Das Herz in den Händen
Gabriel Orozco zählt zu den wichtigsten Künstlern der Gegenwart. In einer großen Überblicksausstellung zeigt das Kunstmuseum Basel Installationen, Skulpturen, Fotografien, Malereien und Zeichnungen des 1962 geborenen Mexikaners.
Einen gewissen Hang zu Extremen kann man dem mexikanischen Künstler Gabriel Orozco nicht absprechen. 1997, bei der großen Skulpturenschau in Münster, wollte er mitten in der Stadt ein veritables Riesenrad zur Hälfte im Boden versenken – das gigantische Werk blieb damals ein Gedankenspiel. Vier Jahre zuvor verblüffte er das Publikum der Biennale von Venedig mit nichts als einem leeren weißen Schuhkarton.
Zwischen Rummelplatz und Wunderkammer, zwischen Großprojekten und dem schieren Nichts schwankt auch seine Schau im Kunstmuseum Basel. Gleich im ersten Saal parkt sein berühmtestes Werk, ein Automobil der Marke Citroën DS, Baujahr 1960, seinerzeit ein recht mondänes Kultgefährt, sagt Museumschef Bernhard Mendes Bürgi:
"Er hat diesen Citroën DS, der ja sehr aerodynamisch bereits als Form geschnitten ist, hat er zerteilt, er hat praktisch das dreigeteilt und das mittlere Drittel rausgenommen und wieder zusammengebracht. Und das gibt eigentlich ein ganz neues, seltsames Gefährt, es wird eben zur autonomen Skulptur, und die ganze Form wird eigentlich überspitzt."
Ein Witz auf Rädern ist dabei herausgekommen, die kümmerlich verschlankte Version eines automobilen Fetischs. Und man sieht: der alte Surrealistentrick der Verfremdung verfängt noch immer. Er ist sogar Orozcos Arbeitsprinzip, denn als Bildhauer verändert er lieber, als dass er Neues schafft.
Da steht auch ein rostiger Container mitten im Raum. Wer den rätselhaften Koloss von hinten betritt, findet sich in einer ausgebauten Liftkabine aus Chicago wieder, inwendig beleuchtet, mit Spiegelwänden und Schalttafel. Doch Orozco hat die Kabine in der Höhe auf sein eigenes Körpermaß reduziert – eine klaustrophobe Situation.
"Bei ihm geht es sehr stark immer wieder um dieses Körpergefühl, die Körpererfahrung, und mich erinnert es eigentlich so ein bisschen an eine Grabkammer."
Ein bisschen Himmel, ein bisschen Hölle, so ist das bei Orozco. Und wenn er einem menschlichen Schädel mit dem Grafitstift ein schachbrettartiges Muster verpasst, ist das ein Memento Mori, das im allgegenwärtigen Knochengeklapper der mexikanischen Volkskultur wurzelt.
Orozco ist ein Beobachter, der noch den einfachsten Dingen oder Gesten eine Poesie entlockt, die uns staunen lässt. Er fotografiert den vergänglichen Atemhauch auf dem schwarzen Lack eines Konzertflügels, und wenn der Abdruck seiner zusammengepressten Hände eine Herzform aus gebranntem Ton entstehen lässt, ist auch das ein Bild der puren Poesie.
Das konzeptuelle Herzstück der Schau ist ein riesiger weißer Tisch, auf dem zahllose Gegenstände und Fundstücke ausgebreitet sind, die er gesammelt hat als eine Art plastisches Skizzenbuch. Lädierte Fußbälle und verschrumpelte Orangen, mit Bleistift bezeichnete Walknochen und die Schalen exotischer Früchte, Plastik-Spiegeleier, Verpackungen, seltsam geformte Steine und Hölzer, archaisch anmutende Maschinenteile und andere Kuriositäten fügen sich zu einem Weltbild, aus dessen Arsenal der Künstler schöpfen kann.
Erhabenes liegt neben Lächerlichem, die Anmut der Natur behauptet sich gegen die morbide Schönheit des Verfalls, und man kann ewig davor stehen bleiben, gefangen von der Aura dieser Dinge.
