gemütliche Kellner. Keine hohen Preise und die Palette ist so einfach geblieben, eigentlich wie sie vor 50 Jahren war. Und das ist eine Ausnahme in Paris.
Sie hat Widerstandskraft. Na ja, Widerstandskraft bedeutet ja, dass man sich nicht den modernen Trends anschließt. Gucken sie mal den Chef da an…..dieses Gesicht, diese Fresse, diese Ausdrucksweise. Das ist wirklich noch le populeaux, das Volk von Paris. Auch die Grobheit gehört dazu, die Unrasiertheit und die Tatsache, dass die Stühle hier angekettet sind, weil sie das Gefühl haben, man wird ihnen sonst einen Kaffee oder einen Stuhl stehlen.
Und auch die laute Stimme mit der die Leute angebrüllt werden. Das gehört alles dazu. Aber die Leute, die herkommen, lassen es sich gefallen, weil sie eben die Stimmung so mögen."

Troller genießt die Atmosphäre in der Palette. Den Nachmittag in der Rue de Seine. Der Straße in die auch Georges Sands zieht. In sein Saint Germain. Nicht einmal lehnt er sich zurück.

Dabei schaut er ganz fröhlich drein. Er ist gesund, ein wenig zwickt der Rücken. Er hat ein gutes Leben mit einem Haus im Westen Frankreichs. Er ist ein bescheidener Mann geblieben, sitzt da bei seinem Kaffee an dem runden, kleinen Tisch in der Palette. Lebt sehr in der Gegenwart mit seinen 87 Lebensjahren. Damit ist er älter als die Palette. Die gibt es seit 80 Jahren. Troller könnte damit Zeitzeuge fast eines Jahrhunderts sein.

"Eigentlich nein. Mein Vater war es. Mein Vater wurde geboren im Jahr der Erfindung des Automobils. Und starb mit 91 zur Beendigung des Vietnamkrieges. Das ist ein Zeitzeuge. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich mein Jahrhundert oder die 87 Jahre, die ich mit gemacht habe, meine Zeit repräsentiert. So nicht. Eher, sagen wir die Entwicklung der Medien, dafür bin ich Zeitzeuge, aber Zeitzeuge der Entwicklung der Menschheit oder Europas oder der Weltpolitik, als solches kann ich mich nicht fühlen."

Er zahlt bei dem großen, lauten, kräftigen Ober mit dem Dreitagebart, den kurzen, grauen Haaren. Er kommt aus dem Elsass und plötzlich spricht er Deutsch. Troller macht ein erstauntes, überraschtes Gesicht. Er kennt den Mann lange. Nie hat der mit ihm Deutsch gesprochen. Die beiden geben sich die Hand, Au revoir. Auf Wiedersehen. Nach rechts die Rue de Seine hinunter zum Quai Voltaire, der breiten Straße die am linken Seineufer entlang führt. Vor einem Fotoladen, mit großen Fenstern bleibt er stehen, blickt sich um.

"Wir sind da, wo die Rue de Seine praktisch in die Seine mündet. Daher ihr Name. Auf der einen Seite die Akademie Francaise. Auf der anderen Seite eben die ganzen Kunsthandlungen in der Rue de Seine. Und hier an der Ecke, wo wir stehen eines der größten Fotoarchive Europas Roger Violet. Jedenfalls das Größte von Paris, in dem sich jeder mit Fotos, vor allem die Medien, die Zeitungen, Zeitschriften mit Fotos aus Paris, aus Frankreich aber besonders aus Paris versorgen kann, die weit, weit zurück gehen ins 19. Jahrhundert."

Vom Quai Voltaire dringt der Lärm in die vergleichsweise schmale Rue de Seine. Georg Stefan Troller ist ganz begeistert von den vielen schwarz-weiss Fotografien in den Fenstern.

"Und das ist ein Archiv aus dem ich mich selber auch einmal versorgt habe für ein Frankreichbuch. "

Der alte Reporter geht die Rue de Seine hinauf zum Boulevard Saint Germain, vorbei am Haus, in dem Georges Sands lebte, vorbei am Hotel de Seine und der Bar du Marche, der Marktbar, in der die Ober in Blaumännern die Gäste rum kommandieren.

An Boutiquen und Schuhgeschäften in altem Gemäuer. Nach ein paar 100 Metern steht Troller vor dem Cafe Flor. Hier haben sie gesessen die Satres, die Beauvoirs, die Grecos, die Piafs einer ganzen Generation. Eine Zeit, die man anhalten möchte.

"Jetzt sage ich ihnen mal einen schönen Satz mit dem ich eines meiner Bücher beendet habe. Es gibt ja in allen Sprachen, die ich kenne, einen Ausspruch: Wenn die Jugend bloß wüsste, wenn das Alter bloß könnte. Dazwischen aber liegt, wenn man einigermaßen Glück hat, eine Strecke, in der man sowohl kann wie weiß. Das ist die schönste Zeit."

Ein Ober, jung, weiße Schürze, weißes Hemd, schwarze Hose, weiße Tennisschuhe, bringt Tee, Wasser und ein Käse-Omelette. Troller beginnt zu essen, unterbricht sich, stutzt und sagt, wo er ist.

"Im ersten Stockwerk des Cafe Flore, genannt Sibirien. Weil, wenn man sich zur Schau stellen will, also Figur machen, was ja für Pariser sehr wichtig ist, muss man natürlich unten im Erdgeschoss sitzen. Levy sitzt unten und Semprun sitzt unten, Beigbeder sitzt unten. Ich sitze oben."

Dann isst er weiter. Erzählt, dass er ein neues Buch vorbereitet. Der große alte Mann des deutschsprachigen Journalismus.

Der berühmt wird in der ersten Hälfte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in der ARD mit seinem Pariser Journal. Einen Riesenerfolg hat. Knapp zwei Jahrzehnte nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, erinnert er sich.
Viele seiner unzähligen Gesprächspartner sind tot. Er hat sie überlebt mit seinen bald 90 Jahren. Stolz schaut er drein. Hebt den Kopf und erwähnt zwei Namen. Woody Allen, der hat mich nicht gemocht. Und: Romy Schneider. Troller verehrt sie. Macht das letzte Fernsehinterview mit ihr vor ihrem Tod.

"Romy war ergreifend. In ihrer Offenheit, in ihrer Verletzlichkeit. In ihrer Hingabebereitschaft. In ihrer völlig verfehlten Hingabebereitschaft an die falschen Männer. In ihrem ungeheuer guten Willen das Richtige zu tun, anzukommen, geliebt zu werden und dieses deutsche Publikum hat sie ja, nachdem sie die Sissi-Filme aufgab, nach Frankreich kam, gehasst. Sie wurde ja von den Deutschen Fertig gemacht, wie Marlene Dietrich. Als Verräterin, um so mehr, als sie dann noch einen französischen Liebhaber hatte, Alain Delon, was ja auch nicht ging: Wo bleibt der deutsche Mann. Romy war ein unglückliches Wesen, aber eine so große Liebende und immer bereit, sich neu zu verlieben. Das war dermaßen überwältigend bei ihr. Und … man musste sie gern haben."

Die grauen Augen sehen traurig aus. Hinter den Brillengläsern.
Die schlanken Hände liegen parallel neben dem leer gegessenen Teller.
Georg-Stefan Troller sitzt aufrecht da. In Sibirien. In der ersten Etage im Cafe Flore. In Saint Germain des Pres. In seinem Herzen von Paris. Das wars.