Das Furchtbare aussprechen

Von Johannes Nichelmann |
Im Mittelalter wurden die Überbringer schlechter Nachrichten manchmal getötet - aber auch heute kann es fürchterlich sein, eine bittere Wahrheit aussprechen zu müssen, zum Beispiel als Arzt, der eine schlimme Diagnose stellt. In speziellen Seminaren lernen Mediziner, damit umzugehen.
Dr. Marschner: "Wie geht's Ihnen denn heute?"

Fr. Hoffmeister: "Ja, so ich merke, dass die Schmerzen schlimmer werden. Ja und ähm... ich weiß auch nicht. Also es wird einfach nicht besser. Nee."

Dr. Marschner: "Hm. Sie wissen ja, dass wir äh... diese Bildgebung gemacht haben."

Fr. Hoffmeister: "Genau."

Dr. Marschner: "Und ähm... dort... ähm... muss ich Ihnen jetzt leider mittelien, dass ähm... die ähm... Ja, da sieht man, dass der Tumor weiter wächst. Trotz dieser Chemotherapie."

Matthias Marschner fingert nervös an einer Packung Taschentücher herum. Seine Patientin, eine zweifache Mutter mit rotem Kopftuch, krallt sich mit der linken Hand am Stuhl fest. Die rechte Hand hält ihr Ehemann. Der Doktor von der Krebsstation des Berliner Vivantis-Klinikums, muss dem Ehepaar eine schlimme Nachricht überbringen.

Wenn der Tumor siegt

Dr. Marschner: "Ja, und deswegen würden wir praktisch jetzt hier ähm... empfehlen die Therapie zu beenden. Ja und und ähm... praktisch der Erkrankung dem Lauf der Zeit eben geben. Also dass Sie irgendwann an dieser Erkrankung, in naher Zukunft, auch versterben werden."

Hr. Hoffmeister: "Was? Das geht doch gar nicht! Wir haben zwei Kinder!"

Fr. Hoffmeister: "Und wie lange noch?"

Dr. Marschner: "Da kann ich Ihnen keine Antwort zu geben."

Die 41 Jahre alte Patientin leidet an Brustkrebs im Endstadium. Seit vier Jahren kämpft sie gegen ihren Tumor an.

Fr. Hoffmeister (weinend): "Aber ich muss doch noch weiterkämpfen. Die brauchen mich doch noch. Die sind doch... Wissen Sie wie schwer das... Das kann man mein Mann nicht. Der braucht doch seine Mutter."

Das Ehepaar hat Tränen in den Augen. Auch der Arzt scheint mit sich zu kämpfen. Und das, obwohl alles nur gespielt ist. Der Befund ist ausgedacht, die Patientin eine Schauspielerin und Dr. Marschner einer der 13 Teilnehmer bei dem Workshop "Breaking Bad News - Die ärztliche Kunst, schlechte Nachrichten in der Medizin zu überbringen". Wie gebannt sitzen die Kolleginnen und Kollegen Marschners an ihren Tischen im Seminarraum und blicken auf eine Szene, die allen hier bekannt vorkommt. Die Leiterin, Dr. Christine Klapp, unterbricht das Rollenspiel.

Dr. Klapp: "Ich wollte Sie jetzt nicht rausschmeißen..."

Dr. Marschner: "Nein, nein, nein. Alles gut! Ich muss halt..."

Dr. Klapp: "Also wenn ein Gespräch, so wie bei ihr, jetzt eskaliert, könnte man jetzt auch überlegen auch einfach zu sagen: Erinnern Sie sich? Wir haben besprochen und Sie wollten das gerne, dass wir ehrlich und offen sind."

Dr. Marschner: "Okay."

Dr. Klapp: "So, also das wäre eine Möglichkeit - ja?"

