Das Geheimnis des Lebens
„Fluss der Wunder“ der US-amerikanischen Autorin Ann Patchett ist ein moderner Wissenschaftsthriller, der allerdings im finsteren Dschungel spielt. Eine Ärztin erforscht im Amazonas die Gebärfähigkeit von Indio-Frauen bis ins hohe Alter. Ihre ehemalige Schülerin wird nachgeschickt und soll vor Ort nach dem Rechten sehen.
Frauen, die auch noch mit 70 Kinder kriegen können. Fruchtbarkeit ohne Menopause. Das klingt in den Ohren eines amerikanischen Pharmaunternehmens wie ein Lottogewinn. Darum bezahlt es seit Jahren die kostspielige Feldforschung der Ärztin Dr. Annick Swenson im Amazonas-Urwald. Dort lebt ein Indio-Stamm, dessen Frauen bis ins hohe Alter gebären können. Ihr Geheimnis zu lüften, ist Ziel und Auftrag der Wissenschaftlerin. Allerdings hält sie sich gegenüber ihrem Auftraggeber mit Informationen über den Stand der Forschung auffallend zurück. Daraufhin schickt der den Biologen Anders Eckmann als Kontrolleur in den Dschungel. Doch der Wissenschaftler erliegt einem Fieber. Die Ärztin jedenfalls vermeldet seinen Tod an die Zentrale in Minnesota. Deren Chef sowie die Frau des Verstorbenen bitten daraufhin Eckmans engste Mitarbeiterin und Kollegin Marina Singh vor Ort zu prüfen, was tatsächlich passiert ist.
Und damit beginnt eine abenteuerliche Reise in das dunkle Reich stechender Insekten, sintflutartiger Regenfälle, unverständlicher Sprachen, Bräuche und bedrohlicher Krankheiten. Ein Alptraum.
Die amerikanische Schriftstellerin Ann Patchett erzählt chronologisch, setzt immer wieder kleine dramatische Höhepunkte, unterbricht den Fluss der Geschichte durch aufschlussreiche Rückblenden. Wie in einem Krimi lässt sie ihre Protagonistin ständig neue Indizien dafür entdecken, dass nichts so ist, wie es scheint. Als sie schließlich im Dschungelcamp landet, trifft sie auf eine von ihrer Forschung besessene Ärztin, die selbst vorm gefährlichen Selbstversuch nicht zurückschreckt. Sie ist schroff, undiplomatisch, aber von entwaffnender Ehrlichkeit. Nicht zuletzt dadurch gelingt es ihr, die anfangs sehr zögerliche Marina auf ihre Seite zu ziehen, an ihr Gewissen zu appellieren, sie zur Mitwisserin zu machen.
Es ist nicht zuletzt die Konfrontation dieser beiden Frauen, die der Geschichte ihre Würze gibt, denn die beiden kennen sich. Dr. Swenson, inzwischen eine alte Frau, war früher Marinas Lehrerin an der Universität. Die fürchtet ihre ehemalige Professorin, denn während der praktischen Ausbildung unterlief ihr ein schwerer Fehler. Bei einem Kaiserschnitt traf sie mit dem Skalpell das Auge des Kindes und zerstörte es. Der Schock warf sie aus der Bahn. Statt Ärztin wurde sie Pharmakologin.
Es ist nicht das einzige Geheimnis der Tochter eines Inders und einer weißen Amerikanerin, das uns im Laufe des Romans unter anderem auch durch wiederkehrende Alpträume enthüllt wird. Zudem weckt die Erforschung der lebenslangen Fruchtbarkeit in der kinderlosen 42-Jährigen bislang unterdrückte Nachwuchswünsche. Wie eine Mutter kümmert sie sich im Urwaldcamp um einen stummen Indiojungen, möchte ihn am liebsten mit nach Hause nehmen. Sein Schicksal wird zum dramatischen Höhepunkt des Romans.
Ann Patchetts Roman überzeugt durch glaubwürdige Charaktere, gut beobachtete Verhaltensmuster und Stimmungsbilder fern allen Tropenkitsches. Offen bleibt – und das ist gut so – ob es jemals ein Fruchtbarkeitselexier geben wird.
Besprochen von Johannes Kaiser
Ann Patchett: Fluss der Wunder
Aus dem Englischen Werner Löcher-Lawrence
Bloomsbury, Berlin 2011
381 Seiten, 19.90 Euro
Und damit beginnt eine abenteuerliche Reise in das dunkle Reich stechender Insekten, sintflutartiger Regenfälle, unverständlicher Sprachen, Bräuche und bedrohlicher Krankheiten. Ein Alptraum.
Die amerikanische Schriftstellerin Ann Patchett erzählt chronologisch, setzt immer wieder kleine dramatische Höhepunkte, unterbricht den Fluss der Geschichte durch aufschlussreiche Rückblenden. Wie in einem Krimi lässt sie ihre Protagonistin ständig neue Indizien dafür entdecken, dass nichts so ist, wie es scheint. Als sie schließlich im Dschungelcamp landet, trifft sie auf eine von ihrer Forschung besessene Ärztin, die selbst vorm gefährlichen Selbstversuch nicht zurückschreckt. Sie ist schroff, undiplomatisch, aber von entwaffnender Ehrlichkeit. Nicht zuletzt dadurch gelingt es ihr, die anfangs sehr zögerliche Marina auf ihre Seite zu ziehen, an ihr Gewissen zu appellieren, sie zur Mitwisserin zu machen.
Es ist nicht zuletzt die Konfrontation dieser beiden Frauen, die der Geschichte ihre Würze gibt, denn die beiden kennen sich. Dr. Swenson, inzwischen eine alte Frau, war früher Marinas Lehrerin an der Universität. Die fürchtet ihre ehemalige Professorin, denn während der praktischen Ausbildung unterlief ihr ein schwerer Fehler. Bei einem Kaiserschnitt traf sie mit dem Skalpell das Auge des Kindes und zerstörte es. Der Schock warf sie aus der Bahn. Statt Ärztin wurde sie Pharmakologin.
Es ist nicht das einzige Geheimnis der Tochter eines Inders und einer weißen Amerikanerin, das uns im Laufe des Romans unter anderem auch durch wiederkehrende Alpträume enthüllt wird. Zudem weckt die Erforschung der lebenslangen Fruchtbarkeit in der kinderlosen 42-Jährigen bislang unterdrückte Nachwuchswünsche. Wie eine Mutter kümmert sie sich im Urwaldcamp um einen stummen Indiojungen, möchte ihn am liebsten mit nach Hause nehmen. Sein Schicksal wird zum dramatischen Höhepunkt des Romans.
Ann Patchetts Roman überzeugt durch glaubwürdige Charaktere, gut beobachtete Verhaltensmuster und Stimmungsbilder fern allen Tropenkitsches. Offen bleibt – und das ist gut so – ob es jemals ein Fruchtbarkeitselexier geben wird.
Besprochen von Johannes Kaiser
Ann Patchett: Fluss der Wunder
Aus dem Englischen Werner Löcher-Lawrence
Bloomsbury, Berlin 2011
381 Seiten, 19.90 Euro