Das Grauen des Krieges als Gedicht
Der Titel geht auf ein Militärgefängnis in der Nähe von Split zurück. Dort hielten Angehörige der kroatischen Militärpolizei Kriegsgefangene aus Serbien und Montenegro fest. In seinen Gedichten lässt Dezulovic Menschen zu Wort kommen, die aus einer Mischung von Aggression, Dummheit und Heimatbewusstsein zu Verbrechern werden.
"Dann haben wir ihn nackt ausgezogen
und mit Petroleum übergossen
und er hat sich richtig angeschissen
ich meine wortwörtlich
Dann haben wir ihm einen Löffel gegeben
damit er seine Scheiße isst
aber er hat alles
ausgekotzt"
Das Grauen des Krieges in lyrischer Form vorzuführen, ist ein Balanceakt. Einerseits läuft der Autor Gefahr, die Gewalt zu ästhetisieren. Auf der anderen Seite droht ihm die Bedeutungslosigkeit moralischer Belehrung – einem Augenblick der Empörung folgt dauernde Gleichgültigkeit.
In seinen "Gedichten aus Lora", die jetzt auf Deutsch im Klagenfurter Drava Verlag vorliegen, ist dem kroatischen Autor Boris Dezulovic der Balanceakt eindrucksvoll gelungen. Mit quälender Genauigkeit und rücksichtsloser Einfühlung spiegelt Dezulovic die mentale Verfassung von Kriegern und anderen Gewalttätern. Dezulovic macht sich deren Sprachgebaren zueigen und seziert so die entsprechende Gedanken- und Gefühlswelt.
In Gestalt seines lyrischen Ichs ergötzt er sich daran, wie ein serbischer Gefangener nach allen möglichen Misshandlungen gezwungen wird, mit ausgeschlagenen Zähnen die kroatische Nationalhymne zu intonieren. Dieses Ich rechtfertigt den Mord an einem Kind mit dem Argument, ohne seine bereits getöteten Eltern wäre es ohnehin niemals glücklich geworden. Oder es empfindet kindliche Freude angesichts eines Grundig-Fernsehers, der vor nun schon zehn Jahren aus einem serbischen Haus geraubt wurde und – deutscher Gründlichkeit sei Dank - immer noch funktioniert.
Boris Dezulovic kam 1964 in Split zur Welt. Nach einem Studium der Kunstgeschichte hat er sich als Cartoonist sowie als Erzähler und Autor von satirischen Gedichten einen Namen gemacht. Als in verschiedenen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens – darunter auch in Kroatien – zu Beginn der neunziger Jahre extreme Formen des Nationalismus aufkeimten, gehörte Dezulovic zu deren entschiedenen Kritikern. In Split beteiligte er sich damals an der Gründung der kritischen, kroatischen Wochenzeitschrift "Feral Tribune", die in der Ära von Franjo Tudjman immer wieder politischen Repressionen ausgesetzt war.
Der Titel der "Gedichte aus Lora" geht auf ein Militärgefängnis in der Nähe von Split zurück. An diesem Ort hielten Angehörige der kroatischen Militärpolizei Kriegsgefangene aus Serbien und Montenegro fest, aber auch serbische Einwohner der Stadt Split. Sie folterten ihre Opfer und verübten zahlreiche Morde. Für diese Taten wurden sie - nach zahlreichen Freisprüchen - erst 2006 vom höchsten kroatischen Gericht verurteilt.
In seinen Gedichten nimmt Boris Dezulovic Lora zum Anlaß, Menschen zu Wort kommen zu lassen, die aus einer Mischung von Aggression, Dummheit und idyllischem Heimatbewusstsein zu Verbrechern werden. Meisterhaft fügt er deren Sprachzeugnisse zu einer literarischen Groteske, die dem Leser kaum ein grimmiges Lächeln entlocken kann. Was bleibt, ist eine ebenso fesselnde wie nachhaltig verstörende Lektüre.
