Das geborgte Glück
Der Impressionist Pierre-Auguste Renoir gilt als routinierter Realist des schönen Scheins, als Meister der flockig hingetupften Idyllen. Fünfzig Gemälde aus seiner Frühzeit vermitteln einen Einblick in die künstlerisch entscheidenden Jahre des Malers in einem Milieu zwischen Boheme und Bourgeoisie.
Im Sommer 1868 malt Renoir seine Geliebte. Breitbeinig und schwer sitzt sie auf einem Stuhl im Freien, hinter ihr schillert das Grün der Bäume. Das Hemdchen ist ihr leicht verrutscht, im schulterlangen, schwarz gelockten Haar trägt sie ein rotes Band. Dass sie schwanger war, dass die Zwanzigjährige dem Maler im Herbst ein Kind gebar, das dann zur Adoption gegeben wurde, sieht man dem Bild nicht an. Es zeigt ein hübsches Mädchen vom Lande, das uns durch seinen melancholischen Blick und seine Natürlichkeit bezaubert.
Wochen zuvor hatte er sie in einer anderen Rolle gemalt: als elegant herausgeputzte Dame der Pariser Gesellschaft, im nachtblauen Promenadenkleid, auf dem Kopf eine extravagante Kreation aus Vogelfedern.
Es sind zwei Welten, zwei Milieus, die sich in diesen beiden Bildern reiben, und sie sind typisch für das, was Renoir in dieser Zeit erlebt. Sieben Jahre lang war Lise Tréhot dem Maler Geliebte und Modell, für ihn schlüpfte sie in alle Rollen. Und auch der Maler selbst, Sohn eines Schneiders, bewies soziale Wendigkeit, sagt die Kuratorin Nina Zimmer. Er bewegte sich erst zwischen den Habenichtsen der Boheme und pflegte dann mit wachsendem Erfolg Kontakte in großbürgerliche Kreise, die er salonreif porträtierte.
„Also es gibt so etwas wie eine soziale Mobilität bei ihm, die zum Teil umgekehrt funktioniert zu der seiner Impressionistenkollegen. Das hat natürlich mit der Herkunft zu tun.“
Es war überhaupt eine politisch hochbrisante Zeit um 1870: das Ende des Kaiserreichs, der Deutsch-Französische Krieg, der Aufstand der Pariser Kommune mit all ihren gesellschaftlichen Verwerfungen. Anders als sein Vorbild Courbet, hielt sich Renoir heraus.
„Man denkt ja immer nur an die heiteren Momente. Renoir war genauso geprägt extrem unter diesen Umschwüngen politischer Natur dieser Zeit, und das ist sozusagen seine Reaktion auf diese vielen Zusammenbrüche: dass er sie eben gerade nicht darstellt.“
Für Renoir musste ein Bild „etwas Freundliches, Heiteres und Bezauberndes“ ausstrahlen. „Ein Gemälde ist kein Protokoll“, pflegte er zu sagen. Und also malt er locker hingetupfte Stillleben, Mädchen mit einer Haut wie Marzipan, Frauen im Theater, das träge Fleisch einer nackten Quellnymphe, das bunte Treiben in der Gartenwirtschaft oder einen Galan, der eine Dame in einen schattigen Waldweg zieht. Da hängt sogar der sehr erotische Rückenakt eines Knaben mit einer Katze, dessen Körper er mit einem schimmernden Schmelz umhüllt. Eine merkwürdige Szene.
Manchmal gewinnt man fast den Eindruck, als sei es ihm egal, was ihm als Motiv und Material für seine Malerei dient – Hauptsache charmant. „Meine Modelle denken nicht“, sagte Renoir, und solche Aussagen sind typisch für ihn.
