Das Gold des Nordens

Von Peter Kaiser |
Wer so viel wie möglich über die "Tränen der Sonne" wissen will, wie die Ägypter den Bernstein nannten, ist in Ribnitz-Damgarten an der Ostsee richtig: Im dortigen Deutschen Bernsteinmuseum gibt es nicht nur etliche Informationen, sondern auch eine Schauwerkstatt, in der das "Gold des Nordens" geschliffen wird.
Vor etwa 60 Millionen Jahren floss Harz aus Nadelbäumen, die im Gebiet der heutigen Ostsee standen. Beim Erstarren des Harzes wurden hin und wieder Insekten mit eingeschlossen, manchmal in einer besonderen Situation.

Ulf Erichson: "Ja, die Mücken im Hochzeitsflug, die durch die Luft schwirrten, die haben dann nicht so genau darauf geachtet, und blieben dann am Harz kleben. Sind eingeschlossen worden, und so ist praktisch dieser Liebesakt verewigt worden."

Nicht nur Mücken, Spinnen, Fliegen oder andere Insekten haben die Zeit im Bernstein überdauert. Eine so große Inkluse jedoch, also ein Einschluss, wie ein Gecko, sagt Ulf Erichson, der Leiter des Deutschen Bernsteinmuseums in Ribnitz-Damgarten an der Ostsee, ist recht selten.

Ulf Erichson: "Er ist gar nicht so groß, das Stück, jetzt, durch die Lupe sieht man dann aber doch, es ist ein Kopf eines Geckos und der Vorderfuß ist da, sodass man ihn eindeutig identifizieren kann. Und das ist der erste, der im baltischen Bernstein gefunden wurde."

Eideen Wendt: "Also zuerst nehme ich grobes Schleifpapier, also Schleifpapier mit einer groben Körnung. Damit wird dann die Kruste so ein bisschen entfernt. Das sind immer vier Arbeitsschritte."

Kurz nach der Öffnung um 9:30 Uhr hat sich die 19-jährige Eideen Wendt in der Schauwerkstatt des Deutschen Bernsteinmuseums in Ribnitz-Damgarten an die Arbeit gemacht. Während sie den kleinen krustigbraunen Bernstein an die Polierscheibe hält, sehen ihr die ersten Besucher aufmerksam zu. Bis zu 90.000 kommen pro Jahr in die Gebäude des ehemaligen Klarissinnenklosters.

Ulf Erichson: "Wir versuchen alles, um den Bernstein zu zeigen. Das ist unser Konzept. Die Naturgeschichte, die Inklusen, die Lagerstätten, die Verarbeitung, die Kulturgeschichte, aber auch solche Dinge wie Bernstein in der Volksmedizin, die technische Verwendung."

Einst stand das Kloster nahe am Marktplatz von Ribnitz. Liebevoll 2006 saniert, ist heute aus dem früheren DDR-Heimatmuseum ein architektonisches Kleinod geworden. Die roten Klosterdächer, der sorgfältig restaurierte Innenhof mit den weißen Hauswänden und dem neuen Backstein - all das atmet noch etwas von der Kontemplation der frommen Vorbewohnerinnen.

Bedächtig geht der große und kräftige Ulf Erichson an den meist beleuchteten Vitrinen vorbei. Auf 1000 Quadratmetern, verteilt auf drei Etagen, sind mehr als 1500 Exponate hier versammelt, die größte Bernsteinausstellung Europas. Meist ziehen die Bernsteine mit den Inklusen die Blicke auf sich. Denn diese Einschlüsse sind wie kleine Fenster in die Vergangenheit.

Ulf Erichson: "Man kann anhand der Inklusen Lebensräume rekonstruieren und sagen: Wie hat es da mal ausgesehen?"

Einige Räume weiter sind die in der Antike und dem Mittelalter wichtigen Bernsteinstraßen Hauptthema. Denn auf ihnen kam das "Gold des Nordens" bis nach Rom, Griechenland und Ägypten und wurde dort zu Schmuck und Amuletten verarbeitet.

