Das Gehirn flunkert
Der Wissenschaftler Chris Frith möchte seine Leser von neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaft und Kognitionsforschung überzeugen. Sein Buch liefert trotz verständlicher Sprache und einfachen Erklärungen keine leichte Kost.
Wahrnehmung ist nicht die möglichst exakte Abbildung der Umwelt in unserem Gehirn, sondern die fantasievolle Konstruktion einer eigenen inneren Welt. Wer behauptet: "Ich glaube nur, was ich sehe", sollte sich zunächst ein neues Gehirn anschaffen. Denn die möglichst detailgetreue Abbildung der Wirklichkeit ist nicht gerade die Stärke unseres Denkorgans.
Das Gehirn erhält über die Sinnesorgane verschiedene, bruchstückhafte Informationen und baut sie nach eigenen Vorstellungen neu zusammen. So entstehen scheinbar vollständige Bilder und in sich stimmige Geschichten, am liebsten mit einem Happy End für den Hirnbesitzer. So lässt sich das Leben am besten bewerkstelligen, auch wenn man sich die Umwelt ein wenig zurechtbiegen muss.
Durch die Demonstration optischer Täuschungen und die Beschreibung zahlreicher Versuchsergebnisse der Kognitionsforschung belegt Chris Frith diese Kernaussage seines Buches. Wenn es dabei etwas komplizierter wird, tragen einfache Grafiken zum besseren Verständnis der Vorgänge in unserem Kopf bei. Doch während das Gehirn beim Lesen gerade lernt, ein stimmiges Bild von sich selbst zu erzeugen, taucht eine fiktive Englischprofessorin im Text auf und stellt die mühsam erarbeiteten Ergebnisse der Wissenschaftler mit Argumenten des "gesunden Menschenverstands" in Frage. Sie vertraut ihren subjektiven Wahrnehmungen und ihrer Erfahrung. Sie unterscheidet – wie wir alle im Alltag – nicht zwischen Gehirn, Wahrnehmung und Bewusstsein. Mit ihren Argumenten aus Alltag und geisteswissenschaftlicher Tradition setzt sich der naturwissenschaftlich denkende und arbeitende Chris Frith auseinander und hat dabei keinen leichten Stand.
Das Buch liefert trotz der verständlichen Sprache, den einfachen Erklärungen und der gelungen Übersetzung von Monika Niehaus keine leichte Kost. Zahlreiche, manchmal auch widersprüchliche Informationen fordern den kritischen Leser. Chris Frith will keine Konsumenten, die ihm, dem Gehirnexperten, alles glauben. Er möchte seine Leser von den neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaft und Kognitionsforschung überzeugen – wohl wissend, dass sich deren Gehirne gegen ihre Enttarnung wehren werden. Wer wird schon gerne als Illusionskünstler und Geschichtenerzähler entlarvt, der es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt?
"Er ist für sein extrem klares Denken bekannt", schreibt der Neurologe und Erfolgsautor Oliver Sacks über Chris Frith. Und tatsächlich gelingt es Frith, diese Klarheit im Denken in eine einfache, auch für Laien verständliche Sprache zu packen. Es lohnt sich, sich auf die Gedankenspiele des Professors aus England einzulassen. Denn er bietet nicht nur interessante Fakten über das Gehirn, sondern verleitet die lesenden Gehirne immer wieder zum Nachdenken über sich selbst und die eigene Wahrnehmung.
Besprochen von Michael Lange
Chris Frith: Wie unser Gehirn die Welt erschafft
Spektrum - Akademischer Verlag 2010
301 Seiten, 24,95 Euro
Das Gehirn erhält über die Sinnesorgane verschiedene, bruchstückhafte Informationen und baut sie nach eigenen Vorstellungen neu zusammen. So entstehen scheinbar vollständige Bilder und in sich stimmige Geschichten, am liebsten mit einem Happy End für den Hirnbesitzer. So lässt sich das Leben am besten bewerkstelligen, auch wenn man sich die Umwelt ein wenig zurechtbiegen muss.
Durch die Demonstration optischer Täuschungen und die Beschreibung zahlreicher Versuchsergebnisse der Kognitionsforschung belegt Chris Frith diese Kernaussage seines Buches. Wenn es dabei etwas komplizierter wird, tragen einfache Grafiken zum besseren Verständnis der Vorgänge in unserem Kopf bei. Doch während das Gehirn beim Lesen gerade lernt, ein stimmiges Bild von sich selbst zu erzeugen, taucht eine fiktive Englischprofessorin im Text auf und stellt die mühsam erarbeiteten Ergebnisse der Wissenschaftler mit Argumenten des "gesunden Menschenverstands" in Frage. Sie vertraut ihren subjektiven Wahrnehmungen und ihrer Erfahrung. Sie unterscheidet – wie wir alle im Alltag – nicht zwischen Gehirn, Wahrnehmung und Bewusstsein. Mit ihren Argumenten aus Alltag und geisteswissenschaftlicher Tradition setzt sich der naturwissenschaftlich denkende und arbeitende Chris Frith auseinander und hat dabei keinen leichten Stand.
Das Buch liefert trotz der verständlichen Sprache, den einfachen Erklärungen und der gelungen Übersetzung von Monika Niehaus keine leichte Kost. Zahlreiche, manchmal auch widersprüchliche Informationen fordern den kritischen Leser. Chris Frith will keine Konsumenten, die ihm, dem Gehirnexperten, alles glauben. Er möchte seine Leser von den neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaft und Kognitionsforschung überzeugen – wohl wissend, dass sich deren Gehirne gegen ihre Enttarnung wehren werden. Wer wird schon gerne als Illusionskünstler und Geschichtenerzähler entlarvt, der es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt?
"Er ist für sein extrem klares Denken bekannt", schreibt der Neurologe und Erfolgsautor Oliver Sacks über Chris Frith. Und tatsächlich gelingt es Frith, diese Klarheit im Denken in eine einfache, auch für Laien verständliche Sprache zu packen. Es lohnt sich, sich auf die Gedankenspiele des Professors aus England einzulassen. Denn er bietet nicht nur interessante Fakten über das Gehirn, sondern verleitet die lesenden Gehirne immer wieder zum Nachdenken über sich selbst und die eigene Wahrnehmung.
Besprochen von Michael Lange
Chris Frith: Wie unser Gehirn die Welt erschafft
Spektrum - Akademischer Verlag 2010
301 Seiten, 24,95 Euro