"Das Gemälde gehört nach Dresden"

Moderation: Dieter Kassel |
Der Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Martin Roth, hat sich erfreut darüber gezeigt, dass das Gemälde "Tante Marianne" von Gerhard Richter in wenigen Wochen in Dresden ausgestellt werden kann. Richters Werk verbinde die Biografie des Malers mit der Kunst- und der Zeitgeschichte, sagte Roth.
Dieter Kassel: Die englische Zeitung "The Guardian" hat Gerhard Richter mal als den Picasso des 21. Jahrhunderts bezeichnet, und dort und an vielen anderen Stellen wird immer wieder gesagt, dass Richter einer der bedeutendsten und vielleicht sogar der bedeutendste Gegenwartskünstler ist. Heute wird er 75 Jahre alt, und in wenigen Wochen kommt als verspätetes Geschenk sein Bild "Tante Marianne" nach Dresden, das inzwischen vermutlich bekannteste Bild von Gerhard Richter. Und bei mir in Studio ist jetzt der Mann, dem die Kunstwelt das zu verdanken hat: Der Direktor der Staatlichen Kunstsammlung Dresden, Martin Roth. Schönen guten Tag Herr Roth!

Martin Roth: Guten Tag!

Kassel: Als vor einer Ecke, vor weniger als einem Jahr sogar, dieses Bild für über drei Millionen Euro versteigert wurde, haben Sie damals daran geglaubt, dass Sie in einer absehbarer Zeit dieses Bild nach Dresden noch kriegen könnten?

Roth: Ich habe das Glauben aufgegeben in diesem Zusammenhang und arbeite nur noch mit Hoffen. Wir haben damals auch versucht mitzusteigern, und ich habe ernsthaft auch mit Hilfe von sehr vielen Leuten wirklich bis zur letzten Sekunde damals auch noch gehofft, dass wir das Geld zusammenbringen, und zum Schluss fehlte ein kleiner Betrag. Insofern war ich damals auch sehr ernüchtert. Dann habe ich eben sofort angefangen diesen anderen Weg zu versuchen. Das ist natürlich immer Trial and Error, da kann niemand wirklich mit Sicherheit sagen, ob das tatsächlich klappt.

Kassel: Wir wissen, das heißt, die Öffentlichkeit weiß, dass ein chinesischer Kunstsammler, der in Taiwan lebt, dieses Bild gekauft hat. Viel mehr über den Mann werden Sie mir auch nicht jetzt erzählen, das muss man natürlich auch sehen. Aber so weit Sie das sagen können, welchen Weg haben Sie denn da gewählt, denn ich nehme an, wenn ich als Dieter Kassel dann beim Auktionshaus gesagt hätte, nun gebt mir doch mal die Visitenkarte des Käufers, hätte ich sie nicht bekommen. Bei Ihnen lief das bestimmt auch anders?

Roth: In dem Falle ich, aber wirklich jetzt ausschließlich in diesem Fall, habe ich einfach ein paar sehr hilfreiche Informationen von anderen Sammlern bekommen, die uns sehr zugeneigt sind. Die haben dann auch den Kontakt hergestellt, und erst auf die Art und Weise ging es dann. Es war sehr behutsam, sehr vorsichtig, beinahe sechs, acht Monate mit so einer ganz langsamen Annäherung, und dann ging es plötzlich sehr schnell. Dann war ich in Taipeh, durfte ein sehr gutes Gespräch mit dem Sammler führen, der eine sehr gute Sammlung hat, nicht nur von Westkunst, sondern vor allen Dingen auch von chinesischer Kunst, und der versucht beides zusammenzubringen, auch im öffentlichen Auftritt. Ich würde mir wünschen, und ich glaube, das wird uns auch gelingen, dass er demnächst nach Deutschland kommt und dass wir uns dann gemeinsam der Öffentlichkeit stellen. Ich freu mich da sehr drauf.