Ulf Erichson: "Heute findet man (…) an der mecklenburgisch-vorpommerschen Ostseeküste im Jahr 200 bis 300 Kilo. Das ist nicht die entscheidende Menge. Die eigentliche Bernsteinlagerstätte liegt im Samland-Gebiet. Das ist das ehemalige Ostpreußen."

In einem Dokumentarfilm, der im Museum gezeigt wird, wird näher auf diese Hauptlagerstätte eingegangen.

Filmbeitrag aus dem Museum: ": Bernstein ist überall an der Ostseeküste Kaliningrads zu finden. Früher war dies ein Küstengebiet.""

Währenddessen hat Eideen Wendt in der Werkstatt das grobe Schleifpapier durch eines mit einer feineren Körnung ersetzt.

Eideen Wendt: "Dann kommt jetzt eine neue Scheibe, das ist eine Filzscheibe mit einer Schleifpaste drauf. Damit wird dann die Oberfläche geglättet."

Auch wenn es über 300 verschiedene Arten Bernstein gibt - die Funde reichen von Afrika bis nach Asien und im Orient - so lagern doch hier im baltischen Raum die Hauptvorkommen. Einst kam darum auch von hier das Material für das legendäre Bernsteinzimmer. Auch im Ribnitzer Museum ist das eine der Hauptattraktionen.

Vom Boden bis zur Decke ist ein etwa fünf mal fünf Meter großer Raum mit mannshohen und gut beleuchteten Fotos, wie eine zweite Wand, ausgestattet. Die golden strahlenden Fotos zeigen die Wände des nachgebauten Bernsteinzimmers im heutigen Katharinenpalast im russischen Puschkin.

Ulf Erichson: "Ich selbst war Mitglied des paritätisch deutsch-russischen Beirates zur Wiederherstellung des Bernsteinzimmers. Und da ist es uns vergönnt gewesen,zwei Tage das fertige Bernsteinzimmer auch zu fotografieren. Wir haben davon mit einer großen Plattenkamera 18 mal 24 DIAS gemacht, diese vergrößert, sodass wir mit guter Fotoqualität einen Eindruck vom Bernsteinzimmer zeigen können."

Inmitten der Fotoimpression fühlt man sich selbst wie eine Inkluse. Scheu betrachtet man die reale Nachbildung eines etwa DIN A-4 großen Stückes Wandtäfelung mit den unterschiedlichen eingearbeiteten Bernsteinen. So ist der preußische Adler rotgolden, sein Hintergrund trüb und honiggelb. So also, nur viel größer und unendlich filigraner noch, sehen die Wände des neuen Bernsteinzimmers in Russland aus.

Ulf Erichson: "Auch das neue Bernsteinzimmer hat über sechs Tonnen Bernstein verbraucht. Das ist eine gewaltige Menge. Wenn man überlegt, dass die Plattenteile der Wandteile so vier bis fünf Millimeter stark sind, und da hat man diesem ganzen Raum, zwölf mal zwölf Meter, im Katharinenpalast im heutigen Puschkin in St. Petersburg, gefüllt mit Bernstein."

In anderen Räumen, gleich unter dem Dach, wird moderne Bernsteinkunst gezeigt. Das Museum selbst lobte 1999 den "I. Internationalen Bernstein-Kunstpreis" aus Am Ende führt der Rundgang zurück zu Eideen Wendt.

Eideen Wendt: "So, und zum Schluss kommt eine Stoffscheibe, da ist Polierpaste drinne. Und damit wird der Bernstein dann hochglanzpoliert. Ja, und das waren dann die vier Arbeitsschritte."

Viele Besucher verlassen das Haus mit einem Stück "Meeresgold" am Lederhalsband. Denn manche glauben noch heute, dass der Elektrum, wie die Römer Bernstein nannten, Ängste nimmt und Lebensfreude schenkt.

In Kooperation mit dem Deutschen Museumsbund stellt Deutschlandradio Kultur im Radiofeuilleton jeden Freitag gegen 10:50 Uhr im "Profil" ein deutsches Regionalmuseum vor. In dieser Reihe wollen wir zeigen, dass auch und gerade die kleineren und mittleren Museen Deutschlands unerwartete Schätze haben, die es sicht lohnt, überregional bekannt zu machen und natürlich auch zu besuchen.