Zehn Minuten später ist Pause. Zum Durchatmen. Die Schauspielerin nimmt das rote Kopftuch ab. Matthias Marschner, ein kräftiger Typ mit tätowierten Armen, gönnt sich einen Schluck Kaffee. Das, was wir hier eben gesehen haben, meint er, gehört zu meinem Arbeitsalltag.

"Ich möchte weglaufen"

"Es kann dann eben von der Erstdiagnose sein, wo man nicht Hoffnung noch sät, aber sagt: 'Okay, also das ist nicht wirklich die letzte Instanz', bis zu so einem Gespräch, wie es jetzt gerade gelaufen ist. Das ist ja wirklich, dass die Patienten vor einem sitzen und jede Geste, jedes Wort von den Lippen ablesen und es auch eventuell fehldeuten könnten. Meistens ist es wirklich so, ich möchte weglaufen."

Eine Reaktion, die fast alle hier von sich kennen. Bei dem Seminar wollen sie lernen, mit ihren Gefühlen besser umzugehen und mit denen der Patienten. Auch wenn in vielen Medizin-Studiengängen in Deutschland seit einigen Jahren oft auf die schwierige Arzt-Patient-Kommunikation eingegangen wird, so haben die meisten der teilnehmenden Mediziner mit langjähriger Berufserfahrung diesen Part in ihrer Ausbildung vermisst. Neben Matthias Marschner steht Yvonne Simonis. Sie arbeitet auf einer Intensivstation - hat vor allem mit Angehörigen zu tun:

"Damals, muss ich sagen, hat es eigentlich, also nicht, dass ich mich daran erinnern könnte, dass es eine Rolle in meiner Ausbildung gespielt hat. Ich hatte immer so ein bisschen das Problem, dass ich nicht derjenige sein wollte, der die schlechte Nachricht überbringt, nach der für die Menschen die Welt zusammen bricht."

Am anderen Ende des langen Seminarraums winkt Christine Klapp, die Leiterin des Workshops. Es geht weiter - zur Auswertung des Patientengesprächs mit der krebskranken Frau, die bald sterben muss. Mit einem letzten Bissen Kuchen im Mund und einer Tasse Kaffee in der Hand, setzen sich rasch alle wieder auf ihre Plätze.

Die Simulationspatientin heißt in Wirklichkeit Bea Kampel. Ihre kurzen, braunen Haare sind etwas zerstrubbelt - wegen des roten Kopftuchs.

Dr. Klapp: "Wie ging es Ihnen mit dem Gespräch?"

Fr. Kampel: "Also es war mir auch definitiv als Patientin zu schnell. Sehr schön fand ich war Ihr Grundhaltung, Ihre Stimme, Ihre Betonung. Die war sehr emphatisch. Davon war ich sehr beeindruckt."

Pausen machen, dem Patienten die Chance geben einzuhaken - einer der wertvollsten Tipps, die Matthias Marschner mit aus dem Seminar nimmt, sagt er später. Einige Ärztinnen und Ärzte machen sich Notizen, andere geben ihrerseits Feedback. Klapp, eigentlich Oberärztin an der Klinik für Geburtsmedizin in der Charité, betont noch, dass die Art und Weise, wie schlimme Diagnosen vermittelt werden, die Psyche des Gegenübers maßgeblich beeinflussen können. Einer der Teilnehmer, ein Chirug, fragt, ob es einen Königsweg gibt. Jetzt sind alle Augen auf Christine Klapp gerichtet - die versucht ein Lächelen und schüttelt mit dem Kopf.

"Was da gut hilft ist, erstens Mal gut vorbereitet zu sein. Zu wissen, ich bin zwar der Überbringer, aber ich bin nicht der Verursacher. Wenn ich es nicht tue und mir darüber Gedanken mache: es muss getan werden. Natürlich greift es mich an und ich kann mir überlegen, in welcher Weise ich es tun kann, damit es letzlich dem Patienten hilft. Mangelnde Aufklärung ist Diebstahl am Leben. Und irgendwo, finde ich, kann man auch unterschreiben, dass das so ist."