Das goldene Vlies

Von Patricia Noll · 16.11.2007
Auf den ersten Blick erscheint sie rau und wild und sie ist das Markenzeichen der Schwäbischen Alb: Die Wacholderheide. Dabei ist sie das Ergebnis einer jahrhundertealten Landschaftspflege. Ohne Schafe wäre aus den steilen Karsthängen längst wieder ein Urwald geworden.
Für Touristen bieten die Wanderschäfer im geplanten Biosphärengebiet ein Postkartenidyll, doch sie kämpfen um ihre Existenz fern jeder Romantik. Denn die Zeiten sind vorbei, als Wolle noch Luxus war und Herzog Carl Eugen von Württemberg zwei Beamte und zwei Schäfer über 2000 Kilometer in die Fremde schickte, um das damals Kostbarste ins Schwabenland zu holen: das goldene Vlies!

Es ist der 10. September 1786, von Westen her nähern sich drei fremde Schäfer mit einer kleinen Herde der Stadt Münsingen. Ein gewohntes Bild, seit Jahrhunderten auf der Alb. Aber diese 104 Schafe sind etwas ganz Besonderes. Sie tragen die feinste und begehrteste Wolle auf dem Rücken, und haben wie die drei ausgemergelten Hirten über 2000 Kilometer Fußmarsch auf dem Buckel. Aus dem fernen Spanien kommt das neue Blut, das der Schafzucht im Herzogtum Württemberg zu neuer Blüte verhelfen sollte. Müde und abgekämpft durften die Schäfer aber nicht auf einen freundlichen Empfang auf der rauen Alb hoffen:

Manfred Reinhardt "Also bei den einfachen Schäfern war Abwehr angesagt, die haben gsagt: Mir brauchet die Seidenhammel aus Spanien net! Während die sogenannten gebildeten Schäfer, große Gutsbesitzer oder der Adel, sahen da schon einen Marktlücke und eine Möglichkeit zum Geldverdienen, oder einfach um die Zucht voranzubringen."

Manfred Reinhardt ist akribischer Detektiv in Sachen Schafgeschichte, hat jahrelang Württemberger Archive durchforstet und lässt das große Abenteuer, wie Merinoschafe auf die Alb kamen, in seinem Buch "Das goldene Vlies" wieder lebendig werden. Zwei zuverlässige Beamte und zwei zähe und erfahrene Schäfer wurden für diese heikle und gefährliche Mission sorgfältig ausgesucht, Am 25.Juni 1785 heißt es in einem Rapport an Herzog Carl Eugen über einen der Schäfer:

"Georg Friedrich Gallus ist 29 Jahre alt und von Lienzingen hiesigen Oberamts gebürtig und bürgerlich. Er ist zwar geheurathet und hat 1 Kind, will aber unter Bewilligung seines Weibes und seines Schwiegervatters sich mit dem Clapier gerne nach Montbard verfügen.( ... .) Er kann schreiben und lesen, und scheint, seinem Gesicht nach, nicht dumm - und von guter robuster Schäferei Natur zu sein."

Das war nötig, denn über 4000 unwegbare Kilometer lagen vor ihnen, bis ins spanische Segovia und zurück. Das alles nur wegen Wolle. Während langsam in Frankreich die Revolution zu gären beginnt, kümmert den württembergischen Herzog Carl Eugen hauptsächlich der Chauseenbau und seine Landwirtschaft. Tuchveredler und Zeugmacher, die am Rand zum Schwarzwald, in Calw, das Monopol hatten und bis nach Venedig lieferten, warteten dringend auf feinere Rohstoffe als es das zottelige Land- und Zaupelschaf bieten konnte. Merinoböcke sollten der Wollqualität in Württemberg auf die Sprünge helfen. Den Unterschied spürt man laut Manfred Reinhardt auf den ersten Griff:

"Man merkt das, wenn man mit der Hand reingreift oder man sieht´s auch Der optische Eindruck ist schon ganz anders. Und es war einfach das Kriterium damals: Die Feinheit der Wolle."

Fein ist die Wolle der Merinolandschafe, also der offiziellen Nachkommen des Spanienimports vor über 200 Jahren, immer noch. Nur, will sie keiner mehr haben. 90 Cent pro Kilo, brutto, bringt der edle Rohstoff und nur noch der Bio-Baustoffhandel interessiert sich dafür, zum Dumpingpreis eben.