Rezensiert von Martin Sander/
Boris Dezulovic: Gedichte aus Lora,
aus dem Kroatischen ausgewählt und übersetzt von Klaus Detlef Olof,
Drava Verlag, 127 Seiten, 17.80 Euro
und mit Petroleum übergossen
und er hat sich richtig angeschissen
ich meine wortwörtlich
Dann haben wir ihm einen Löffel gegeben
damit er seine Scheiße isst
aber er hat alles
ausgekotzt"
Das Grauen des Krieges in lyrischer Form vorzuführen, ist ein Balanceakt. Einerseits läuft der Autor Gefahr, die Gewalt zu ästhetisieren. Auf der anderen Seite droht ihm die Bedeutungslosigkeit moralischer Belehrung – einem Augenblick der Empörung folgt dauernde Gleichgültigkeit.
In seinen "Gedichten aus Lora", die jetzt auf Deutsch im Klagenfurter Drava Verlag vorliegen, ist dem kroatischen Autor Boris Dezulovic der Balanceakt eindrucksvoll gelungen. Mit quälender Genauigkeit und rücksichtsloser Einfühlung spiegelt Dezulovic die mentale Verfassung von Kriegern und anderen Gewalttätern. Dezulovic macht sich deren Sprachgebaren zueigen und seziert so die entsprechende Gedanken- und Gefühlswelt.
In Gestalt seines lyrischen Ichs ergötzt er sich daran, wie ein serbischer Gefangener nach allen möglichen Misshandlungen gezwungen wird, mit ausgeschlagenen Zähnen die kroatische Nationalhymne zu intonieren. Dieses Ich rechtfertigt den Mord an einem Kind mit dem Argument, ohne seine bereits getöteten Eltern wäre es ohnehin niemals glücklich geworden. Oder es empfindet kindliche Freude angesichts eines Grundig-Fernsehers, der vor nun schon zehn Jahren aus einem serbischen Haus geraubt wurde und – deutscher Gründlichkeit sei Dank - immer noch funktioniert.
Boris Dezulovic kam 1964 in Split zur Welt. Nach einem Studium der Kunstgeschichte hat er sich als Cartoonist sowie als Erzähler und Autor von satirischen Gedichten einen Namen gemacht. Als in verschiedenen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens – darunter auch in Kroatien – zu Beginn der neunziger Jahre extreme Formen des Nationalismus aufkeimten, gehörte Dezulovic zu deren entschiedenen Kritikern. In Split beteiligte er sich damals an der Gründung der kritischen, kroatischen Wochenzeitschrift "Feral Tribune", die in der Ära von Franjo Tudjman immer wieder politischen Repressionen ausgesetzt war.
Der Titel der "Gedichte aus Lora" geht auf ein Militärgefängnis in der Nähe von Split zurück. An diesem Ort hielten Angehörige der kroatischen Militärpolizei Kriegsgefangene aus Serbien und Montenegro fest, aber auch serbische Einwohner der Stadt Split. Sie folterten ihre Opfer und verübten zahlreiche Morde. Für diese Taten wurden sie - nach zahlreichen Freisprüchen - erst 2006 vom höchsten kroatischen Gericht verurteilt.
In seinen Gedichten nimmt Boris Dezulovic Lora zum Anlaß, Menschen zu Wort kommen zu lassen, die aus einer Mischung von Aggression, Dummheit und idyllischem Heimatbewusstsein zu Verbrechern werden. Meisterhaft fügt er deren Sprachzeugnisse zu einer literarischen Groteske, die dem Leser kaum ein grimmiges Lächeln entlocken kann. Was bleibt, ist eine ebenso fesselnde wie nachhaltig verstörende Lektüre.
Rezensiert von Martin Sander/
Boris Dezulovic: Gedichte aus Lora,
aus dem Kroatischen ausgewählt und übersetzt von Klaus Detlef Olof,
Drava Verlag, 127 Seiten, 17.80 Euro