„Die sind schockierend eigentlich für unser heutiges Frauenbild. Also da gibt es noch härtere Sätze, dass er sagt, Frauen sollen keine hohen Absätze tragen, da leiert die Gebärmutter aus. Ich glaube, der Blick des Künstlers ist immer ein männlicher Blick auf den weiblichen Körper.“
Licht und Schatten liegen dicht beieinander in Renoirs Werk und auch in seinem Leben. Es gab Hungerjahre, Misserfolge, uneheliche Kinder, Phasen der Verzweiflung. Doch die intimen und unliebsamen Erinnerungen verschwieg der Maler beharrlich. Es sei nicht von Belang zu wissen, ob ein Maler Bohnen oder Linsen gegessen habe, wischte er das Interesse an seinem Privatleben beiseite. Und eigentlich ist klar, sagt Nina Zimmer, warum er die Schattenseiten auch in seinen Bildern unterschlägt.
„Das sind natürlich unglaubliche biographische Brüche. Und es gibt natürlich Gründe, warum Renoir in seinen späteren Jahren die Jugendjahre wie ausblendet und bis auf ein paar anekdotische Spitzen nicht vorkommen lässt. Da ist Trauma nach Trauma.“
In Basel ist ein ganzer Raum gefüllt mit Landschaften der 70er Jahre: Waldwege, eine Schneelandschaft, Segelboote auf der Seine. Es gibt auch private Porträts seiner Malerfreunde Bazille, Sisley und Monet – Monet, wie er malt, liest oder raucht; und als Madame Monet mit ihrem Sohn auf der Wiese sitzt, drängt sich ein aufgeplusterter Hahn ins Bild. Eine entzückende Belanglosigkeit.
„Das ist ja die große Revolution der französischen modernen Malerei, dass der Alltag Einzug erhält in der Malerei.“
Erst in den späteren Bildern dann haben wir den Renoir, den wir kennen: der die Konturen auflöst wie mit dem Weichzeichner, duftig und wattiert; der das Leben unscharf stellt und darin doch ganz ehrlich bleibt. Denn wenn man genau hinschaut, dann spürt man in jedem dieser Bilder, dass auch bei Renoir die Idyllen inszeniert sind, und auch das Glück ist nur geborgt.
„Ja natürlich. Idyllen – das ist ja das Tolle an Idyllen, dass sie immer konstruiert sind. Sie sind immer schon durchschaut. Und diesem wunderbaren Rezept folgt auch Renoir.“
Die Ausstellung „Renoir. Zwischen Bohème und Bourgeoisie: Die frühen Jahre“ ist im Kunstmuseum Basel bis zum 12. August 2012 zu sehen.
Wochen zuvor hatte er sie in einer anderen Rolle gemalt: als elegant herausgeputzte Dame der Pariser Gesellschaft, im nachtblauen Promenadenkleid, auf dem Kopf eine extravagante Kreation aus Vogelfedern.
Es sind zwei Welten, zwei Milieus, die sich in diesen beiden Bildern reiben, und sie sind typisch für das, was Renoir in dieser Zeit erlebt. Sieben Jahre lang war Lise Tréhot dem Maler Geliebte und Modell, für ihn schlüpfte sie in alle Rollen. Und auch der Maler selbst, Sohn eines Schneiders, bewies soziale Wendigkeit, sagt die Kuratorin Nina Zimmer. Er bewegte sich erst zwischen den Habenichtsen der Boheme und pflegte dann mit wachsendem Erfolg Kontakte in großbürgerliche Kreise, die er salonreif porträtierte.
„Also es gibt so etwas wie eine soziale Mobilität bei ihm, die zum Teil umgekehrt funktioniert zu der seiner Impressionistenkollegen. Das hat natürlich mit der Herkunft zu tun.“
Es war überhaupt eine politisch hochbrisante Zeit um 1870: das Ende des Kaiserreichs, der Deutsch-Französische Krieg, der Aufstand der Pariser Kommune mit all ihren gesellschaftlichen Verwerfungen. Anders als sein Vorbild Courbet, hielt sich Renoir heraus.
