Das Grauen vor der Haustür

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 12.03.2011
In keiner anderen europäischen Nation ist der Fernsehkrimi so beliebt wie in Deutschland. In Wiesbaden fand nun das Fernsehkrimi-Festival statt. Verliehen wurde auch der mit 1000 Litern Wein dotierte "Deutschen Fernseh-Krimi-Preis".
O-Ton - "ARD-Tatort": "'Nein es war keine Notwehr und das wissen sie auch, weil in dieser Situation kein anderes Menschenleben unmittelbar bedroht war.' 'Wir könnten doch sagen, dass er mich angegriffen hat, oder? Wir könnten doch sagen dass es Notwehr war, oder? Ich wollte nur nicht, dass noch jemand anderes umgebracht wird. Bitte! Bitte! Es kann doch nicht sein, dass dieses Schwein auch noch mein Leben kaputt macht. Sie hätten doch das gleiche getan, oder?'"

Die Suggestivfrage richtet sich nicht nur an die ermittelnden Kommissare, sondern auch an den Zuschauer: In "Nie wieder frei sein" geht es um einen Triebverbrecher, die Strafverfolgung, die Opfer und ihre Angehörigen. Eine junge ehrgeizige Anwältin hat ihren Mandanten wegen offensichtlicher Formfehler bei der Ermittlung vor der Verurteilung wegen Vergewaltigung bewahrt und bringt ihn am Ende eigenhändig um.

Regisseur Christian Zübert macht eine riskante Gratwanderung zwischen rechtsstaatlichen Prinzipien und brachialem Gerechtigkeitssinn, wobei der gewaltsame Tod des Triebtäters ein sehr zwiespältiges Gefühl zurücklässt. Dabei gelingt ihm aber ein bedrückendes und emotional dichtes Porträt gesellschaftlicher Hilflosigkeit, sowohl bei den polizeilichen Ermittlern und den, durch die grässlichen Taten zerstörten Familien, auch der des Täters.

Der Tatort des bayrischen Rundfunks wurde heute Abend in Wiesbaden mit dem "Deutschen Fernsehkrimipreis" ausgezeichnet. Einen Sonderpreis erhielt dazu Lisa Wagner, als Darstellerin der streitbaren Anwältin.

Das deutsche Fernsehpublikum liebt seine Krimis. Allein zum sonntäglichen "Tatort"-Ritual versammeln sich sieben bis acht Millionen Zuschauer und auch in anderen Kanälen, privat und öffentlich-rechtlich wird eifrig in die Geschichten von Mord, Totschlag und Strafverfolgung investiert.

Zehn Fernsehkrimis aus dem vergangenen Jahr standen in Wiesbaden im Wettbewerb, 70 waren eingereicht worden. Bei der Auswahl spielte auch der Bezug zur sozialen Realität eine Rolle sagt Christine Kopf von der Festivalleitung:

"Natürlich ist der Krimi ja ein Format im deutschen Fernsehen, wo auch aktuelle Themen, die die Gesellschaft bewegen, verarbeitet werden. Da geht es natürlich drum: Wie werden die aufgegriffen? Ist vielleicht auch eine neue Perspektive dabei? Sind es interessante Ermittlerfiguren? Trägt es auch auf der großen Leinwand? Weil unser Festival zeigt ja Fernsehformate auf großer Leinwand."

Im Krimiformat werden die Schatten bundesdeutscher Vergangenheit bewältigt, Spuren zurück in das Jahrzehnt des RAF-Terrorismus gelegt, aber immer wieder auch soziale Fragen angesprochen. Daher ist Krimiformat auch für unabhängige Autorenfilmer interessant.

Regisseur Eoin Moore stellte in Wiesbaden seinen Film "Einer von uns" aus der Reihe "Polizeiruf 110" vor. Für den gebürtigen Iren ist der soziale Realismus, die Schilderung unterschiedlicher sozialer Milieus wichtiger als die Frage nach dem Mörder:

"Also ich will jetzt nicht so groß mit Politik 'rumhantieren in meinem Film. Sondern ich will, dass man diese Alltagsgeschichten erzählt, indem wir emotional auch berührt werden, durch diese gesellschaftlichen Themen. Das heißt: Wo kommt Wut auf? Wo fühlen wir uns ohnmächtig oder enttäuscht oder erregt durch diese Themen? Also da gibt es eine direkte Verbindung zwischen dieser gesellschaftliche und dieser Emotionale für mich."

Gefühl und Härte verkörpern viele dieser deutschen Fernsehermittler vom Bodensee bis zum Ostseestrand. Im Polizeiruf aus Rostock verkörpert die Schauspielerin Anneke Kim Sarnau eine prinzipientreue Ermittlerin vom Landeskriminalamt.

Anneke Kim Sarnau: "Also ich würde sagen, dass die Figur der Kathrin König die Regeln alle extrem gut beherrscht und damit umzugehen weiß und die Klaviatur der Bürokratie zu spielen gelernt hat und auch Spaß daran hat. Was aber nicht heißt, dass sie tief emotional nicht doch eigentlich massive Probleme mit dem Gesamtsystem des Polizeiapparats sowie der ganzen politischen Atmo im Land sozusagen hat."

Nicht nur beim sozialen Realismus, sondern auch beim Heimatkrimi geht es um die genaue authentische Darstellung der Realität, um das Geflecht menschlicher Beziehungen. So präsentierte Regisseur Max Färberböck, der Preisträger des letzten Jahres, seinen Niederbayernkrimi "Sau Nummer vier".

Über einen mysteriösen, offensichtlich vom Schwein abgebissenen herrenlosen Finger entwickelt sich eine skurrile Kettenreaktion zwischen Dorfleben und polizeilichen Ermittlungen, mit ganz lakonischem Humor, aber immer nah am Ort und seinen Bewohnern. Auch für Max Färberböck geht es in seinem Krimi in erster Linie um die Menschen in ihren Lebenszusammenhängen:

Max Färberböck: "Und das zweite ist natürlich, dass dann subkutan der Krimi erzählt werden muss, aber dass der nie vor dem persönlichen Erleben der Leute steht. Also es geht in erster Linie um eine Bevölkerung, es geht um Menschen in einer Landschaft und dahinter taucht dann sozusagen allmählich, also wie wenn sich der Nebel verzieht, taucht der Krimi auf, der Plot."