Das Gesicht des Krieges
Wir beklagen Abu Ghraib, das Foltergefängnis im amerikanischen Irak-Krieg nahe Bagdad und Guantanamo – das amerikanische Zwangslager in Kuba für Menschen, die von der ältesten Demokratie der Welt verdächtigt werden, Böses getan zu haben, ohne zu erfahren, wofür die USA einst einsam und stolz standen: nämlich ein gerechtes Verfahren vor einem unabhängigen Gericht.
Sein zerschundenes Gesicht lebt noch heute in meiner Erinnerung. Auf der heimatlichen Nordseeinsel prägte er, der heimgekehrte Soldat, mein Bild vom hässlichen Gesicht des Krieges; denn, so sagte man, der Krieg habe ihm das Kinn weggeschossen. Wir sind es gewohnt, vom Krieg wie von einer abstrakten Größe zu sprechen, von einer naturgegebenen Einrichtung der Gesellschaft – einer Einrichtung, die es immer gegeben habe und die es immer geben werde.
Wir beklagen Abu Ghraib, das Foltergefängnis im amerikanischen Irak-Krieg nahe Bagdad und Guantanamo – das amerikanische Zwangslager in Kuba für Menschen, die von der ältesten Demokratie der Welt verdächtigt werden, Böses getan zu haben, ohne zu erfahren, wofür die USA einst einsam und stolz standen: nämlich ein gerechtes Verfahren vor einem unabhängigen Gericht. Wahr aber ist: Nicht der Krieg, sondern Krieg führende Menschen zerstören das Antlitz einzelner oder einer ganzen Gesellschaft.
Doch hüten wir uns vor jenen, die nur über Guantanamo und Abu Ghraib reden wollen. In den Archiven der vergangenen wie der tatsächlichen Gegenwart lagern Berge von Kriegserinnerungsstücken, eines bedrückender als das andere. Da ist die erschreckend grausame Geschichte der Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg, die hier zwar nicht aufgeblättert werden kann, keinesfalls aber unerwähnt bleiben darf. Die Mord-Orgien zumal der SS, Oradour in Frankreich und Lidice unweit von Prag – grausame Bilder, die unauslöschlich in unserem Gedächtnis wirken.
Unvergessen der tausendfache Mord an kurdischer Bevölkerung durch Gas-Waffen, den der irakische Diktator Saddam Hussein zu verantworten hat; entsetzlich die sehr gegenwärtigen Kriegsverbrechen, z. B. in Darfur, im Süden Sudans. Beweise für Massaker hat der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, den es ja endlich gibt, dem UN-Sicherheitsrat in New York vorgelegt, doch die Welt schaut mit weit geöffneten Augen nahezu untätig zu.
Krieg ist kein unentrinnbares Schicksal, sondern das Werk von Menschen. „Krieg“ und „Kriegsverbrechen“ sind untrennbar miteinander verwachsene Zwillinge – ohne Krieg keine Kriegsverbrecher. Ihn, den Krieg, gilt es zu überwinden, soll den Abu Ghraibs und Guantanamos der Nährboden entzogen werden, auf dem sie gedeihen.
Wahrlich kein Mangel herrscht an Versuchen, Krieg durch Völkerrecht zu verhindern, zumindest aber den Kriegsverlauf rechtlich zu zähmen. Doch welche Wirkung können diese Regeln entfalten, wenn die Sucht nach Macht die Pflicht zum Recht erstickt! Die Zahl der Kriegsverbrecher ist eben doch beträchtlich größer als die der Friedensnobelpreis-Träger.
Hier ist nicht der Ort, die unterschiedlichsten Kriegsverbrechen einer Feindiagnose auszusetzen – gar nach „schlimm“ oder „schlimmer“ zu gewichten. Wichtig ist etwas anderes: Das Bewusstsein für die hässliche Fratze des Krieges muss neu geweckt werden; ins Zentrum politischer Nachdenklichkeit muss die Einsicht zurückkehren, dass das Gesicht einer Gesellschaft, ob national oder international, vor der Zerstörung nur dann bewahrt werden kann, wenn die Würde des Gesichts, die Würde des Antlitz’ gegen seine gewaltsame Verzerrung verteidigt wird.
Wo das Gesicht zur Fratze verkommt, ist der Boden für nicht legitimierte Gewalt bereitet. Vom tierisch entstellten Menschengesicht – jüngst sogar prämiert beim europäischen Schlager-Festival – zur gewaltsamen Entgleisung im Klassenzimmer ist es nur ein kurzer Weg. Eine Gesellschaft, die Gewalt und Gewaltverzerrtes fernsehspielerisch nahezu täglich ausstrahlt muss sich nicht wundern, wenn eine gewalt-verstrahlte Gesellschaft dabei herauskommt. Und von dort zur Gleichgültigkeit gegenüber nicht legitimierter Gewaltanwendung zwischen Staaten ist es dann auch nicht mehr weit.
In seiner wunderbaren Studie über Macht und Recht berichtet der Berliner Historiker Alexander Demandt von einem oberägyptischen Papyrus-Text aus dem 5. Jh. v C. Dort wird erzählt von einer Kronrat-Sitzung bei Gott Vater am Abend des 5. Schöpfungstages. Während die Engel mangels Erfolgsaussicht davon abraten, den Menschen als Ebenbild Gottes zu schaffen, kommt auch der Teufel zu Wort und empfiehlt: „Herr, Du musst den Menschen schaffen, sonst fehlt Deiner Schöpfung die Krone.“ Und Gott beschloss, ihn zu schaffen –"aber als einziges Wesen soll er ewig unfertig bleiben. Immer soll er Liebe, Wahrheit und Gerechtigkeit als Bild von mir in sich tragen, nie wird er es verwirklichen.“ Diese göttliche Weissagung ist Wirklichkeit geworden – aber es gibt keinen Grund, sich damit abzufinden.
