Das ganz normale Leben

12.02.2010
Drei Dollar hat Eddie noch in der Tasche, als er zu erzählen beginnt: Von seiner Kindheit und Jugend, vom Ingenieursstudium, wo er Tanya kennenlernt, die schillernde, emanzipierte Intellektuelle, die später seine Frau und Mutter seiner Tochter wird.
Von seinen Freunden Kate und Paul, deren Ehe scheitert, von seinem Job bei der Umweltbehörde, den er verliert, weil seine Gutachten zu kritisch sind. Und von Amanda, der Sandkasten-Freundin, deren reiche Eltern es ihr verbieten, mit Eddie zu spielen, weil er aus schlichteren Verhältnissen kommt.

Alle neuneinhalb Jahre läuft ihm Amanda über den Weg und stürzt ihn jedes Mal in eine emotionale Krise. Die erwachsene Amanda ist wohlhabend, elegant, die perfekte Karrierefrau und dazu noch hinreißend schön: "Sie stand in der Schlange und hatte diese Brüste dabei, für die man sofort sein Haus verpfänden hätte."

Eddies eigenes Haus steht tatsächlich später vor der Zwangsversteigerung, Ehefrau Tanya ist depressiv, und wer erwartet im Jobcenter den arbeitslosen Eddie zum Beratungsgespräch? Ausgerechnet Amanda! Gerade noch hat Eddie seine letzten drei Dollar im Portemonnaie gezählt, da erblickt er Amanda. Das ist zuviel, er stürzt aus dem Gebäude – und läuft einer Horde Skinheads in die Arme ...

Ist das nun ein bitterer Entwicklungsroman, mit einem traurigen Helden, dem alles misslingt, und betroffen sieht man zu? Nein! "Drei Dollar" ist ein melancholisches, sanftes Buch mit viel Esprit und jenem tief gefühlten humanen Witz, der schon Elliot Perlmans Bestseller-Roman "Die sieben Seiten der Wahrheit" (dt. 2008) zur literarischen Sensation machte. Der australische Autor, Jahrgang 1964, versteht es, das ganz normale Leben zum Spannendsten zu machen, das es gibt. Man schreitet mit Eddie durch die Jahre, macht mit ihm Entwicklungen durch, lauscht seinen Gedanken und ertappt sich dabei, dass man selber schon so gedacht hat. Wie bei den "Sieben Seiten der Wahrheit" sind Ort und Zeit völlig egal. Der Roman spielt im Australien der 1990er-Jahre, als sich, wie überall in der westlichen Hemisphäre, der neoliberale Geist durchsetzt und die gesellschaftlichen Wertvorstellungen fundamental verändert.

Eddie könnte auch ein Deutscher, Engländer oder Franzose sein – das Drama, das er erlebt, findet auf der ganzen Welt statt. "Drei Dollar" ist Elliot Perlmans erster Roman, der 1998 im Original erschien und keinen deutschen Verlag fand. Erst der Welterfolg von "Sieben Seiten der Wahrheit" macht dies nun möglich, zum Glück für die Leser.

Am Ende glimmt sogar ein wenig Hoffnung für den armen, gutmütigen Helden: Es ist Amanda, die sich über den zusammengeschlagenen Eddie beugt; sie hat ein Angebot für ihn und flüstert: "Alles wird gut!"

Besprochen von Joachim Scholl

Elliot Perlman: Drei Dollar
Roman
Aus dem Amerikanischen von Henning Ahrens.
Deutsche Verlagsanstalt München
412 Seiten, 22,95 Euro