Das Heilige in der Alltagskultur
Robert Pfaller sucht in "Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft" das Heilige nicht in Kirchen und Klöstern, sondern in unserer Alltagskultur. In der Argumentation des Buches sind es jene Eigenschaften, Verhaltensweisen oder Ereignisse, die auf eine faszinierende, aber auch befremdliche Art "unvernünftig" sind.
Der Buchtitel irritiert zunächst: Was "reine Vernunft" ist, leuchtet noch ein. Aber was ist "das schmutzige Heilige"?
Robert Pfaller ist Professor für Kulturwissenschaft und Kulturtheorie an der Kunstuniversität Linz und meint mit "heilig" nicht einen im traditionell katholischen Sinne moralisch untadeligen Menschen, sondern er benutzt das Wort im ursprünglichen, im nicht-religiösen Sinne: "abgesondert, außergewöhnlich, unverfügbar, unberechenbar".
Robert Pfaller sucht das so verstandene Heilige auch nicht in Kirchen und Klöstern, sondern in unserer Alltagskultur. "Das Heilige", das sind in der Argumentation seines Buches jene Eigenschaften, Verhaltensweisen oder Ereignisse, die auf eine faszinierende, aber auch befremdliche Art "unvernünftig" sind.
Oder nicht rational erklärbar: Der Charme, die Aura, die Ausstrahlung, das Charisma eines Künstlers. Die Genialität, der Zauber, die Magie einer Musik oder eines Gemäldes. Der Glamour einer eleganten Geste. Der Effekt eines treffenden Witzes. Die Ekstase bei einem spannenden Spiel. Aber alles, was uns elektrisiert und Schauder der Erregung über den Rücken jagt, "uns außer Rand und Band geraten" lassen kann, ist gleichzeitig auch erschreckend. Weil das Betörende auch das Verstörende ist, gefährlich, normabweichend, ekstatisch oder sogar exzessiv - deshalb wehren wir es ab, wie man sich Schuppen von den Anzugschultern bürstet. "Schmutzig" meint hier: verdächtig, beargwöhnt, verdrängt, verboten.
Auf 300 Seiten Text plus bibliographischem Apparat beackert Robert Pfaller vier Beobachtungsfelder: Die Kulturtheorie, die Philosophie, die Psychoanalyse und die Kunst. Sein Vorwurf: Die "Entzauberung der Welt", die Verbannung von Magie und Aberglaube, die Erklärung alles Geheimnisvollen, wie sie zuerst das Christentum und dann die Aufklärung betrieben haben, wird in unserer Postmoderne von der Ich-Bezogenheit, vom Subjektivismus , von einer narzistischen Selbstgesetzlichkeit betrieben.
Er verdeutlicht das am Beispiel des Rauchens: Wenn in alten Schwarz-Weiß-Filmen eine Diva um Feuer bat - Marlene Dietrich zum Beispiel - und ein unendlich eleganter Herr – man denke an Cary Grant oder Fred Astaire - ihr erst die Zigarette und später dann das Herz entflammte, lag in diese Gesten etwas Zauberhaftes, etwas faszinierend Mondänes.
Rauchen konnte Souveränität und Weltläufigkeit, aber auch Nervosität und Verunsicherung signalisieren. Wenn sich heute Nichtraucher weigern, einen Raum zu betreten, in dem geraucht wurde, mit dem Argument, sie sprängen ja auch nicht in einen Swimming Pool, in den hineingepinkelt wurde, dann - so argumentiert der Autor - wurde das" schmutzige Heilige" der "reinen Vernunft" geopfert.
Dann hat man das unvernünftig Schöne, das magisch Mondäne in die profane Plattheit und Langeweile unserer alltäglichen Richtigkeiten geholt. Nicht barocke Originalität, Schmuck und verspielte Accessoires, sondern die normierte Schlankheit und asketische Verzichtsbeweise prägen das Schönheitsideal: Körperliche Mängel müssen operativ beseitigt werden, Kaffee sollte kein Koffein, Bier keinen Alkohol und Sex keine Ekstase mehr enthalten, Freiheit wird verstanden als die "Freiheit , von niemandem mehr belästigt zu werden" – Pfaller nennt das eine Kultur der totalen Selbstgesetzlichkeit, die auch in öffentlichen Räumen nur noch duldet, was in privaten Räumen vernünftig erscheint.
Dieses Umstülpen des privaten Raums in den öffentlichen bewirke aber, dass uns in der Kunst zum Beispiel nichts Befremdliches oder auch Ablehnungswürdiges mehr begegnen darf, sondern nur noch das Vertraute. Wenn aber "ein Subjekt besser ist als ein Objekt, das Angeeignete besser als das Entfremdete und das Authentische besser als das Kunstvolle", wenn also alles ganz "persönlich", ganz "authentisch" und möglichst mit den eigenen Überzeugungen stimmig sein muss, wenn man "religiös nur deshalb an gar nichts mehr glaubt, weil man so stark an sich selbst glauben möchte" - dann gehe uns die Fähigkeit zu selbstvergessenem Spiel, zu Humor und Ich-Distanz verloren.
