Das große Geschlechtergezeter

Von Astrid von Friesen · 14.05.2006
"Uns reicht's" verkündeten Anfang Mai gut ein Dutzend Frauen im "Stern". Sie fühlen sich als Rabenmütter, als Emanzen oder Nurhausfrauen ständig beschimpft. Und dann kommt noch Eva Hermann, Karrierefrau beim Fernsehen, und klagt, dass sie ihr Lebensziel verfehlt hätte - nämlich glücklich bei Mann und Kindern zuhause geblieben zu sein.
Ihr Hauptargument: Wir Deutschen sterben aus, weil die emanzipierten Frauen zu männlich seien, alles im Leben wollten, nur zu wenig Kinder!

Und die Männer? Sie haben keineswegs die zahlreichen Wahlmöglichkeit an Lebensentwürfen wie Frauen. Denn Frauen heiraten immer noch lieber nach oben und der Mann muss dann – auch wegen des spezifisch deutschen 20-Milliarden-teuren-Ehegattensplittings zur Stabilisierung der traditionellen Ehe – nicht nur für Frau und Kinder schuften, sondern zu Hause außerdem einen großen Teil der häuslichen Arbeiten erledigen. Oder ist das Reparieren des Autos und der Dachrinne, die Renovierungen, das Rasenmähen und die Steuererklärung keine Arbeit? Doch die Gattin findet das nur gerecht, denn tagsüber hätte der Mann ja so schön Zeit sich selbst zu verwirklichen. Dafür stirbt er auch sieben Jahre früher – anders als in den skandinavischen Ländern, wo die Gleichstellung der Geschlechter auch diesen Unterschied nivelliert hat. Und nach den Scheidungen – diesen individualisierten Bürgerkriegen - müssen fast alle Männer zahlen, aber viele dürfen noch nicht einmal ihre Kinder regelmäßig sehen. Gefangene haben bei uns ein Recht auf Verwandtenkontakte, viele Väter und Kinder in Deutschland keineswegs!

Und die Kinder? Eva Hermann verweist auf die Bindungstheorie. Zu Recht. Denn bindungsgestört wachsen mittlerweile viele Kinder auf, was sich höchst negativ auf ihre psychische, soziale sowie auf die Intelligenz-Entwicklung auswirkt. Bindungslosigkeit entsteht jedoch auch durch Mütter, die beim Stillen permanent Fernsehen schauen, die vor lauter eigener Hektik nur 30 Minütchen am Tag mit ihrem Kind wirklich kommunizieren, obwohl sie wegen der Kinder zu Hause geblieben oder arbeitslos sind. Dramatisch: 38 Prozent der Erstklässler haben Sprachentwicklungsdefizite. Weil mit ihnen zu Hause weder gesprochen noch gesungen noch gelesen wird. Bindungslosigkeit entsteht auch bei schweren Eheproblemen oder wenn die Mütter wegen Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenmissbrauch nicht wirklich präsent und ihrem Kind ein klares, stabiles, verlässliches Gegenüber sind.

Auch entstehen massive Defizite, wenn Väter aus den Familien ausgesondert werden oder sich absetzen, wenn 90.000 Frauen pro Jahr noch nicht einmal den Namen des Vaters beim Standesamt nennen, wenn sie Kuckuckskinder den Männern unterschieben und bei all den anderen immer dubioser werdenden Varianten der Kinder-Produktion.

Lassen Sie uns einmal von Menschen, nicht von den alten Rollenstreitigkeiten sprechen! Ganz schlicht:

Ein Kind kommt auf die Welt! Es braucht Liebe. Schwierig zu abstrahieren. Konkreter sind die Bindungskomponenten: Es braucht Verfügbarkeit, Nähe, Anteilnahme und Trost, auch Ermutigung und viel Zuverlässigkeit. Das sollten erwachsene Menschen ihm geben. Das können tendenziell alle Erwachsene – klar, mit individuellen Unterschieden!

Für die Basisversorgung ist außerdem Geld nötig. Und die Erwachsenen wollen ihre Talente einsetzen, sie wollen mit anderen Erwachsenen kommunizieren, in der Erwachsenenwelt Bestätigung und Resonanz erfahren. Sie wollen etwas in der Welt bewegen, bestenfalls positiv verändern. Aber auch Zeit für ihre Kinder haben. Und sie wollen nicht wegen des Dauerstress mit 55 am Herzinfarkt sterben.

Wie sähe eine menschlichere Welt aus?

Michael Cöllen, ein Hamburger Therapeut, fordert "Liebe als Lernmodell für Menschlichkeit". Denn das Paar und nicht der Einzelne bildet die Grundform jeglicher humanen Existenz. Und gelingende Partnerschaft ist der nachdrücklichste Wunsch aller Menschen! Denn Identität wird in der Intimität, Individuation durch Bindung gewonnen – und dies vollzieht sich ausschließlich in den Familien.

Wir brauchen eine "Geschlechterdemokratie". In der beide Partner zunächst die jeweilige Ohnmacht des Anderen anerkennen. Denn wir alle sind nur Rädchen im Gesamtgeschehen. Schmerzhaft, wenn wir nur je unsere eigene Opferrolle anerkennen und die des Anderen ausblenden: die Ohnmacht des Elternteils zwischen Kindern und Job, die Ohmacht als Arbeitnehmer zwischen den Anforderungen des Berufslebens und den ureigenen Bedürfnissen nach "Zeit, Zärtlichkeit und Zuwendung", wie Pestalozzi schrieb. Das Ziel wäre: Sich gegenseitig in dieser unwirtlichen Welt zu bemuttern und zu bevatern und die eigenen, aber auch fremde Kinder sowieso!

Nötig wäre Flexibilität für alle. Konkret: Mehr Halbtagsarbeit, humanere Arbeitsbedingungen und humanere Kinderbetreuungsmöglichkeiten; mehr Wahlfreiheit. Auch mehr Herzensbildung durch eine Werteerziehung zur Humanität. Natürlich basiert sie bei uns auf den christlichen Werten, aber nicht ausschließlich. Aber ein neuer Anfang wäre schon mal nicht schlecht – um Maßstäbe zu setzen für eine freundlichere Welt – jenseits des großen Geschlechtergezeters!

Astrid von Friesen, Jahrgang 1953, ist Erziehungswissenschaftlerin, Journalistin und Autorin sowie Gestalt- und Trauma-Therapeutin in Dresden und Freiberg. Sie unterrichtet an der TU Bergakademie Freiberg und macht Lehrerfortbildung. Zwei ihrer letzten Bücher: "Der lange Abschied. Psychische Spätfolgen für die 2. Generation deutscher Vertriebener" (Psychosozialverlag 2000) sowie "Von Aggression bis Zärtlichkeit. Das Erziehungslexikon" (Kösel-Verlag 2003). Im Juni wird ihr neues Buch mit dem Titel "Schuld sind immer die anderen! Die Nachwehen des Feminismus: frustrierte Frauen und schweigende Männer" im Ellert&Richter Verlag erscheinen.