"Das gibt es nicht, eine direkte Christenverfolgung"
Aloys Butzkamm hat neun Monate als Seelsorger in Istanbul gearbeitet. Es gebe zwar schon "einige superfanatische Leute" in der Türkei, aber keine direkte Christenverfolgung. Christen und Muslime lebten nebeneinander her.
Anne Françoise Weber: Am Freitag ist Bundespräsident Christian Wulff von seiner Türkeireise zurückgekehrt. Viel wurde in diesen Tagen über das Verhältnis von Deutschland und Türkei, Christentum und Islam gesprochen. Aber wie sieht die Begegnung vor Ort aus? Wie leben Christen aus Deutschland ihren Glauben in der Türkei? Ich habe vor der Sendung mit Aloys Butzkamm gesprochen, er war lange Jahre Islambeauftragter der Erzdiözese Paderborn und hat vor Kurzem neun Monate als Seelsorger in Istanbul gearbeitet. Bundespräsident Wulff hat vor dem türkischen Parlament gesagt, das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei. Ich habe Aloys Butzkamm gefragt, ob das den gleichen Zündstoff birgt wie Wulffs Satz, dass der Islam inzwischen auch zu Deutschland gehört?
Aloys Butzkamm: Auf Anhieb hört sich das ja etwas seltsam an, wenn der Präsident sagt, das Christentum gehört zur Türkei. Sie merken, wenn Sie als Tourist oder als Geschäftsmann oder Diplomat in die Türkei kommen, Istanbul, Ankara, merken Sie nichts vom Christentum. Das ist aber nicht immer so gewesen, lassen Sie mich ganz kurz ausholen: In der Türkei gab es in den ersten Jahrhunderten die blühendsten Christengemeinden. Wir haben ja die Paulusbriefe an verschiedene Städte in der Türkei, im dritten, vierten Jahrhundert war die heutige Türkei christlich, Ende des vierten Jahrhunderts wurde das Christentum sogar Staatsreligion unter Theodosius. Das ging jahrhundertelang so. Dann, 1453, eroberte Mehmed Istanbul, damit begann die Periode des Islams. Und die darf man nicht unterschätzen, der Islam hat ganz großartige Bauten errichtet, es gab Bevölkerungsaustausch, es gab auch später Vertreibungen von Christen, damit sind wir aber schon im 20. Jahrhundert. Heute spielen wie gesagt die Christen in der Türkei keine große Rolle, prozentual sind es weniger als ein Prozent, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.
Weber: Und Sie haben in einem Interview mit der katholischen Nachrichtenagentur gesagt, wir brauchen in der Türkei keine neuen Kirchen. Deswegen, weil es so wenige Christen sind?
Butzkamm: Das hört sich seltsam an, es ist so. Wir brauchen im Moment keine Kirchen, wir haben Räume, in denen wir Gottesdienste feiern können. Also die Situation, in der ich war neun Monate: Ich hab in einem Hause gewohnt – hier würde man sagen Pfarrhaus – …
Weber: … in Istanbul?
Butzkamm: In Istanbul ist es kein Pfarrhaus, weil es Pfarrer und Kirchen offiziell nicht gibt und kirchliche Gemeinden. Also offiziell existieren die evangelischen und die katholischen Christen überhaupt nicht in Istanbul, wir werden nicht erwähnt. Aber tatsächlich lässt man uns dort arbeiten. Ja, jedenfalls ich hatte einen kleinen Saal am Haus, in dem ich den Gottesdienst gefeiert habe. Die katholische Gemeinde, eine Personalgemeinde, besteht, man schätzt, aus 6000, offiziell 6000 katholischen Christen in Istanbul.
Weber: Das ist nicht viel.
Butzkamm: Nein, im Vergleich zu 16 Millionen oder 17 Millionen Einwohnern nicht viel. Und hier finden alle Platz auch bei großen Festivitäten, Weihnachten, Ostern ist der Saal natürlich voll mit 70, 80, 90, es passen auch 100 Leute hinein. An normalen Sonntagen kommen vielleicht 20 Personen dorthin. Also eine neue Kirche bauen … Ja, die muss ja gefüllt werden! Die wird leer sein.
