Das größte Theaterfestival Südosteuropas

Von Mirko Schwanitz |
Wer dieser Tage durch Belgrad geht, stößt auf blaue Plakate, auf denen "40Bitef06" zu lesen ist. Südosteuropas größtes Theaterfestival feiert seinen 40. Geburtstag. Zu sehen sind dort Produktionen aus Serbien und ganz Europa. Deutschland ist mit Beiträgen von Regisseur Stefan Kaegis und Choreografin Constanze Macrass vertreten.
Die serbische Hauptstadt in diesen Tagen. In der Knez Mihailova, Belgrads beliebtester Fußgängerzone, fängt sich der Lärm eines Motorrad-Corsos, eine österreichische Versicherung geht mit Walzermusik auf Kundenfang. Und mitten im Gedränge plötzlich ein paar junge Schauspieler, einige mit Militäruniformen, andere als Kinder verkleidet. Patronenhülsen liegen herum, Stahlhelme und Spielzeug.

Ein Darsteller: " Das Motto unserer Performance lautet "Leben ohne Gewalt", erklärt dieser junge Mann. Unsere Vorstellung, sagt er, versucht Vergangenheit und Gegenwart zu verbinden. Alles beginnt mit einem Telefongespräch, das abrupt abbricht. Der Krieg beraubt die Menschen der Möglichkeit der Kommunikation, er unterbricht die Verbindungen. Am Ende stehen zwei Warlords und wir bitten die Passanten, uns zu helfen, sie zu entwaffnen und aus ihrer Ausrüstung auf dem Pflaster das Peace-Symbol zu legen. "

Immer wenn ein Passant sich traut, gibt es Beifall von den Schauspielern. Wer immer dieser Tage durch Belgrad geht, kann ähnliche Straßenvorstellungen erleben und überall stößt er auf die großen blauen Plakate, auf denen 40Bitef06 zu lesen ist. Südosteuropas größtes Theaterfestival feiert seinen 40. Geburtstag und kämpft mit den Schatten der Vergangenheit.

Anja Susa: " Als das Belgrader Internationale Theaterfestival BITEF 1966 gegründet wurde, war es der einzige Ort, an dem sich Theatergruppen aus Ost und West begegnen konnten. Es war eine Art Brücke, in der die Künstler im Kalten Krieg zueinander gelangen konnten. Unter Milosevic verkam das einstige Avantgarde-Festival zum Mainstream-Festival. "

Anja Susa ist so etwas wie das junge, das neue Gesicht des Festivals. Die 30-jährige Direktorin des Belgrader Kinder- und Jugendtheaters hat die künstlerische Leitung von BITEF übernommen. Zum ersten Mal und mit einem klaren Ziel.

Anja Susa: " Ich will die Rolle des Festivals neu definieren. Ich will kein Festival des Klassischen Theaters. Deswegen habe ich jetzt sozusagen die Rolle der Häretikerin übernommen, die die Lehren der 90er Jahre in Frage stellt und den Festivalzug auf ein neues Gleis zu setzen hat. Sein Ziel ist es, die Realität und den Geist der jungen Generation in das Festival zu bringen. "

Es klingt, als ob Ania Susa selbst erstaunt ist über diese Wendung der Dinge. Denn noch vor nicht allzu langer Zeit, hätte sie sich nicht vorstellen können, je wieder an einem Belgrader Theater zu arbeiten.