Das goldene Vlies ist für Schäfer Gerhard Stotz also nur noch Geschichte, wenn er heute eine seiner Herden über die Herbstweide bei Münsingen treibt.

"Mein verstorbener Vatter hat immer gsagt: D´Schäferei isch im Grund Gottes Armut imma Säckle drinna! Und da han i scho a paar mol dra denkt. Aber unter denne Bedingunga wie meine Vorfahra g´schafft hent wär ich ehrlich net bereit und hätt au mein Sohn nicht in den Beruf glassa. Also bissle besser goht´s uns in der Zwischenzeit scho"."

Die goldenen Zeiten für die Schäfer waren nach dem Höhenflug der Wolle auf der schwäbischen Alb schnell wieder vorbei, das Merinolandschaf entwickelte sich zwar prächtig, ist heute die zahlenmäßig stärkste deutsche Rasse und heißt in ganz Europa oft noch "Württemberger Schaf", aber viele Schäfer kämpfen hier nach wie vor um ihre Existenz. Auch um friedliche Koexistenz mit den Bauern, Dr. Gottfried Göggel, der Leiter des Münsinger Landwirtschaftsamtes, erinnert sich an jüngste Vergangenheit:

""Die Schäfer wurden zum Teil eher so als Feinde gesehen, die ihnen den Rest vom Futter rauben und die man eigentlich nicht gern gesehen hat, weil die Schafe ab und zu auch in die Äcker abgedriftet sind und dort den aufgehenden Samen gefressen haben und anderes mehr. Also es war kein so gutes Verhältnis!"

Inzwischen ist neue Konkurrenz nachgewachsen: Biogasanlagen, die auf der Alb wie Pilze aus dem Boden schießen, brauchen ebenfalls "Futter", da wird auch im Herbst noch das letzte Grün abgemäht und der Schäfer steht vor abgegrasten Wiesen und einem neuen Problem, das in manchem Schwatz unter Kollegen ganz eigen gewälzt wird:

"Die fördret die Biogasbaura wo´s blos goht ... ... die wisset et, dass mr d´r Strom et essa koa ..." (lacht).

Das ist die Aufgabe des Schäfers: seine Herde satt zu bekommen. Auf der Alb schaffen das Gerhard Stotz, seine zwei festangestellten Schäfer, Azubis und Aushilfen nicht ohne Wandern. Im Sommer ist zwar der Tisch für über 14.000 Schafe im ehemaligen Truppenübungsplatz reich gedeckt, aber im Herbst treiben die Schäfer ihre Tiere auf saftigere Herbstweiden

"So a gewisses Wanderfieber packt die Schäfer wieder, dass man wieder weiterzieht. Und selbst die Herden wissen ganz genau, wann wir den Truppenbübungsplatz verlassen. Da können wir die ersten zehn Kilometer gehen ohne Hund, denn es sind immer alte Tiere dabei, die genau wissen: Jetzt geht´s raus auf frisches Weideland!"

Im November werden Schäfer und Herde zunehmend nervös: Die Winterwanderung steht an! Jetzt wird es auf 800 Höhenmetern schnell kalt und frostig, unter dem frühen Schnee ist kaum noch Nahrung zu finden und das wird so bleiben - bis im März oder sogar April. Deshalb zieht Gerhard Stotz mit seinen Herden ins mildere Bad Schussenried. 75 Kilometer sind sie dann mit den Herden unterwegs, über Äcker, Felder, Bundesstraßen. Die Wanderschäferei wird mit der zunehmenden Zersiedelung schwieriger, dank der Motorisierung aber auch leichter:

Immer zwei Schäfer führen eine Herde, besser gesagt einer fährt den geländegängigen VW-Bus hinterher. Und so haben es die modernen Schäfer trotz Novemberwetter sicher leichter als ihre Kollegen auf dem großen Marsch 1786. In der Nähe von Valence verendet ihnen damals der erste kostbare Widder, die Entbehrungen nehmen zu. Der Beamte und Marschführer, der Oberscribent Stängel schreibt damals an den Herzog:

"Was die spanischen Schäfer an guten Weiden für die Wanderschafe und guten Ställen zu viel haben, gibt es in Frankreich zu wenig. Aber allein durch die Treue und Liebe zum Vaterland findet sich ein Hilfsmittel. Wenn ich also ungesunde dumpfe Ställe finde, so ist die Erde für uns ein gutes Bett, und nach spanischer Mode liegen wir bei der Herde. Die beiden Schäfer tun dies mit Vergnügen, umso mehr, weil ich mich zu ihnen lege. Wir sind bis jetzt auf die eine oder andere Art gut durchgekommen, und hoffen die Tiere unter der Gnade Gottes gesund und ohne große Verluste in unser Vaterland zu bringen."