Weber: Nun gibt es noch eine andere Bevölkerungsgruppe in der Türkei, die Aleviten, das ist fast ein Viertel der Bevölkerung und die beschweren sich auch über die Diskriminierung. Hätte Herr Wulff vielleicht eher sagen sollen, der Alevismus gehört zweifelsfrei zur Türkei?
Butzkamm: Ja das ist vielleicht nicht so sein Bereich, dass er sich für die Aleviten starkmacht. Also es geht schon in erster Linie um uns Christen. Aleviten bilden eine große Minderheit und, ja, unterscheiden sich von Muslimen sunnitischer Richtung in mehrfacher Weise. Das müssten die Aleviten selber nun auch ausmachen. Wulff hat für die Christen gesprochen - sehr deutlich - und gesagt, in Deutschland haben die Muslime alle Rechte, sie bauen Moscheen, können öffentlich beten dort, und das erwarten wir hier auch.
Und dann hat er sich sehr – ich hab mich darüber gefreut! –, sehr, sehr eingesetzt für die griechisch-orthodoxen Christen, für den Patriarchen. Die griechisch-orthodoxen Christen, die haben es nicht einfach. Der Patriarch wurde im vergangenen Jahr gefragt von einem amerikanischen Journalisten, fühlen Sie sich gekreuzigt hier in der Türkei, darauf hat er gesagt, ja. Wulff hat erwähnt auch die Ausbildung des Nachwuchses, und das bezieht sich ganz eindeutig, ohne dass er es genannt hat, auf das orthodoxe Priesterseminar in Chalki, was 1971 geschlossen worden ist. Und das heißt, es können keine Theologen mehr ausgebildet werden. Das ist natürlich ein Schuss ins Zentrum. Man redet davon auch von türkischer Seite, das soll wieder geöffnet werden, aber man muss auch kontrollieren. Ich glaube, das hat er auch wohl erwähnt, ob die Versprechungen auch realisiert werden.
Weber: Da sind wir schon bei der Diskriminierung, es gab ja nun auch wirklich Morde vor wenigen Monaten an dem katholischen Bischof Luigi Padovese, in den vergangenen Jahren auch an einem Priester und drei evangelikalen Christen.
Butzkamm: Richtig.
Weber: Sehen Sie diese Morde als Einzelfälle oder vermuten Sie dahinter doch irgendwie ein System?
Butzkamm: Das ist so schwer. Ich war ja in der Zeit in Istanbul als Pfarrer, als Luigi Padovese ermordet wurde. Ich bekam einen Anruf von der Deutschen Botschaft, mich mit Kommentaren zurückzuhalten in der Öffentlichkeit. Das war auch vernünftig und richtig, denn da wurde so viel spekuliert – ich will das nicht alles aufzählen. Von türkischer Seite hieß es, der Fahrer war geistesgestört, das wird häufig gesagt. Man weiß es offiziell nicht, das kann so sein.
Dann, was die Türken nun gar nicht gerne haben, das ist eine Missionierung im Lande. Also wenn sie merken, da kommen Europäer und die holen dann Leute unseres Glaubens zum Christentum, das hat man nicht gerne. Und das war möglicherweise auch eine Ursache für die drei Mitarbeiter eines protestantischen Verlages in Malatya, die 2008 ermordet wurden.
