Das Glück gehört nicht den Egoisten
Tugend macht glücklich. Meistens jedenfalls, meint Otfried Höffe. Der Ehrliche ist durchaus nicht immer der Dumme, davon ist der Autor überzeugt. Höffe bedauert, dass Begriffe wie "Tugend" und "Moral" aus der Mode gekommen sind.
Sein Buch ist angetreten, der Moralphilosophie den Rücken zu stärken, nachdem die Philosophie der Lebenskunst ihr den Rang abgelaufen hat. Die Lebenskunst-Philosophie war lange verpönt, zumindest in akademischen Kreisen. Inzwischen ist sie salonfähig geworden, allerorten wird über Lebenskunst geschrieben und debattiert.
Das Thema "Moral" hingegen überlässt man gern den Theologen, dabei ist "Moral" doch ein klassisches Thema der Aufklärung. Höffe will nun nicht etwa der Moralphilosophie aufhelfen auf Kosten der Lebenskunst-Philosophie. Vielmehr will er zeigen, dass beide zusammengehören als zwei Seiten einer Medaille namens "philosophische Ethik".
Die Philosophen der Lebenskunst kreisen um das Thema "persönliches Glück" und um die Güter, nach denen der Mensch in seinem Leben strebt und streben sollte, um dieses Glück zu erreichen. In der Moralphilosophie dagegen geht es in erster Linie um die Grundsätze, die ein Mensch befolgen soll, um das Wohl der menschlichen Gemeinschaft zu befördern. Kurz gesagt: Die Lebenskunst-Philosophie denkt von den Interessen des Einzelnen aus, die Moralphilosophie von den Interessen der Gemeinschaft.
Für Höffe ist evident: In einer säkularen Gesellschaft, die mehrheitlich nicht mehr an göttliche Strafen glaubt, fragt man zuerst nach dem persönliche Glück, und dann – eventuell - nach Moral. Darum widmet er zuerst dem Thema Lebenskunst ein ganzes Kapitel. Er fragt, welche Güter es denn sind, nach denen Menschen, die ihr Glück machen wollen, im Allgemeinen streben – und kommt auf vier verschiedene: Lust, materieller Wohlstand, Macht und gesellschaftliches Prestige.
Danach bewegt sich Höffes Argumentation auf den Spuren der antiken Philosophen der Lebenskunst. Die haben nämlich alle schon gewarnt: Diese Güter sind Chimären. Zumindest, wenn man sie zum Nabel der Welt und zum Zentrum seines Strebens erklärt, hat man die perfekte "Anleitung zum Unglücklichsein". Aristoteles, nach Höffe der "Vater aller Lebenskunst-Philosophie", empfiehlt stattdessen die Einübung bestimmter Tugenden: Besonnenheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit, Freigiebigkeit. Für Aristoteles jedenfalls ist evident: Tugend macht glücklich. Und letztlich nur Tugend.
Fallen rechte Lebenskunst – und Moralphilosophie bei Lichte besehen etwa zusammen? Ottfried Höffe meint, nicht ganz. Das liegt daran, dass Höffe unter "Moralphilosophie" radikalen Kantianismus versteht. Nach Kant müssen moralische Gesetze bekanntlich um ihrer selbst willen befolgt werden, Gemeinnutz geht immer vor Eigennutz, und wirklich tugendhaft ist nur ein Handeln, das eigene Interessen freudig opfert zugunsten der allgemeinen Moralität.
Aber Kant ist eben 18. Jahrhundert, womöglich die "deutsche Theorie der französischen Revolution" (Marx). Höffes radikaler Idealismus à la Kant scheint in dieser Sache ein wenig unzeitgemäß. Jene modernen Theorien der Lebenskunst, die Eigeninteresse und Allgemeinwohl unter einen Hut zu bringen suchen, stehen dem Zeitgeist sicher näher.
Aber das Buch hat viele Stärken. Zum Beispiel wird der Begriff des Bösen neu diskutiert. Laut Höffe taucht dieser Begriff in der praktischen Philosophie der letzten vierzig Jahre nur selten auf. En vogue sei eine "weichgespülte Ethik", Motto: Die Menschen sind gut, die paar Schufte zählen nicht, außerdem hatten sie eine schwere Kindheit.
Höffe meint, in einer Gesellschaft, der es am Begriff des Bösen mangelt, werden kleine Verfehlungen und große Verbrechen leicht über einen Kamm geschert. Auch in dieser Sache beruft der Autor sich auf Kant, der scharf unterscheidet zwischen moralischer Gebrechlichkeit (Menschen sind keine Engel …) und echter Bösartigkeit. Wer anderen Schaden zufügt aus purer Schaden- Freude, aus Lust an der Grausamkeit, ist ein bösartiger Charakter.
