Das "Fremde" als Inspirationsquelle

Von Anke Schäfer |
Konradin Kunze ist ein echtes Multitalent: Als Schauspieler hat er in zahlreichen Produktionen mitgewirkt, er inszeniert selber Dramen, dreht Kurzfilme und schreibt Drehbücher und Stücke. Eines davon, "foreign angst", ist nun beim Berliner Stückemarkt zu sehen.
Musik: "A fish on land" von Lhasa

Diesen Song von der amerikanischen Sängerin Lhasa hat Konradin Kunze in seiner jüngsten Inszenierung verwendet.

"Ich mag das einfach sehr, wie sie ganz reduziert singt und damit eine schöne Geschichte erzählt."

Konradin Kunze liebt schöne Geschichten. Es war das Stück "Die Durstigen" von Wajdi Mouawad, das er kürzlich erfolgreich am Bremer Kinder- und Jugendtheater inszenierte. Eine Zeitung attestierte ihm "sensible Erzählqualitäten". Drei Jugendliche sind in dem Stück durstig nach Liebe und authentischem Leben. Sie wollen nicht erwachsen werden, weil sie finden, darin liege etwas Hässliches.

Das kann Konradin Kunze nicht bestätigen. Er ist 34 Jahre alt, sitzt in seiner sehr aufgeräumten Kreuzberger Altbauwohnung am Küchentisch und macht nicht den Eindruck, dass ihm irgendetwas fehlte. Er ist Schauspieler – hat an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover studiert:

"Ich wollte das unbedingt machen, weil ich auch als Kind schon gespielt hab im Theater und da Blut geleckt hab und gesagt habe, das muss ich machen, das muss ich ausprobieren."

Inzwischen hat er in über 40 Produktionen in Freiburg, Bremen, Hannover und Hamburg mitgespielt, war festes Ensemblemitglied an den Jugendtheatern in Bremen und Hamburg. Nebenher inszenierte er, drehte Kurzfilme, schrieb Drehbücher und Stücke. Dann kam der Moment, in dem er das Leben in seiner gesicherten Stellung als festangestellter Schauspieler leid war: 2009 kündigte er in Hamburg und zog – auch der Liebe wegen - nach Berlin. Ein mutiger Schritt.

"Die Angst, dass dann mal nichts kommt als Freischaffender und gerade in einem Bereich, in dem man erst anfängt, wie Regie oder Schreiben, die ist natürlich da, aber das Bedürfnis, das auszuprobieren und mal zu gucken, was dann passiert – war größer. Und auch das Bedürfnis ins Ausland zu gehen für eine längere Zeit."

In Armenien, wo Djivan Gasparyan herkommt, dessen melancholische Musik er sehr schätzt, war Konradin Kunze noch nicht. Dafür zum Beispiel sechs Wochen in der Mongolei. Wenn er jetzt den Blick vom Küchentisch hebt, dann guckt er auf das Bild einer einsamen Jurte in der mongolischen Steppe, das an der Wand hängt. Schräg gegenüber leuchtet neben dem beigen Besenschrank, den Kunze zum Geschirrschrank umfunktioniert hat, ein buntes Plakat mit den Völkern Indiens. Auch das ein Souvenir.

Vier Monate hat er gerade in Indien verbracht und dort gemeinsam mit seiner Freundin ein Theaterstück erarbeitet. Das "Fremde" ist seine Inspirationsquelle.

"Das ist das, was mich beschäftigt – Konfrontation mit einer fremden Natur, mit fremden Menschen, einer fremden Sprache, das interessiert mich sehr, da habe ich große Freude dran, aber man kommt natürlich auch immer wieder in Situationen, wo es dann gar nicht freudig ausgeht."

So geschehen in Indien, als ihm und seiner Freundin ein Audio-Aufnahmegerät und eine Kamera geklaut wurden. Die beiden fanden den Dieb zufällig und mussten dann zugucken, wie er auf der Polizeiwache verprügelt wurde:

"Wir wollten einschreiten und waren dann aber nur die dummen Westler, die nicht wissen, wie das richtig funktioniert und – das sind dann tolle Erfahrungen im Nachhinein, aber trotzdem denkt man – das sind tolle Erfahrungen für uns, für den Menschen, der da jetzt im Knast sitzt, ganz bestimmt nicht."

Sich dieser Ambivalenz durchaus bewusst, hat Konradin Kunze die Begebenheit in das Stück "foreign angst" einfließen lassen, mit dem er jetzt zu den Stückemärkten in Heidelberg und beim Berliner Theatertreffen eingeladen ist. Der Protagonist, ein junger Mann, soll in einer Szene eine Diebin bestrafen und weiß nicht, wie er mit der Situation umgehen soll. Allerdings ist dieser junge Mann nicht nach Indien, sondern in ein "Krisengebiet" gereist – nach Afghanistan. Er will dort auf eigene Faust einen Vorfall aufklären, bei dem deutsche und einheimische Soldaten Zivilisten erschossen haben. Doch er scheitert. Konradin Kunzes Hautfigur verbarrikadiert sich am Ende krank im Hotel, gefangen in seinen Projektionen und Ängsten.

Das Stück endet in der Katastrophe, in einer Hölle, die sich vor allem im Kopf des jungen Mannes befindet. Dies aber ist nicht die Hölle des Autors Konradin Kunze. Der guckt jetzt nachdenklich auf die schimmernd-blauen Kissen seines Sofas, das keines ist. Weil er nämlich keine Sofas mag, aber trotzdem manchmal bequemer sitzen möchte, als am Küchentisch, hat er sich eine Holzpritsche gebaut und sie mit Kissen belegt.

Albträume auszuloten - vielleicht reizt Konradin Kunze das eben deshalb, weil es nicht seine sind. Und vielleicht kann er das so gut, weil ihm seine Familie ein Urvertrauen in die Welt mitgegeben hat. Groß geworden ist er in Freiburg, sein Vater ist Germanistik-Professor, die Mutter Hausfrau, er ist von vier Geschwistern der jüngste.

"Ich habe das Gefühl, mir kann nichts Schlimmes passieren. Ist ja auch eine große Familie gewesen und irgendwie war immer jemand da, wenn man jemanden brauchte, also das – habe ich bestimmt mitbekommen."

Keiner in der Familie ist oder war je Schauspieler oder Autor, aber das Interesse an den Geschichten und am Reisen ist auch eine Erbschaft:

"Wir sind sehr unkonventionell gereist, damals, mit dem Fahrrad oder mit der Fähre mit 'ner sechsköpfigen Familie durch Jugoslawien nach Griechenland, das ist mir sehr hängen geblieben."

Aus Fantasie, Mut und Reiselust speisen sich also die Geschichten und das Leben von Konradin Kunze. Ein junger Mann auf seinem Weg, derzeit mit Wohnung in Kreuzberg. Man wird bestimmt noch von ihm hören.