Auch hierfür ein Beispiel: Die Wiener verweigern sich dem Karnevalstreiben und sagen: "Ich bin doch nicht blöd, mich mit Pappnase für jemanden anderes zu halten." Die Ländler verkleiden sich im Karneval, wissen genau, "dass das Blödsinn ist", beziehen aber gerade aus diesem Wissen ihren Spaß an der Sache und haben nicht die geringste Sorge, für dumm gehalten zu werden.
Es ist ein und dasselbe Wissen, das in einem Fall zur stolzen Abstinenz, im anderen zu lustvollem Engagement führt. Auch die Spielverweigerer aber spielen etwas: Sie spielen Vernünftigkeit, Anstand, Würde. Ziehen also ihre Eitelkeit dem Vergnügen vor.
Robert Pfaller argumentiert, unsere vermeintlich genuss-süchtige und tolerante Postmoderne sei in Wirklichkeit asketisch und diktatorisch: "Wenn Du etwas wirklich willst, dann nimm es Dir! - klingt gut, meint aber: Wenn ich nur darf, was ich vollständig, ganz und gar, stets mit mir stimmig, will und wollen darf -dann darf ich im Grunde sehr wenig. Alles, was ich nur teilweise, halbherzig, oder zeitweilig bejahen kann, darf ich nämlich nicht mehr."
Bei seiner Polemik gegen eine Vernünftigkeit, die "nicht etwa mutig in unbekannte Territorien aufbricht, sondern lieber über kulturelle Unterschiede als über Klassengegensätze, lieber über Gender als über Sex, lieber über Kreativität als über wirksame politische Aktion nachdenkt, die alles Spielerische und Zauberhafte in der Kunst und alles Unvorhergesehene in der Wissenschaft tunlichst vermeidet, die also alles Heilige zu tilgen antritt" – bei dieser Polemik hat Robert Pfaller stets und etwas penetrant Sigmund Freud zur Seite.
Dessen Text "Totem und Tabu" gerät dem Autor zu einer Art Allheilmittel gegen die Denkfehler der Postmoderne, angereichert mit einer Prise Max Weber, Johan Huizinga und, in Maßen, Peter Sloterdijk. Das und die bisweilen gedrechselt und intellektuell einschüchternd formulierten 14 Kapitelüberschriften sollten aber keinen davon abhalten, die anspruchsvoll, aber oftmals erfrischend bodenständig formulierten Gedankenfiguren des Linzer Kulturtheoretikers nachzuvollziehen.
Rezensiert von Andreas Malessa
Robert Pfaller: Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft
S. Fischer Taschenbuchverlag, 333 Seiten
Robert Pfaller ist Professor für Kulturwissenschaft und Kulturtheorie an der Kunstuniversität Linz und meint mit "heilig" nicht einen im traditionell katholischen Sinne moralisch untadeligen Menschen, sondern er benutzt das Wort im ursprünglichen, im nicht-religiösen Sinne: "abgesondert, außergewöhnlich, unverfügbar, unberechenbar".
Robert Pfaller sucht das so verstandene Heilige auch nicht in Kirchen und Klöstern, sondern in unserer Alltagskultur. "Das Heilige", das sind in der Argumentation seines Buches jene Eigenschaften, Verhaltensweisen oder Ereignisse, die auf eine faszinierende, aber auch befremdliche Art "unvernünftig" sind.
Oder nicht rational erklärbar: Der Charme, die Aura, die Ausstrahlung, das Charisma eines Künstlers. Die Genialität, der Zauber, die Magie einer Musik oder eines Gemäldes. Der Glamour einer eleganten Geste. Der Effekt eines treffenden Witzes. Die Ekstase bei einem spannenden Spiel. Aber alles, was uns elektrisiert und Schauder der Erregung über den Rücken jagt, "uns außer Rand und Band geraten" lassen kann, ist gleichzeitig auch erschreckend. Weil das Betörende auch das Verstörende ist, gefährlich, normabweichend, ekstatisch oder sogar exzessiv - deshalb wehren wir es ab, wie man sich Schuppen von den Anzugschultern bürstet. "Schmutzig" meint hier: verdächtig, beargwöhnt, verdrängt, verboten.
Auf 300 Seiten Text plus bibliographischem Apparat beackert Robert Pfaller vier Beobachtungsfelder: Die Kulturtheorie, die Philosophie, die Psychoanalyse und die Kunst. Sein Vorwurf: Die "Entzauberung der Welt", die Verbannung von Magie und Aberglaube, die Erklärung alles Geheimnisvollen, wie sie zuerst das Christentum und dann die Aufklärung betrieben haben, wird in unserer Postmoderne von der Ich-Bezogenheit, vom Subjektivismus , von einer narzistischen Selbstgesetzlichkeit betrieben.