Und so muss man ihn auch nennen dürfen und im Interesse der Opfer entsprechend mit ihm verfahren, unabhängig davon, ob er eine schwere Kindheit hatte oder nicht. - In dieser Sache scheint Höffes Kant dann wieder brandaktuell.
Rezensiert von Susanne Mack
Otfried Höffe: Lebenskunst und Moral. Oder macht Tugend glücklich?
C.H.Beck Verlag, München 2007, 391 Seiten, 24,90 Euro
Das Thema "Moral" hingegen überlässt man gern den Theologen, dabei ist "Moral" doch ein klassisches Thema der Aufklärung. Höffe will nun nicht etwa der Moralphilosophie aufhelfen auf Kosten der Lebenskunst-Philosophie. Vielmehr will er zeigen, dass beide zusammengehören als zwei Seiten einer Medaille namens "philosophische Ethik".
Die Philosophen der Lebenskunst kreisen um das Thema "persönliches Glück" und um die Güter, nach denen der Mensch in seinem Leben strebt und streben sollte, um dieses Glück zu erreichen. In der Moralphilosophie dagegen geht es in erster Linie um die Grundsätze, die ein Mensch befolgen soll, um das Wohl der menschlichen Gemeinschaft zu befördern. Kurz gesagt: Die Lebenskunst-Philosophie denkt von den Interessen des Einzelnen aus, die Moralphilosophie von den Interessen der Gemeinschaft.
Für Höffe ist evident: In einer säkularen Gesellschaft, die mehrheitlich nicht mehr an göttliche Strafen glaubt, fragt man zuerst nach dem persönliche Glück, und dann – eventuell - nach Moral. Darum widmet er zuerst dem Thema Lebenskunst ein ganzes Kapitel. Er fragt, welche Güter es denn sind, nach denen Menschen, die ihr Glück machen wollen, im Allgemeinen streben – und kommt auf vier verschiedene: Lust, materieller Wohlstand, Macht und gesellschaftliches Prestige.
Danach bewegt sich Höffes Argumentation auf den Spuren der antiken Philosophen der Lebenskunst. Die haben nämlich alle schon gewarnt: Diese Güter sind Chimären. Zumindest, wenn man sie zum Nabel der Welt und zum Zentrum seines Strebens erklärt, hat man die perfekte "Anleitung zum Unglücklichsein". Aristoteles, nach Höffe der "Vater aller Lebenskunst-Philosophie", empfiehlt stattdessen die Einübung bestimmter Tugenden: Besonnenheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit, Freigiebigkeit. Für Aristoteles jedenfalls ist evident: Tugend macht glücklich. Und letztlich nur Tugend.
Fallen rechte Lebenskunst – und Moralphilosophie bei Lichte besehen etwa zusammen? Ottfried Höffe meint, nicht ganz. Das liegt daran, dass Höffe unter "Moralphilosophie" radikalen Kantianismus versteht. Nach Kant müssen moralische Gesetze bekanntlich um ihrer selbst willen befolgt werden, Gemeinnutz geht immer vor Eigennutz, und wirklich tugendhaft ist nur ein Handeln, das eigene Interessen freudig opfert zugunsten der allgemeinen Moralität.
Aber Kant ist eben 18. Jahrhundert, womöglich die "deutsche Theorie der französischen Revolution" (Marx). Höffes radikaler Idealismus à la Kant scheint in dieser Sache ein wenig unzeitgemäß. Jene modernen Theorien der Lebenskunst, die Eigeninteresse und Allgemeinwohl unter einen Hut zu bringen suchen, stehen dem Zeitgeist sicher näher.
Aber das Buch hat viele Stärken. Zum Beispiel wird der Begriff des Bösen neu diskutiert. Laut Höffe taucht dieser Begriff in der praktischen Philosophie der letzten vierzig Jahre nur selten auf. En vogue sei eine "weichgespülte Ethik", Motto: Die Menschen sind gut, die paar Schufte zählen nicht, außerdem hatten sie eine schwere Kindheit.
Höffe meint, in einer Gesellschaft, der es am Begriff des Bösen mangelt, werden kleine Verfehlungen und große Verbrechen leicht über einen Kamm geschert. Auch in dieser Sache beruft der Autor sich auf Kant, der scharf unterscheidet zwischen moralischer Gebrechlichkeit (Menschen sind keine Engel …) und echter Bösartigkeit. Wer anderen Schaden zufügt aus purer Schaden- Freude, aus Lust an der Grausamkeit, ist ein bösartiger Charakter.
Und so muss man ihn auch nennen dürfen und im Interesse der Opfer entsprechend mit ihm verfahren, unabhängig davon, ob er eine schwere Kindheit hatte oder nicht. - In dieser Sache scheint Höffes Kant dann wieder brandaktuell.
Rezensiert von Susanne Mack
Otfried Höffe: Lebenskunst und Moral. Oder macht Tugend glücklich?
C.H.Beck Verlag, München 2007, 391 Seiten, 24,90 Euro