Auch heute noch muss der Schäfer sein Handwerk verstehen, vor allem der zunehmende Straßenverkehr macht ihm heute immer öfter das Wandern schwer. Auf der Winterweide angekommen bietet ein moderner Campingwagen ein kleines Stück Komfort. Der legitime Nachfahre des legendären Schäferkarrens. Den hat der Pfronstettener Schäfermeister Ernst Fauser noch in seiner Lehrzeit erlebt. Trotz Eiseskälte und einsamen, langen Winternächten auf knapp zwei Quadratmetern kommt er heute noch ins Schwärmen:

"i han immer d´Tür offa g´lassa, dass man den Kontakt zom Hond ghet hot. Und oi Hond isch meischtens henna glega, direkt vor´m Bett droa, auf´m Boda. Und des war halt scho so a gmüatliche Sache."

Schäferromantik, damit ist es längst vorbei. Moderne Technik hat auch die Neuzeitnomaden der Schwäbischen Alb längst eingeholt. Das Handy reißt Ernst Fauser allzu oft aus dem Wacholderheidenidyll und so vermisst er das zwar harte und einsame, aber dafür ungestörte Geschäft von früher:

"Die Zeit isch selbst bei de Schäfer hektisch worda. Ma hot heut´an Computer ond Handys ond ällesmögliche was andre Betrieb´auch hent"."

So hat Ernst Fauser heute nicht nur 1000 Lämmer und 900 Mutterschafe zu managen, sondern auch noch den Hofladen, das kleine Heuhotel und die Baustelle für die neuen Gästezimmer. Aber immerhin: Drei uralte Schäferkarren stehen noch vor Fausers Hof, und so können jetzt Touristen hier ein wenig vergangenes Schäferidyll nachfühlen.

Ein schmales, eingebautes Bett, 1 Meter 80 auf 80 Zentimeter, ein warmes rotkariertes Federbett, ein dickes Kissen, eine schmale Bank. Das war's. Ein kleiner, antiker Holzofen ist mehr Dekoration, aber laut dem Schäfer Fauser wird es selbst im Winter in dem blechbeschlagenen Karren so schnell keinem kalt - unter bestimmten Bedingungen:

""Mir hent also scho gnug Ehepaare ghet, wo zu zwoit drinna g´schlafa hent. Des isch´s ja g´rad, vielleicht der Reiz, ausweicha ist nicht. Man muss sich halt irgendwie zurecht finden "."

Für 30 Euro die Nacht kann es in Pfronstetten jeder ausprobieren, das legendäre Schäferstündchen, inklusive Frühstück. Das "Schäferspiel" war übrigens ein beliebtes Gesellschafts-Spiel am Hofe des französischen Sonnenkönigs, und über spezielle Sitten der Franzosen wunderte sich auch noch über hundert Jahre später Oberscribent Stängel während dem Aufenthalt der württembergischen Schäfer in Montbard. So schreibt er an seinen Herzog:

"Ob ein Franzose auch alt werden kann, daran muss ich allerdings zweifeln, denn sie essen sich zu Tode, und sind allzu wohl lüstig. Man siehet auch selten von beiderlei Geschlecht eine Person, die gesund und gut aussiehet. Es läßet sich sehr selten ein Wirt sehen, indem die Bedienung ganz allein vom weiblichen Geschlecht abhangt, und die die Fremden unterhalten müssen, wozu sie alle Geschick haben. Sie bekümmert sich nichts darum, wann man ihr ein deutsches Gesicht macht und nehmet sehr freundlich Abschied."