Also ich denke, es sind einige superfanatische Leute, einzelne, die das machen. Möglicherweise werden die angestachelt, noch aufgehetzt von Drahtziehern. Aber man kann nicht allgemein jetzt der Türkei anlasten, es gäbe eine Christenverfolgung. Wir verbinden Christenverfolgungen sehr leicht dann mit den Vorgängen im 3. Jahrhundert in Rom. Das gibt es nicht, eine direkte Christenverfolgung. Man hat uns nicht unbedingt gerne, wir sind nicht die angesehensten Leute, und Leute, die längere Zeit dort sind, die sagen auch, wir haben es schon schwer. Also es gibt keinen Christen im Parlament. Wohl im Iran erstaunlicherweise, im Iran gibt es einige Christen im …
Weber: … da ist das festgelegt …
Butzkamm: … ja, aber in der Türkei nicht. Oder wenn es praktisch um Arbeitssuche geht, dann werden die Christen nicht unbedingt bevorzugt oder gleich behandelt, da nimmt man natürlich erst mal die Glaubensbrüder, die Muslime.
Weber: Ich würde jetzt gern noch mal auf die Islamdebatte hier in Deutschland kommen: Da wird von fremden Kulturkreisen gesprochen und wird auf dem christlichen Menschenbild beharrt. Wie ist das denn nun im Zusammenleben vor Ort? Christen, die aus Deutschland kommen, in der Türkei leben, erleben die täglich, dass da unterschiedliche Kulturkreise und Menschenbilder aufeinanderprallen, oder ist das im Grunde gar kein so großer Unterschied?
Butzkamm: Ja wir leben – das kann ich sicher sagen –, wir leben nebeneinander her. Es gibt offiziell keine Berührungen, auch inoffiziell nicht. Gut, viele Deutsche haben Freunde, ich hab auch da im Basar einige Freunde, die Muslime sind, das gibt es natürlich. Aber offiziell gibt es keine Kontakte zwischen Christen. Wir leben wie auf einer Insel dort. Für uns, wir dürfen nicht an die Öffentlichkeit gehen, keine Prozessionen machen - wollen wir auch nicht, wir würden uns auch lächerlich machen, wenn wir mit zehn Leuten eine Fronleichnamsprozession machten, was soll das auch -, aber wir leben wirklich neben den Muslimen her, die wissen von uns, haben auch meist verkehrte Vorstellungen, wir sind ja immer noch Leute, die drei Götter haben und auch noch eine Göttin gelegentlich dabei, wir sind etwas komische Käuze. Und von außen gesehen, mit türkischen oder islamischen Augen gesehen sind wir doch nicht richtig gläubig. Wir sind nicht ungläubig, auch wenn man uns das manchmal anlastet, wir sind Leute der Schrift, aber wir haben doch nicht die hohe Religion, die Muslime haben im Islam. Und deswegen müsste man uns eigentlich bekehren. Man lässt uns gewähren da, aber man schaut jetzt nicht mit Hochachtung auf uns Christen.
Weber: Und dann blicken wir auch mal nach Rom, denn da findet ja zurzeit noch die Sondersynode für den Nahen Osten statt, am Sonntag geht sie zu Ende. Wird denn diese Sondersynode in der Türkei rezipiert, haben Sie den Eindruck? Es ist eine katholische Veranstaltung, gleichzeitig ist sie trotzdem wichtig, denke ich, für alle Christen in der Region.
Butzkamm: Ja, ja. Also die Synode behandelt ja nicht nur die Situation in der Türkei. Was immer wieder gefordert wird, das muss ich unbedingt auch sagen, dass die Christen anerkannt werden als eine juristische Person. Das hat auch der Papst verschiedene Male angemahnt: Wir haben kein eigenes Konto als Gemeinde, dürfen wir auch gar nicht führen, wir existieren nicht als Sankt-Paul-Gemeinde, sondern es ist eine Aktiengesellschaft, und diese Aktiengesellschaft, die stellt uns den Saal zur Verfügung - also auf diese Weise muss man sich da helfen.
Also es geht um die Türkei, aber auch um alle anderen Länder im Vorderen Orient, da ist die Situation sehr unterschiedlich. In Syrien ist die Situation relativ gut, in Ägypten ist sie wieder kompliziert mit … also die Muslime und die Kopten. Also diese Dinge werden besprochen in Rom, auch differenziert, den Christen soll Mut gemacht werden, weil sie in dieser gewaltigen Minderheit sind, und ich hoffe, dass man auch mit Forderungen kommt, mit dringendem Bitten, wie auch Wulff das, unser Präsident, das gesagt hat: Wir erwarten, dass auch hier in der Türkei, dass wir Kirchen bauen können, wenn es nötig ist, dass wir anerkannt sind, Nachwuchs ausbilden können und so weiter.