Walther Stützle, Journalist und Autor, Jahrgang 1941, war von 1998 bis 2002 Staatssekretär des Verteidigungsministeriums und ist heute freier Autor sowie Senior Distinguished Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin.
Wir beklagen Abu Ghraib, das Foltergefängnis im amerikanischen Irak-Krieg nahe Bagdad und Guantanamo – das amerikanische Zwangslager in Kuba für Menschen, die von der ältesten Demokratie der Welt verdächtigt werden, Böses getan zu haben, ohne zu erfahren, wofür die USA einst einsam und stolz standen: nämlich ein gerechtes Verfahren vor einem unabhängigen Gericht. Wahr aber ist: Nicht der Krieg, sondern Krieg führende Menschen zerstören das Antlitz einzelner oder einer ganzen Gesellschaft.
Doch hüten wir uns vor jenen, die nur über Guantanamo und Abu Ghraib reden wollen. In den Archiven der vergangenen wie der tatsächlichen Gegenwart lagern Berge von Kriegserinnerungsstücken, eines bedrückender als das andere. Da ist die erschreckend grausame Geschichte der Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg, die hier zwar nicht aufgeblättert werden kann, keinesfalls aber unerwähnt bleiben darf. Die Mord-Orgien zumal der SS, Oradour in Frankreich und Lidice unweit von Prag – grausame Bilder, die unauslöschlich in unserem Gedächtnis wirken.
Unvergessen der tausendfache Mord an kurdischer Bevölkerung durch Gas-Waffen, den der irakische Diktator Saddam Hussein zu verantworten hat; entsetzlich die sehr gegenwärtigen Kriegsverbrechen, z. B. in Darfur, im Süden Sudans. Beweise für Massaker hat der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, den es ja endlich gibt, dem UN-Sicherheitsrat in New York vorgelegt, doch die Welt schaut mit weit geöffneten Augen nahezu untätig zu.
Krieg ist kein unentrinnbares Schicksal, sondern das Werk von Menschen. „Krieg“ und „Kriegsverbrechen“ sind untrennbar miteinander verwachsene Zwillinge – ohne Krieg keine Kriegsverbrecher. Ihn, den Krieg, gilt es zu überwinden, soll den Abu Ghraibs und Guantanamos der Nährboden entzogen werden, auf dem sie gedeihen.
Wahrlich kein Mangel herrscht an Versuchen, Krieg durch Völkerrecht zu verhindern, zumindest aber den Kriegsverlauf rechtlich zu zähmen. Doch welche Wirkung können diese Regeln entfalten, wenn die Sucht nach Macht die Pflicht zum Recht erstickt! Die Zahl der Kriegsverbrecher ist eben doch beträchtlich größer als die der Friedensnobelpreis-Träger.
Hier ist nicht der Ort, die unterschiedlichsten Kriegsverbrechen einer Feindiagnose auszusetzen – gar nach „schlimm“ oder „schlimmer“ zu gewichten. Wichtig ist etwas anderes: Das Bewusstsein für die hässliche Fratze des Krieges muss neu geweckt werden; ins Zentrum politischer Nachdenklichkeit muss die Einsicht zurückkehren, dass das Gesicht einer Gesellschaft, ob national oder international, vor der Zerstörung nur dann bewahrt werden kann, wenn die Würde des Gesichts, die Würde des Antlitz’ gegen seine gewaltsame Verzerrung verteidigt wird.
Wo das Gesicht zur Fratze verkommt, ist der Boden für nicht legitimierte Gewalt bereitet. Vom tierisch entstellten Menschengesicht – jüngst sogar prämiert beim europäischen Schlager-Festival – zur gewaltsamen Entgleisung im Klassenzimmer ist es nur ein kurzer Weg. Eine Gesellschaft, die Gewalt und Gewaltverzerrtes fernsehspielerisch nahezu täglich ausstrahlt muss sich nicht wundern, wenn eine gewalt-verstrahlte Gesellschaft dabei herauskommt. Und von dort zur Gleichgültigkeit gegenüber nicht legitimierter Gewaltanwendung zwischen Staaten ist es dann auch nicht mehr weit.
In seiner wunderbaren Studie über Macht und Recht berichtet der Berliner Historiker Alexander Demandt von einem oberägyptischen Papyrus-Text aus dem 5. Jh. v C. Dort wird erzählt von einer Kronrat-Sitzung bei Gott Vater am Abend des 5. Schöpfungstages. Während die Engel mangels Erfolgsaussicht davon abraten, den Menschen als Ebenbild Gottes zu schaffen, kommt auch der Teufel zu Wort und empfiehlt: „Herr, Du musst den Menschen schaffen, sonst fehlt Deiner Schöpfung die Krone.“ Und Gott beschloss, ihn zu schaffen –"aber als einziges Wesen soll er ewig unfertig bleiben. Immer soll er Liebe, Wahrheit und Gerechtigkeit als Bild von mir in sich tragen, nie wird er es verwirklichen.“ Diese göttliche Weissagung ist Wirklichkeit geworden – aber es gibt keinen Grund, sich damit abzufinden.
Walther Stützle, Journalist und Autor, Jahrgang 1941, war von 1998 bis 2002 Staatssekretär des Verteidigungsministeriums und ist heute freier Autor sowie Senior Distinguished Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin.