Das filmische Multigenie

Von Jörg Taszman · 19.07.2005
Der amerikanische Regisseur und Schauspieler Orson Welles ist nicht nur mit "Citizen Kane" in die Filmgeschichte eingegangen. Leben und Werk des Multigenies beschreibt der Filmkritiker Bert Rebhandl in der ersten großen auf Deutsch erschienenen Biografie "Orson Welles - Genie im Labyrinth".
Aufstieg und Fall eines Wunderkindes

Rebhandl rückt in seinem Buch vor allem die frühe Radio- und Theaterkarriere von Welles in den Mittelpunkt, der sich immer wieder für neue Medien interessierte und so eher zufällig zunächst beim Film und später beim Fernsehen landete. Welles wurde so zu einem rastlosen Allrounder.

Mit 26 Jahren drehte Orson Welles den Film, der noch bis heute als einer der drei besten Filme aller Zeiten gilt: "Citizen Kane". Als erster Amerikaner in Hollywood bekam er den "Final Cut", also die kreative Kontrolle über die Schnittfassung seines Films. Allein sein Werk war seiner Zeit voraus und floppte. Welles der die Hauptrolle spielte, Regie führte und das Drehbuch geschrieben hatte, wurde so zu einem unfreiwilligen Alter Ego der von ihm verkörperten Hauptfigur Charles Foster Kane: ein Selfmade Mann, Medienzar, Politiker, der an seiner eigenen Größe zu Grunde geht.

Zahllos waren dann in der Folge die Projekte und Filme, die Welles entweder nicht beenden konnte oder wollte, und wo die Hollywoodstudios seine Filme nur in stark gekürzten Fassungen in die Kinos brachten. So ging Orson Welles ein cleverer Salon-Linker (glaubt man dem Buchautoren Bert Rebhandl) in den 50er Jahren nach Europa und drehte dort Filme wie "Der Prozess" nach Kafka.

Als Schauspieler und Werbeträger war Orson Welles erfolgreicher, verdiente dort gutes Geld, mit dem er dann versuchte, seine Filmprojekte voranzutreiben.

Zu viele Fakten, zu wenig Sinnlichkeit

Autor Bert Rebhandl versucht sich nüchtern und sichtbar unemotional dem Mythos Orson Welles zu nähern, mit einem zwiespältigen Resultat. Akribisch hat er sich frühe Hörspiele oder TV-Arbeiten angehört und angesehen, die er seitenlang, detailliert analysiert. Für den Leser hat das den Nachteil, dass diese Arbeiten weitgehend unbekannt sind. Aber auch die bekannten Welles-Filme, wie "Citizen Kane", "Touch of Evil" oder "The Third Man/Der dritte Mann" werden zu stark nur nacherzählt, intellektuell bewertet mit zu vielen Zitaten von Filmkritikern/Filmemachern wie Siegfried Kracauer oder Eric Rohmer versehen.

Gerade die komplizierten Produktionsbedingungen und der Kampf zwischen Produzenten, Verleihern und Welles bleiben zu stark im Hintergrund. Sehr zurückhaltend und fast prüde handelt Rebhandl das Privatleben von Orson Welles ab. Nur die Fresssucht, an der Welles ähnlich Marlon Brando litt, wird thematisiert. Seine Frauengeschichten dagegen bleiben vage, werden vom Autor jedoch moralisch und zu politisch korrekt verurteilt. Welles war unter anderen mit der Hollywood-Diva Rita Hayworth verheiratet. Glaubt man Rebhandl, dann waren Frauen für Welles nur Spielzeuge. Belegen kann er diese These jedoch nicht. Insgesamt ist der Buchautor dann gerade in der Analyse der Filme von Welles und in seinem Aussparen des Privatlebens zu sachlich, zu unsinnlich geblieben.

Das Rätsel Welles bleibt

Nach der Lektüre bleibt man als Leser etwas unbefriedigt. Man hat sehr viel Faktisches erfahren, aber nicht das Gefühl, mehr zu wissen. Im Gegenteil. Man möchte sich lieber die Filme von Orson Welles noch einmal anschauen, in der Hoffnung, so dem Rätsel um diesen schillernden, widersprüchlichen Mann näher zu kommen. Vielleicht sollte ein Autor, der über Welles schreibt, ihm auch emotional näher stehen als Rebhandl.

Man hat das Gefühl, Rebhandls fürchtet sich, dem Mythos Welles zu erliegen und überkompensiert dies durch Kritik, bei der er sich jedoch gerne hinter anderen Kritikern mit Hilfe großer Zitatfreude versteckt.

Was völlig fehlt, sind Fotos und neben der kompletten Filmographie von Welles als Regisseur hätte eine Auswahl seiner Filme als Schauspieler ebenso in dieses Sachbuch gehört, wie eine ausführliche Auflistung aller auf DVD erhältlichen Werke von Welles. Denn nur Dank dieses neuen Mediums, das Welles sicherlich sehr geschätzt hätte, weil es viele seiner Werke wieder in restaurierten Fassungen zeigt, kann man sich heute selber ein Bild über den großen, wenn auch oft gescheiterten Filmemacher und Künstler Orson Welles machen.

Die erste umfassende auf Deutsch erschienene Biografie über Welles gerät ein wenig zu zwiespältig, hat aber in der Beschreibung des Frühwerks ihre Berechtigung. Sie ist weniger als Einstiegswerk geeignet, sondern eignet sich als komplementäres Werk zu anderen Quellen.

Bert Rebhandl
Orson Welles - Genie im Labyrinth
Zsolnay/Kino
21,50 Euro