Weber: Der Theologe Aloys Butzkamm über Christen und Muslime in der Türkei. Über seine Zeit in Istanbul hat er ein Buch geschrieben, das in vier Wochen im Bonifatius Verlag erscheinen wird. Es heißt "Ein katholischer Pfarrer am Bosporus. Mein Tagebuch."
Aloys Butzkamm: Auf Anhieb hört sich das ja etwas seltsam an, wenn der Präsident sagt, das Christentum gehört zur Türkei. Sie merken, wenn Sie als Tourist oder als Geschäftsmann oder Diplomat in die Türkei kommen, Istanbul, Ankara, merken Sie nichts vom Christentum. Das ist aber nicht immer so gewesen, lassen Sie mich ganz kurz ausholen: In der Türkei gab es in den ersten Jahrhunderten die blühendsten Christengemeinden. Wir haben ja die Paulusbriefe an verschiedene Städte in der Türkei, im dritten, vierten Jahrhundert war die heutige Türkei christlich, Ende des vierten Jahrhunderts wurde das Christentum sogar Staatsreligion unter Theodosius. Das ging jahrhundertelang so. Dann, 1453, eroberte Mehmed Istanbul, damit begann die Periode des Islams. Und die darf man nicht unterschätzen, der Islam hat ganz großartige Bauten errichtet, es gab Bevölkerungsaustausch, es gab auch später Vertreibungen von Christen, damit sind wir aber schon im 20. Jahrhundert. Heute spielen wie gesagt die Christen in der Türkei keine große Rolle, prozentual sind es weniger als ein Prozent, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.
Weber: Und Sie haben in einem Interview mit der katholischen Nachrichtenagentur gesagt, wir brauchen in der Türkei keine neuen Kirchen. Deswegen, weil es so wenige Christen sind?
Butzkamm: Das hört sich seltsam an, es ist so. Wir brauchen im Moment keine Kirchen, wir haben Räume, in denen wir Gottesdienste feiern können. Also die Situation, in der ich war neun Monate: Ich hab in einem Hause gewohnt – hier würde man sagen Pfarrhaus – …
Weber: … in Istanbul?
Butzkamm: In Istanbul ist es kein Pfarrhaus, weil es Pfarrer und Kirchen offiziell nicht gibt und kirchliche Gemeinden. Also offiziell existieren die evangelischen und die katholischen Christen überhaupt nicht in Istanbul, wir werden nicht erwähnt. Aber tatsächlich lässt man uns dort arbeiten. Ja, jedenfalls ich hatte einen kleinen Saal am Haus, in dem ich den Gottesdienst gefeiert habe. Die katholische Gemeinde, eine Personalgemeinde, besteht, man schätzt, aus 6000, offiziell 6000 katholischen Christen in Istanbul.
Weber: Das ist nicht viel.
Butzkamm: Nein, im Vergleich zu 16 Millionen oder 17 Millionen Einwohnern nicht viel. Und hier finden alle Platz auch bei großen Festivitäten, Weihnachten, Ostern ist der Saal natürlich voll mit 70, 80, 90, es passen auch 100 Leute hinein. An normalen Sonntagen kommen vielleicht 20 Personen dorthin. Also eine neue Kirche bauen … Ja, die muss ja gefüllt werden! Die wird leer sein.
Weber: Nun gibt es noch eine andere Bevölkerungsgruppe in der Türkei, die Aleviten, das ist fast ein Viertel der Bevölkerung und die beschweren sich auch über die Diskriminierung. Hätte Herr Wulff vielleicht eher sagen sollen, der Alevismus gehört zweifelsfrei zur Türkei?