Es ist eine Art Archäologie des Alltags, die der Mexikaner da betreibt, indem er verschiedene Kulturen mischt, ständig unterwegs zwischen seinen Wohnsitzen in Mexiko, New York und Paris.
"Dieses nomadische Moment ist eigentlich sehr prägend bei ihm. Und dieses Unterwegssein wird praktisch genutzt auch, um Arbeit zu machen. Also es ist weniger die klassische Arbeit im Atelier, sondern man reist, man schaut, man greift auf, man macht vielleicht sogar vor Ort etwas, das ist sehr spezifisch."
Solche Kunst lebt naturgemäß stark vom Konzept und dessen gelungener Umsetzung. Aus dem Telefonbuch der mexikanischen Stadt Monterrey hat Orozco die Seiten herausgetrennt und alle Namen weggeschnitten, sodass nur die Spalten mit den Nummern blieben – eine endlose, anonyme Litanei von Ziffern, hinter denen sich lauter Menschen verbergen, auf eine Rolle aus Japanpapier geklebt, 25 Meter lang.
Orozco sprengt, wenn nötig, alle Konventionen, er präsentiert uns ein absurdes Schachbrett mit 256 Feldern und 60 Springerfiguren und reizt die Regeln der Kunst aus bis an ihre Grenzen.
Im letzten Raum hängen zwei Dutzend grau verfilzte Matten aus dem Flusensieb eines Wäschetrockners auf den Leinen. Staub, Textilfasern, Haare und Hautpartikel haben sich zu fragilen, unappetitlichen Lappen vermengt – eigentlich frisch gewaschen, und dennoch mit dem Stigma des Schmutzigen behaftet.
Und in der Ecke vor dem Ausgang liegt eine schwarze, schmuddelige Plastilinkugel auf dem Boden. Sie wiegt etwa so viel wie der Künstler selbst. 1993, bei seiner ersten Museumsschau in New York, hatte Orozco sie eigenhändig durch Manhattan gerollt, durch Unrat, Staub und Straßendreck, hinein ins Museum. Und wir verlassen diese spannende Schau nicht ohne das Gefühl, dass da noch mehr ins Rollen kommt als nur der pure Dreck.
Service:
Die Ausstellung ist bis zum 8. August 2010 im Kunstmuseum Basel zu sehen, danach in Paris und London.
Zwischen Rummelplatz und Wunderkammer, zwischen Großprojekten und dem schieren Nichts schwankt auch seine Schau im Kunstmuseum Basel. Gleich im ersten Saal parkt sein berühmtestes Werk, ein Automobil der Marke Citroën DS, Baujahr 1960, seinerzeit ein recht mondänes Kultgefährt, sagt Museumschef Bernhard Mendes Bürgi:
"Er hat diesen Citroën DS, der ja sehr aerodynamisch bereits als Form geschnitten ist, hat er zerteilt, er hat praktisch das dreigeteilt und das mittlere Drittel rausgenommen und wieder zusammengebracht. Und das gibt eigentlich ein ganz neues, seltsames Gefährt, es wird eben zur autonomen Skulptur, und die ganze Form wird eigentlich überspitzt."
Ein Witz auf Rädern ist dabei herausgekommen, die kümmerlich verschlankte Version eines automobilen Fetischs. Und man sieht: der alte Surrealistentrick der Verfremdung verfängt noch immer. Er ist sogar Orozcos Arbeitsprinzip, denn als Bildhauer verändert er lieber, als dass er Neues schafft.
Da steht auch ein rostiger Container mitten im Raum. Wer den rätselhaften Koloss von hinten betritt, findet sich in einer ausgebauten Liftkabine aus Chicago wieder, inwendig beleuchtet, mit Spiegelwänden und Schalttafel. Doch Orozco hat die Kabine in der Höhe auf sein eigenes Körpermaß reduziert – eine klaustrophobe Situation.