„Man denkt ja immer nur an die heiteren Momente. Renoir war genauso geprägt extrem unter diesen Umschwüngen politischer Natur dieser Zeit, und das ist sozusagen seine Reaktion auf diese vielen Zusammenbrüche: dass er sie eben gerade nicht darstellt.“
Für Renoir musste ein Bild „etwas Freundliches, Heiteres und Bezauberndes“ ausstrahlen. „Ein Gemälde ist kein Protokoll“, pflegte er zu sagen. Und also malt er locker hingetupfte Stillleben, Mädchen mit einer Haut wie Marzipan, Frauen im Theater, das träge Fleisch einer nackten Quellnymphe, das bunte Treiben in der Gartenwirtschaft oder einen Galan, der eine Dame in einen schattigen Waldweg zieht. Da hängt sogar der sehr erotische Rückenakt eines Knaben mit einer Katze, dessen Körper er mit einem schimmernden Schmelz umhüllt. Eine merkwürdige Szene.
Manchmal gewinnt man fast den Eindruck, als sei es ihm egal, was ihm als Motiv und Material für seine Malerei dient – Hauptsache charmant. „Meine Modelle denken nicht“, sagte Renoir, und solche Aussagen sind typisch für ihn.
„Die sind schockierend eigentlich für unser heutiges Frauenbild. Also da gibt es noch härtere Sätze, dass er sagt, Frauen sollen keine hohen Absätze tragen, da leiert die Gebärmutter aus. Ich glaube, der Blick des Künstlers ist immer ein männlicher Blick auf den weiblichen Körper.“
Licht und Schatten liegen dicht beieinander in Renoirs Werk und auch in seinem Leben. Es gab Hungerjahre, Misserfolge, uneheliche Kinder, Phasen der Verzweiflung. Doch die intimen und unliebsamen Erinnerungen verschwieg der Maler beharrlich. Es sei nicht von Belang zu wissen, ob ein Maler Bohnen oder Linsen gegessen habe, wischte er das Interesse an seinem Privatleben beiseite. Und eigentlich ist klar, sagt Nina Zimmer, warum er die Schattenseiten auch in seinen Bildern unterschlägt.
„Das sind natürlich unglaubliche biographische Brüche. Und es gibt natürlich Gründe, warum Renoir in seinen späteren Jahren die Jugendjahre wie ausblendet und bis auf ein paar anekdotische Spitzen nicht vorkommen lässt. Da ist Trauma nach Trauma.“
In Basel ist ein ganzer Raum gefüllt mit Landschaften der 70er Jahre: Waldwege, eine Schneelandschaft, Segelboote auf der Seine. Es gibt auch private Porträts seiner Malerfreunde Bazille, Sisley und Monet – Monet, wie er malt, liest oder raucht; und als Madame Monet mit ihrem Sohn auf der Wiese sitzt, drängt sich ein aufgeplusterter Hahn ins Bild. Eine entzückende Belanglosigkeit.
„Das ist ja die große Revolution der französischen modernen Malerei, dass der Alltag Einzug erhält in der Malerei.“
Erst in den späteren Bildern dann haben wir den Renoir, den wir kennen: der die Konturen auflöst wie mit dem Weichzeichner, duftig und wattiert; der das Leben unscharf stellt und darin doch ganz ehrlich bleibt. Denn wenn man genau hinschaut, dann spürt man in jedem dieser Bilder, dass auch bei Renoir die Idyllen inszeniert sind, und auch das Glück ist nur geborgt.
„Ja natürlich. Idyllen – das ist ja das Tolle an Idyllen, dass sie immer konstruiert sind. Sie sind immer schon durchschaut. Und diesem wunderbaren Rezept folgt auch Renoir.“
Die Ausstellung „Renoir. Zwischen Bohème und Bourgeoisie: Die frühen Jahre“ ist im Kunstmuseum Basel bis zum 12. August 2012 zu sehen.