Butzkamm: Ja das ist vielleicht nicht so sein Bereich, dass er sich für die Aleviten starkmacht. Also es geht schon in erster Linie um uns Christen. Aleviten bilden eine große Minderheit und, ja, unterscheiden sich von Muslimen sunnitischer Richtung in mehrfacher Weise. Das müssten die Aleviten selber nun auch ausmachen. Wulff hat für die Christen gesprochen - sehr deutlich - und gesagt, in Deutschland haben die Muslime alle Rechte, sie bauen Moscheen, können öffentlich beten dort, und das erwarten wir hier auch.
Und dann hat er sich sehr – ich hab mich darüber gefreut! –, sehr, sehr eingesetzt für die griechisch-orthodoxen Christen, für den Patriarchen. Die griechisch-orthodoxen Christen, die haben es nicht einfach. Der Patriarch wurde im vergangenen Jahr gefragt von einem amerikanischen Journalisten, fühlen Sie sich gekreuzigt hier in der Türkei, darauf hat er gesagt, ja. Wulff hat erwähnt auch die Ausbildung des Nachwuchses, und das bezieht sich ganz eindeutig, ohne dass er es genannt hat, auf das orthodoxe Priesterseminar in Chalki, was 1971 geschlossen worden ist. Und das heißt, es können keine Theologen mehr ausgebildet werden. Das ist natürlich ein Schuss ins Zentrum. Man redet davon auch von türkischer Seite, das soll wieder geöffnet werden, aber man muss auch kontrollieren. Ich glaube, das hat er auch wohl erwähnt, ob die Versprechungen auch realisiert werden.
Weber: Da sind wir schon bei der Diskriminierung, es gab ja nun auch wirklich Morde vor wenigen Monaten an dem katholischen Bischof Luigi Padovese, in den vergangenen Jahren auch an einem Priester und drei evangelikalen Christen.
Butzkamm: Richtig.
Weber: Sehen Sie diese Morde als Einzelfälle oder vermuten Sie dahinter doch irgendwie ein System?
Butzkamm: Das ist so schwer. Ich war ja in der Zeit in Istanbul als Pfarrer, als Luigi Padovese ermordet wurde. Ich bekam einen Anruf von der Deutschen Botschaft, mich mit Kommentaren zurückzuhalten in der Öffentlichkeit. Das war auch vernünftig und richtig, denn da wurde so viel spekuliert – ich will das nicht alles aufzählen. Von türkischer Seite hieß es, der Fahrer war geistesgestört, das wird häufig gesagt. Man weiß es offiziell nicht, das kann so sein.
Dann, was die Türken nun gar nicht gerne haben, das ist eine Missionierung im Lande. Also wenn sie merken, da kommen Europäer und die holen dann Leute unseres Glaubens zum Christentum, das hat man nicht gerne. Und das war möglicherweise auch eine Ursache für die drei Mitarbeiter eines protestantischen Verlages in Malatya, die 2008 ermordet wurden.
Also ich denke, es sind einige superfanatische Leute, einzelne, die das machen. Möglicherweise werden die angestachelt, noch aufgehetzt von Drahtziehern. Aber man kann nicht allgemein jetzt der Türkei anlasten, es gäbe eine Christenverfolgung. Wir verbinden Christenverfolgungen sehr leicht dann mit den Vorgängen im 3. Jahrhundert in Rom. Das gibt es nicht, eine direkte Christenverfolgung. Man hat uns nicht unbedingt gerne, wir sind nicht die angesehensten Leute, und Leute, die längere Zeit dort sind, die sagen auch, wir haben es schon schwer. Also es gibt keinen Christen im Parlament. Wohl im Iran erstaunlicherweise, im Iran gibt es einige Christen im …
Weber: … da ist das festgelegt …
Butzkamm: … ja, aber in der Türkei nicht. Oder wenn es praktisch um Arbeitssuche geht, dann werden die Christen nicht unbedingt bevorzugt oder gleich behandelt, da nimmt man natürlich erst mal die Glaubensbrüder, die Muslime.