Was auch immer Stängel mit einem "deutschen Gesicht" meint, vielleicht eine abweisende "ehrbare" Verhaltensweise? Schäferstündchen sind im deutschen Volksmund nicht aufzuhalten. Der Ruf der Schäfer als begehrte Liebhaber liegt nicht nur an ihrer berufsbedingten Einsamkeit, die sie für derlei Abwechslung besonders empfänglich macht, sondern hat noch ganz andere "praktische" Hintergründe. Schäfer Gerhard Stotz weiß, was seine früheren Kollegen auf den Höfen und in den Dörfern so beliebt machte:

""In der Zeit hat man ja oft noch in Rinder- und Schafbetrieben Brucellose ghet, und es sind meistens die jungen Schäfer daran erkrankt, in Form von einer schweren Grippe, und daraus resultierte dann eben eine Unfruchtbarkeit. Und das waren eben bei den Mägden und bei den angestellten Frauen ganz beliebte Liebhaber, weil diese Männer oft unfruchtbar waren."

Das sogenannte Maltafieber und die gefürchtete Brucellose sind heute so gut wie ausgestorben, der legendäre Ruf der Schäfer nicht. Über viele Dichterepochen bewegten die Wanderhirten die Phantasie. Im Barock und den nachfolgenden Jahrhunderten feierte die Schäferdichtung süß-poetische Siegeszüge, in der Malerei des Rokoko bevölkern Lämmer und rotwangige Hirtenbuben massenweise die Leinwände. Auch Friedrich Schiller war in "Die Entzückung an Laura" gegen dieses schwülstige Idyll nicht immun

Leierklang aus Paradieses Fernen,
Harfenschwung aus angenehmern Sternen
Ras' ich in mein trunknes Ohr zu ziehn;
Meine Muse fühlt die Schäferstunde,
Wenn von deinem wollustheißen Munde
Silbertöne ungern fliehn.


" Caro sitz, Caro aus gohst du da nom, Heideweng ... ... Caro Platz Anton Du au."

Schäferalltag birgt statt zarten Tönen mehr scharfe, knappe Kommandos. Schäferhund Anton ist sechs Monate alt, also gerade im Flegelalter und heute das erste Mal mit Gerhard Stotz bei der Arbeit.

In keiner Hundeschule kann man das lernen, dafür ist Anton, seit er Welpe ist, immer an des Schäfers Seite und sein bester Lehrmeister ist sein eigener Vater.

"Komm, Komm, Caro wit, schön bleib…"

Dabei hört man Caro und Anton nicht einmal bellen, so hochkonzentriert sind sie bei der Arbeit. Der Regelsatz "Hunde, die bellen, beißen nicht" stimmt hier dann auch im Umkehrschluss:

"Die müsset sogar beißen, weil ein Hund, der nicht beißt, der flößt der Herde keinen Respekt ein ... Die Idealvorstellung ist, dass er dort beißt, seitlich auf den Rippenbögen, wo er keinen Schaden anrichten kann". "

Zusätzlich sind ihre Fangzähne stumpf geschliffen, um größere Verletzungen bei den Schafen zu vermeiden und nach Feierabend kuscheln beide für ihr Leben gern. Das haben sie sich verdient:

""Der Hund isch dem Schäfer sein einziger Reichtum, wenn er koi Geld mehr in der Tasche hat, isch des net schlimm, wenn er koin Hund mehr hot, isch er arm. An Kollege hot immer gsagt, wenn er an Hund verkauft hat und wollte dortmals 500 Mark und des war einem zu teuer: Bind Deine 500 Mark an an Stecka und wedle damit, dann möchte i seha wie weit Du kommscht mit einer Herde!"

Auch die historischen Wanderschäfer hatten auf ihrer abenteuerlichen Reise mit den wertvollen Merinos sicher Hunde dabei. Damals musste ein Hund zusätzlich Schutz vor Wölfen bieten. Dazu kamen weitere Gefahren: Schmuggler, Diebe und Einheimische, die die fremden Schäfer mit ihrer kostbaren Fracht nicht immer freundlich empfingen.

Als die Schäfer den Rheinfall erreichten, kann man sich ihre Erleichterung vorstellen. Heimat fast in Sichtweite. Sie wurden von Stängel als erstes für 99 Gulden komplett eingekleidet, weil sie nach dem weiten Weg "lumpicht einhergingen". Am 31. August 1786 schrieb Stängel:

"Nun gnädigster Herzog und Herr erreiche ich bald den sehnlichen Wunsch mit diesen Tieren in Eurer herzoglichen Durchlaucht höchsten Landen anzukommen und preiße Gott, dass er uns mit denselben unter so manchen misslich- und gefährlichen Umständen bisher unter Schutz und seiner Gnade geführt ... ."

Nur noch ein "Ausland" mussten sie jetzt durchqueren: Baden!