"Bei ihm geht es sehr stark immer wieder um dieses Körpergefühl, die Körpererfahrung, und mich erinnert es eigentlich so ein bisschen an eine Grabkammer."
Ein bisschen Himmel, ein bisschen Hölle, so ist das bei Orozco. Und wenn er einem menschlichen Schädel mit dem Grafitstift ein schachbrettartiges Muster verpasst, ist das ein Memento Mori, das im allgegenwärtigen Knochengeklapper der mexikanischen Volkskultur wurzelt.
Orozco ist ein Beobachter, der noch den einfachsten Dingen oder Gesten eine Poesie entlockt, die uns staunen lässt. Er fotografiert den vergänglichen Atemhauch auf dem schwarzen Lack eines Konzertflügels, und wenn der Abdruck seiner zusammengepressten Hände eine Herzform aus gebranntem Ton entstehen lässt, ist auch das ein Bild der puren Poesie.
Das konzeptuelle Herzstück der Schau ist ein riesiger weißer Tisch, auf dem zahllose Gegenstände und Fundstücke ausgebreitet sind, die er gesammelt hat als eine Art plastisches Skizzenbuch. Lädierte Fußbälle und verschrumpelte Orangen, mit Bleistift bezeichnete Walknochen und die Schalen exotischer Früchte, Plastik-Spiegeleier, Verpackungen, seltsam geformte Steine und Hölzer, archaisch anmutende Maschinenteile und andere Kuriositäten fügen sich zu einem Weltbild, aus dessen Arsenal der Künstler schöpfen kann.
Erhabenes liegt neben Lächerlichem, die Anmut der Natur behauptet sich gegen die morbide Schönheit des Verfalls, und man kann ewig davor stehen bleiben, gefangen von der Aura dieser Dinge.
Es ist eine Art Archäologie des Alltags, die der Mexikaner da betreibt, indem er verschiedene Kulturen mischt, ständig unterwegs zwischen seinen Wohnsitzen in Mexiko, New York und Paris.
"Dieses nomadische Moment ist eigentlich sehr prägend bei ihm. Und dieses Unterwegssein wird praktisch genutzt auch, um Arbeit zu machen. Also es ist weniger die klassische Arbeit im Atelier, sondern man reist, man schaut, man greift auf, man macht vielleicht sogar vor Ort etwas, das ist sehr spezifisch."
Solche Kunst lebt naturgemäß stark vom Konzept und dessen gelungener Umsetzung. Aus dem Telefonbuch der mexikanischen Stadt Monterrey hat Orozco die Seiten herausgetrennt und alle Namen weggeschnitten, sodass nur die Spalten mit den Nummern blieben – eine endlose, anonyme Litanei von Ziffern, hinter denen sich lauter Menschen verbergen, auf eine Rolle aus Japanpapier geklebt, 25 Meter lang.
Orozco sprengt, wenn nötig, alle Konventionen, er präsentiert uns ein absurdes Schachbrett mit 256 Feldern und 60 Springerfiguren und reizt die Regeln der Kunst aus bis an ihre Grenzen.
Im letzten Raum hängen zwei Dutzend grau verfilzte Matten aus dem Flusensieb eines Wäschetrockners auf den Leinen. Staub, Textilfasern, Haare und Hautpartikel haben sich zu fragilen, unappetitlichen Lappen vermengt – eigentlich frisch gewaschen, und dennoch mit dem Stigma des Schmutzigen behaftet.
Und in der Ecke vor dem Ausgang liegt eine schwarze, schmuddelige Plastilinkugel auf dem Boden. Sie wiegt etwa so viel wie der Künstler selbst. 1993, bei seiner ersten Museumsschau in New York, hatte Orozco sie eigenhändig durch Manhattan gerollt, durch Unrat, Staub und Straßendreck, hinein ins Museum. Und wir verlassen diese spannende Schau nicht ohne das Gefühl, dass da noch mehr ins Rollen kommt als nur der pure Dreck.
Service:
Die Ausstellung ist bis zum 8. August 2010 im Kunstmuseum Basel zu sehen, danach in Paris und London.