Anja Susa: " Ich hatte das Theater verlassen und mit Freunden eine freie Theatergruppe gegründet, weil ich wütend darüber war, dass die Bühnen sich in der Milosevic-Ära scheuten, die Realität, in der wir lebten, künstlerisch widerzuspiegeln. "

Ob es Ania Susa gelingen wird, die heutige Realität auf die Theaterbühnen zu holen, wird sich zeigen, wenn das Festival am Samstag mit dem "Tanz fürs Leben" des Bejart-Balletts aus Lausanne zu Ende geht. Eine schwierige Aufgabe sei es allemal, meint die Leiterin des "Zentrums für kulturelle Dekontamination", die Dramaturgin Borka Pavicevic und verweist auf die Parallelwelten, in denen sich die Belgrader Bevölkerung täglich bewegt

Borka Pavicevic: " In Richtung Dedinje, wo all die Kriegsgewinnler ihre protzig-hässlichen Villen errichtet haben, liegt ein Krankenhaus, in dem viele Kriegsinvaliden behandelt werden. Genau gegenüber spielen jene Tennis, die für das Leid dieser Menschen verantwortlich sind. Für mich ist das ein Sinnbild dafür, dass es bei uns immer noch keine klare Trennung zwischen Tätern und Opfern gibt. Und nachdem der Prozess gegen die Verantwortlichen für den Tod von Zoran Djindjic in diesen Tagen das dritte Mal beginnt, würde es mich nicht wundern, wenn morgen der Mörder bei mir um die Ecke eine Kneipe eröffnet. "

Auch wenn keine der serbischen Produktionen eine derart klare Sprache spricht, ist offensichtlich: Die Macher des Festivals sind bemüht, sich der eigenen Wirklichkeit in vielen Facetten zu nähern. Etwa wenn Regisseurin Sonja Vukicevic einen shakespearehaften "Geschichtszirkus" auf die Bühne bringt. Oder wenn ein Ensemble aus Novi Sad sich der "Sprache der Mauern" annimmt, die es zu durchbrechen gilt.

Das es gelungen ist, die schwankenden Brücken zur europäischen Theaterszene wieder zu festigen, zeigen die Gastspiele der ausländischen Compagnien beim Festival. Sie kommen aus Kanada, Russland, Mazedonien, der Schweiz, Dänemark; Frankreich, den Niederlanden und Ungarn.

Deutschland ist gleich mit zwei Beiträgen vertreten. Stefan Kaegis "Cargo Sofia –Belgrad" fährt das Publikum in einem LKW durch Serbiens Metropole und lässt sie die Gespräche zweier bulgarischer Fernfahrer belauschen. Geradezu frenetisch gefeiert wurde Constanze Macrass. Der Ruf, da komme die derzeit aufregendste Berliner Choreografin nach Belgrad, war ihr vorausgeeilt, brechend voll das mondäne Theater am Terazjeplatz.

Ihr Stück "Big in Bombay" ist ein wüster europäischer Kulturmix, der sich der Bilderwelt des indischen Bollywood-Kinos bedient. Menschen amüsieren sich zu Tode. Körper krümmen sich halbnackt am Boden, Irak-Krieg, Thailand, 11. September, Schreckenszenarien passend fürs Zapper-Zeitalter. Die Kulturen mischen sich diffus, die Ängste steigern sich, weil die eigene Identität nicht mehr auszumachen ist.

Spätestens hier wird klar, dass es BITEF gelungen ist, die serbischen Befindlichkeiten – auch die der serbischen Theatermacher selbst – mit den Gastbeiträgen in einen größeren Kontext zu stellen. So sind die Brücken geschlagen. Serbien ist nicht losgelöst von der Welt. Auch andere Völker, meint Ania Susa, müssen sich den Schatten ihrer Vergangenheit stellen und sich zugleich in einer Welt zurechtfinden, in der Identitäten sich immer mehr aufzulösen scheinen.

Anja Susa: " Die Künstler Serbiens fühlen sich noch immer marginalisiert, an den Rand gedrängt. Vor allem, weil die Europäische Union den kulturellen Austausch extrem erschwert. Ich bin das beste Beispiel. Ich bin Mitglied des Europäischen Kulturparlamentes, ich organisiere das größte Theaterfestival Südosteuropas und dennoch muss ich jedes Mal um ein Visum kämpfen, damit ich mein Land verlassen und meinen Job machen kann. "

Service:

Das "Bitef"-Theaterfestival findet vom 15. bis 30. September 2006 in Belgrad statt.