Viele Badener folgen heute in jedem Herbst den Spuren der drei wagemutigen schwäbischen Schäfer und haben das gleiche Ziel: Münsingen! Immer dann, wenn Schäfer Stotz und der Gasthof Herrmann zur Wacholderwanderung laden. Karlsruhe, Pforzheim, Konstanz die Autokennzeichen sprechen für sich. 150 Kilometer fahren, für rund drei Kilometer über Albtrockenrasen laufen, sehen, hören und riechen:

"Wir kommen bestimmt noch an einem Thymian vorbei, da dürfen sie mal riechen, da war auch gerade das Kreuzblümchen, die Glockenblume, das Jakobskraut und im Weitergehen zeige ich Ihnen noch mehr."

Der ehemalige Forstamtsleiter Werner Goerlich zeigt seiner Wandergruppe das, was sonst in Alblämmermägen landet, wobei die längst nicht alles fressen. Schafe sind Selektionsäser und Feinschmecker, die Schäfer müssen in der albtypischen Landschaftspflege mit der Schippe nachhelfen und stechen Disteln und junge Wacholder neben der Hütearbeit aus.

"noi er macht koi Pause. S´goht scho no, aber steil nauf der Berg. Ach komm Hund, auf goht´s, nauf goht´s"."

Schweißtreibende Aufstiege liegen in der Natur der Sache, schließlich ist die Alb ein Mittel-GEBIRGE, und viele aus dem flachen Land ließen sich wohl eher von dem anschließenden Lamm-Büffet als der Heide-Tour locken. Und die vegetarischen "Versucherle" gibt's sogar schon unterwegs am Wegrand:

""Ich kenn die, sind die sauer ... . Die henn mir doch scho mal probiert da hinten, nein, die haben wir noch nicht probiert. Die haben einen Kern wie Kirschen."

Cornell-Kirschen haben viel Vitamin C und geben eine herrliche Marmelade, aber kaum einer sammelt sie noch. Vielleicht erleben sie auch einmal eine Renaissance, wie das Alblamm. Selbst wenn die Vorurteile noch groß sind, so schätzt ein Gast:

"Ich tät mal schätzen, 80 Prozent der Schwaben essen kein Schaffleisch oder Lamm, wenn das Stichwort Schaf oder Lamm fällt macht er nur so Ihhhhhh"."

Feines Lamm wird ein Nischenprodukt bleiben, allerdings ein Exquisites. Das Alblamm von Gerhard Stotz findet sich auf den nobelsten Speisekarten des Landes, egal ob im Hotel Bareis, in Wohlfahrts Töpfen, der Traube-Tonbach in Baiersbronn oder der einzigen Sterne-Küche auf der Alb: dem Hirsch in Erpfingen. Jürgen Authenrieth vom Gasthof Hermann kocht zwar ohne Michelin-Stern, aber mit weit über die Münsinger Stadtgrenzen berühmtem Händchen für die feine Spezialität:

""Zuerst mal ist wichtig, dass mir das Lammfleisch 14 Tage ablagern und dann tun mir das Lammfleisch mit typischen Gewürzen von der Wacholderheide der schwäbischen Alb würzen: Majoran, Thymian, wildem Salbei und Rosmarin und so intensiviert sich der typische Alblammgeschmack noch mal."

Gegessen wird an diesem Sonn- und strahlenden Sonnentag dort, wo das Lamm herkommt: in der Schafscheune. Wer durch die losen Bretter schaut, sieht sie, wie sie sich an ihre Mütter kuscheln, während sich gleichzeitig ihre Artgenossen auf den Tellern an Blaukraut und Spätzle schmiegen:

"Mir tut das leid."
"Obwohl i Lamm sehr gern ess, aber ich hab da drüben welche gsehn und i han sagt die haben so schöne große braune Augen".
"Und wenn schon, des tut ja dann no leba- und die andre gucket eh nemme!"

Etliche Lämmer landen an diesem Tag auf den vorgewärmten Tellern, als die wagemutigen Schäfer 1786 in Münsingen ankamen, hatten sie nur sechs kostbare Tiere verloren und ließen sich von ihrem Herzog gebührlich loben und belohnen. Reich wurde keiner der Beteiligten durch das "goldene Vlies", und heute sind für Schäfer Stotz andere Attribute im Zuchterfolg "Gold wert":

"Schöne Keule, schöner Rücken, des isch des, was mir uns als schön vorstellet.."