Weber: Ich würde jetzt gern noch mal auf die Islamdebatte hier in Deutschland kommen: Da wird von fremden Kulturkreisen gesprochen und wird auf dem christlichen Menschenbild beharrt. Wie ist das denn nun im Zusammenleben vor Ort? Christen, die aus Deutschland kommen, in der Türkei leben, erleben die täglich, dass da unterschiedliche Kulturkreise und Menschenbilder aufeinanderprallen, oder ist das im Grunde gar kein so großer Unterschied?
Butzkamm: Ja wir leben – das kann ich sicher sagen –, wir leben nebeneinander her. Es gibt offiziell keine Berührungen, auch inoffiziell nicht. Gut, viele Deutsche haben Freunde, ich hab auch da im Basar einige Freunde, die Muslime sind, das gibt es natürlich. Aber offiziell gibt es keine Kontakte zwischen Christen. Wir leben wie auf einer Insel dort. Für uns, wir dürfen nicht an die Öffentlichkeit gehen, keine Prozessionen machen - wollen wir auch nicht, wir würden uns auch lächerlich machen, wenn wir mit zehn Leuten eine Fronleichnamsprozession machten, was soll das auch -, aber wir leben wirklich neben den Muslimen her, die wissen von uns, haben auch meist verkehrte Vorstellungen, wir sind ja immer noch Leute, die drei Götter haben und auch noch eine Göttin gelegentlich dabei, wir sind etwas komische Käuze. Und von außen gesehen, mit türkischen oder islamischen Augen gesehen sind wir doch nicht richtig gläubig. Wir sind nicht ungläubig, auch wenn man uns das manchmal anlastet, wir sind Leute der Schrift, aber wir haben doch nicht die hohe Religion, die Muslime haben im Islam. Und deswegen müsste man uns eigentlich bekehren. Man lässt uns gewähren da, aber man schaut jetzt nicht mit Hochachtung auf uns Christen.
Weber: Und dann blicken wir auch mal nach Rom, denn da findet ja zurzeit noch die Sondersynode für den Nahen Osten statt, am Sonntag geht sie zu Ende. Wird denn diese Sondersynode in der Türkei rezipiert, haben Sie den Eindruck? Es ist eine katholische Veranstaltung, gleichzeitig ist sie trotzdem wichtig, denke ich, für alle Christen in der Region.
Butzkamm: Ja, ja. Also die Synode behandelt ja nicht nur die Situation in der Türkei. Was immer wieder gefordert wird, das muss ich unbedingt auch sagen, dass die Christen anerkannt werden als eine juristische Person. Das hat auch der Papst verschiedene Male angemahnt: Wir haben kein eigenes Konto als Gemeinde, dürfen wir auch gar nicht führen, wir existieren nicht als Sankt-Paul-Gemeinde, sondern es ist eine Aktiengesellschaft, und diese Aktiengesellschaft, die stellt uns den Saal zur Verfügung - also auf diese Weise muss man sich da helfen.
Also es geht um die Türkei, aber auch um alle anderen Länder im Vorderen Orient, da ist die Situation sehr unterschiedlich. In Syrien ist die Situation relativ gut, in Ägypten ist sie wieder kompliziert mit … also die Muslime und die Kopten. Also diese Dinge werden besprochen in Rom, auch differenziert, den Christen soll Mut gemacht werden, weil sie in dieser gewaltigen Minderheit sind, und ich hoffe, dass man auch mit Forderungen kommt, mit dringendem Bitten, wie auch Wulff das, unser Präsident, das gesagt hat: Wir erwarten, dass auch hier in der Türkei, dass wir Kirchen bauen können, wenn es nötig ist, dass wir anerkannt sind, Nachwuchs ausbilden können und so weiter.
Weber: Der Theologe Aloys Butzkamm über Christen und Muslime in der Türkei. Über seine Zeit in Istanbul hat er ein Buch geschrieben, das in vier Wochen im Bonifatius Verlag erscheinen wird. Es heißt "Ein katholischer Pfarrer am Bosporus. Mein Tagebuch."