Er verdeutlicht das am Beispiel des Rauchens: Wenn in alten Schwarz-Weiß-Filmen eine Diva um Feuer bat - Marlene Dietrich zum Beispiel - und ein unendlich eleganter Herr – man denke an Cary Grant oder Fred Astaire - ihr erst die Zigarette und später dann das Herz entflammte, lag in diese Gesten etwas Zauberhaftes, etwas faszinierend Mondänes.
Rauchen konnte Souveränität und Weltläufigkeit, aber auch Nervosität und Verunsicherung signalisieren. Wenn sich heute Nichtraucher weigern, einen Raum zu betreten, in dem geraucht wurde, mit dem Argument, sie sprängen ja auch nicht in einen Swimming Pool, in den hineingepinkelt wurde, dann - so argumentiert der Autor - wurde das" schmutzige Heilige" der "reinen Vernunft" geopfert.
Dann hat man das unvernünftig Schöne, das magisch Mondäne in die profane Plattheit und Langeweile unserer alltäglichen Richtigkeiten geholt. Nicht barocke Originalität, Schmuck und verspielte Accessoires, sondern die normierte Schlankheit und asketische Verzichtsbeweise prägen das Schönheitsideal: Körperliche Mängel müssen operativ beseitigt werden, Kaffee sollte kein Koffein, Bier keinen Alkohol und Sex keine Ekstase mehr enthalten, Freiheit wird verstanden als die "Freiheit , von niemandem mehr belästigt zu werden" – Pfaller nennt das eine Kultur der totalen Selbstgesetzlichkeit, die auch in öffentlichen Räumen nur noch duldet, was in privaten Räumen vernünftig erscheint.
Dieses Umstülpen des privaten Raums in den öffentlichen bewirke aber, dass uns in der Kunst zum Beispiel nichts Befremdliches oder auch Ablehnungswürdiges mehr begegnen darf, sondern nur noch das Vertraute. Wenn aber "ein Subjekt besser ist als ein Objekt, das Angeeignete besser als das Entfremdete und das Authentische besser als das Kunstvolle", wenn also alles ganz "persönlich", ganz "authentisch" und möglichst mit den eigenen Überzeugungen stimmig sein muss, wenn man "religiös nur deshalb an gar nichts mehr glaubt, weil man so stark an sich selbst glauben möchte" - dann gehe uns die Fähigkeit zu selbstvergessenem Spiel, zu Humor und Ich-Distanz verloren.
Auch hierfür ein Beispiel: Die Wiener verweigern sich dem Karnevalstreiben und sagen: "Ich bin doch nicht blöd, mich mit Pappnase für jemanden anderes zu halten." Die Ländler verkleiden sich im Karneval, wissen genau, "dass das Blödsinn ist", beziehen aber gerade aus diesem Wissen ihren Spaß an der Sache und haben nicht die geringste Sorge, für dumm gehalten zu werden.
Es ist ein und dasselbe Wissen, das in einem Fall zur stolzen Abstinenz, im anderen zu lustvollem Engagement führt. Auch die Spielverweigerer aber spielen etwas: Sie spielen Vernünftigkeit, Anstand, Würde. Ziehen also ihre Eitelkeit dem Vergnügen vor.
Robert Pfaller argumentiert, unsere vermeintlich genuss-süchtige und tolerante Postmoderne sei in Wirklichkeit asketisch und diktatorisch: "Wenn Du etwas wirklich willst, dann nimm es Dir! - klingt gut, meint aber: Wenn ich nur darf, was ich vollständig, ganz und gar, stets mit mir stimmig, will und wollen darf -dann darf ich im Grunde sehr wenig. Alles, was ich nur teilweise, halbherzig, oder zeitweilig bejahen kann, darf ich nämlich nicht mehr."
Bei seiner Polemik gegen eine Vernünftigkeit, die "nicht etwa mutig in unbekannte Territorien aufbricht, sondern lieber über kulturelle Unterschiede als über Klassengegensätze, lieber über Gender als über Sex, lieber über Kreativität als über wirksame politische Aktion nachdenkt, die alles Spielerische und Zauberhafte in der Kunst und alles Unvorhergesehene in der Wissenschaft tunlichst vermeidet, die also alles Heilige zu tilgen antritt" – bei dieser Polemik hat Robert Pfaller stets und etwas penetrant Sigmund Freud zur Seite.
Dessen Text "Totem und Tabu" gerät dem Autor zu einer Art Allheilmittel gegen die Denkfehler der Postmoderne, angereichert mit einer Prise Max Weber, Johan Huizinga und, in Maßen, Peter Sloterdijk. Das und die bisweilen gedrechselt und intellektuell einschüchternd formulierten 14 Kapitelüberschriften sollten aber keinen davon abhalten, die anspruchsvoll, aber oftmals erfrischend bodenständig formulierten Gedankenfiguren des Linzer Kulturtheoretikers nachzuvollziehen.
Rezensiert von Andreas Malessa
Robert Pfaller: Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft
S. Fischer Taschenbuchverlag, 333 Seiten