Kassel: Auf Grund der Geschichte dieses Bildes, "Tante Marianne", ist es, ich habe bewusst vorhin den Begriff gewählt, vermutlich eines der bekanntesten oder das bekannteste Bild von Richter. Ich meine, "bestes" ist sowieso immer wertend, das wird vielleicht auch jeder anders sehen, und Richter, was er darüber denkt, das wird er uns gar nicht erzählen, schon gar nicht an seinem Geburtstag, den will er ja heute nicht richtig feiern. Aber warum wollten Sie gerade dieses Bild unbedingt für Dresden haben? Seit drei Jahren haben Sie ja eine Ausstellung mit Richter-Bildern, und es gibt viele andere. Manche sind zugänglich, manche nicht. Warum gerade dieses?

Roth: In der Tat. Ich glaube, mit ihm darf man wirklich nicht darüber reden, weil, wie ich ihn kenne, wird er sagen, Was?, wobei ich seine Haltung sehr schätze, muss ich wirklich dazu sagen, auch die Distanz, die er dann dazu hat. Aber Richter ist auch – und ich habe lange gebraucht, bis ich das einigermaßen verstanden habe, und wahrscheinlich sieht er sich selbst überhaupt nicht so, ist natürlich auch ein Chronist, egal ob es die Auseinandersetzung mit der RAF ist, egal ob es der "Onkel Rudi" ist, den man natürlich auch im Zusammenhang mit der "Tante Marianne" sehen muss. Das ist schon auch deutsche Geschichte, Familiengeschichte. Das ist der Punkt, wo ich so die eigene Geschichte, die eigene Weltanschauung mit der offiziellen Geschichte überlagert. Und das hat natürlich ganz viel mit Dresden zu tun, und nachdem Gerhard Richter diese Hinwendung zu Dresden vor einigen Jahren wirklich deutlich vollzogen hat, was für mich eine unglaubliche Freude ist bis heute und mein Arbeitsleben durchaus auch verändert hat, bin ich einfach davon überzeugt, dass gerade diese Werke eine besondere Bedeutung haben, wenn es darum geht, die Verbindung herzustellen zwischen Richters Person, seiner Biografie, der Kunst, der Kunstgeschichte, der Kunstwelt. Also insofern: Das Gemälde gehört nach Dresden. Zumindest sollte es in Dresden für die Öffentlichkeit zugänglich sein.

Kassel: Ist das – und ich verspreche Ihnen jetzt, Herr Roth, das ist die letzte Frage nach diesem Mann, der anonym bleiben muss -, ist das ungefähr das Argument gewesen, was Sie auch dem chinesisch-taiwanesischen Sammler gesagt haben, um ihn zu überzeugen, oder wie sind Sie da vorgegangen?

Roth: Was ich auf jeden Fall erzählt habe, war natürlich dieses große Interesse, das wir an Richter, die Präsenz von Richter in Dresden, seine Herkunft, all diese Zusammenhänge. Und dann hat es natürlich schon auch eine Rolle gespielt, keine Frage, aber es war sozusagen nicht das erste Argument und auch nicht nur das ausschlaggebende Argument, sondern schon die Planung, das frisch restaurierte, renovierte Albertinum 2000 wiederzueröffnen, auch mit diesem Gemälde. Die Hoffnung, dieses Gemälde vorher schon zu haben in einer Sonderausstellung, bei den alten Meistern vorübergehend zu zeigen. Ich glaube, das waren alles Argumente und vieles andere mehr, worüber ich eben nicht rede, um ihn zu überzeugen. Aber noch mal: Er hat ein großes Interesse an einem sehr intellektuellen Austausch zwischen Asien und dem Westen, und da spielt natürlich diese Art von Präsentation und die Art von Debatte natürlich eine große Rolle.

Kassel: Wir haben es noch gar nicht deutlich gesagt, ich nicht, wir reden hier über die Dauerleihgabe. Sie haben das Bild nicht abgekauft, er bleibt der Besitzer.

Roth: Nein, es geht um eine Dauerleihgabe, und bei Dauerleihgaben bin ich auch ein bisschen vorsichtig. Das heißt, wenn er zwischendrin dieses Gemälde mal irgendwo anders ausleihen möchte und so, ist es auch kein großes Problem, aber es wird sozusagen bei uns für eine gewisse Zeit, die wir festlegen werden, wie wir das in der Zwischenzeit mit vielen anderen Dauerleihgaben auch machen. Das funktioniert auch sehr gut und unproblematisch.

Kassel: Reden wir an seinem 75. Geburtstag doch jetzt über Gerhard Richter und auch nicht nur über dieses eine Bild, das ja sicherlich auch unter anderem wegen des großen, ich nenne es jetzt so ganz modern, Hypes um die Hintergründe auch so berühmt geworden ist. Vielleicht ist das, relativ gesehen, gar nicht gerechtfertigt. Reden wir über sein Werk, und reden wir über Dresden. Es hat ja lange gedauert, auch nach Mauerfall, dass er im übertragenen wie auch im wörtlichen Sinne wieder nach Dresden gegangen ist. Er ist 1961 in den Westen, hat dann lange in Düsseldorf und später natürlich in Köln gelebt. Heute: Wie wichtig ist, auch so rum, Dresden für Richter und wie wichtig ist Richter für Dresden?

Roth: Die eine Frage kann ich natürlich leicht beantworten, nämlich wie wichtig Gerhard Richter für uns ist. Das war nach der Flut und nach all den wirklich desaströsen Zuständen dann schon eine Art von Offenbarung, als wir plötzlich die Möglichkeit hatten, nicht nur mit ihm zusammenzuarbeiten, sondern das drückt sich auch noch in ganz anderen Zusammenhängen aus. Er stiftete nicht alleine, sondern mit anderen Künstlern zusammen, ja doch einen ganz ordentlichen Betrag, und dieser Betrag war, wie man auf Neudeutsch sagt, the Seed Money, der Grundstock, um weitere Gelder zu akquirieren, und wir konnten auf die Art und Weise jetzt das Albertinum renovieren. Also das heißt, Richter ist in vielen Bereichen präsent, aber er persönlich nicht, wie er halt nun mal so ist. Also er selbst nimmt sich dann doch sehr raus, ist sehr zurückhaltend, und es gibt ja kein großes Trara und Theater drum rum. Ich zitiere ungern Richter, ich glaube, es wird ihm auch überhaupt nicht gefallen, vor allen Dingen, wenn ich jetzt die Geschichte erzähle, schon zweimal nicht, Aber Ulrich Bischof, der Chef der neuen Meister, belehrt mich auf eine positive Art und sagt: Herr Roth, Künstler lieben die Museen, deshalb kommen sie nach Dresden. Caspar David Friedrich kam zum Beispiel deshalb. Das hatte ich irgendwann mal Gerhard Richter gefragt, und er sagte, na ja, also das für ihn nicht so besonders. Als er dann in den Westen gegangen sei, hätte er sich doch sehr gewundert, dass nicht jede Stadt so wunderschöne Museen hätte wie Dresden, und ich finde, das spricht Bände. Also wer in Dresden aufgewachsen ist, wer in Dresden gearbeitet hat, der hat es einfach als selbstverständlich angenommen, dass es diese wahnsinnigen Sammlungen gibt in dieser zerstörten Stadt. Diese Doppelbödigkeit, diese Weltläufigkeit und Offenheit in der Kunst und dieses total Zerstörte sozusagen in der Realität.

Kassel: Bei allem Unverkrampften und Eventfreien, das ist ja, glaube ich, auch ein Grund, warum Richter seinen 75. eben nicht mit einer großen Party und einer Live-Übertragung bei 3Sat feiern möchte, weil er das nicht zum Kunstevent machen möchte: Werden Sie ihm wenigstens gratulieren?

Roth: Selbstverständlich, aber klar!

Kassel: 2009 wird, glaube ich, das Albertinum erst wieder eröffnet.

Roth: Erst, sagen Sie? Bei uns geht es schon rund. Das ist morgen für uns, wirklich, es geht ganz schnell und es wird wunderschön.

Kassel: Ich möchte aber nicht so lange warten auf "Tante Marianne". Können Sie schon einen Termin nennen, wann man die sehen kann?

Roth: Das können Sie sehen, einen Termin kann ich noch nicht nennen, aber ich gehe davon aus, dass es in den nächsten Wochen sein wird. Das geben wir rechtzeitig bekannt.

Kassel: "Tante Marianne" in einigen Wochen, 75. Geburtstag von Richter heute, und deshalb war bei uns zu Gast der Direktor der Staatlichen Kunstsammlung in Dresden, Martin Roth. Herr Roth, ich danke Ihnen, dass Sie da waren.
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