Das Ende für den “Wow“-Effekt?

Von Jochen Stöckmann |
Zu den Merkmalen des sogenannten ikonischen Bauens gehören ein Gebäude mit monumentalen Ausmaßen und die Namen von Star-Architekten. Dieser kommerzielle Tanz ums goldene Kalb trägt kaum zum Renommee der internationalen Architektenriege von Arato Isozaki bis Zaha Hadid bei. Ihr „ikonisches Bauen“ ist ins Visier der Architekturkritik geraten.
Buchstäblich ins Kreuzfeuer ist das „ikonische Bauen“ geraten, denn die beiden auf Nachhaltigkeit und ressourcenschonendes Bauen bedachten Kuratoren der diesjährigen Architekturbiennale machen auch Vorteile dieser Entwicklung aus: Sie haben das englische „iconic“ mit „ecological“, dem ökologischen Aspekt verschmolzen:

Borries: " Wir haben ja letztlich unter diesem Titel „Econic Architecture“ – also ökologisch und „iconic“ – Projekte gezeigt, wo die Kraft und die Wirkfähigkeit der ikonologischen Architektur, der zeichenhaften Architektur dazu genutzt wird, um ökologisch relevante Themen zu kommunizieren, zu transportieren.“

So einfach, wie Friedrich von Borries es sich idealerweise denkt, ist das aber mit der Werbung für den guten, den ökologischen Zweck nicht: Schließlich geht es bei der „Wirkkraft“ um mehr als bloße Überwältigung, nämlich um differenzierte Einsichten, um den Blick hinter die Fassade. Und sein Kuratorenkollege, der Berliner Architekt Matthias Böttger, lässt denn auch die Zwiespältigkeit dieser Absicht anklingen:

Böttger: " Grundsätzlich leben wir in einer Welt, wo die Ökonomie der Aufmerksamkeit eine große Rolle spielt. Deshalb haben wir auch Projekte gezeigt, die eine starke Außenwirkung haben. Es gibt daneben aber auch andere Projekte, die vielleicht inhaltlich wahnsinnig stark sind, aber so unsexy sind, dass man sie gar nicht zeigen kann, weil bestimmte Dinge halt im Technischen, Verborgenen passieren oder rein soziale Prozesse sind, die überhaupt nicht bildmächtig werden. Ich glaube, dass man da genau die richtige Mischung finden muss und deshalb auch nicht das eine gegen das andere ausspielen sollte. "

Diese Frage aber stellt sich kaum noch nach Ausbruch der weltweiten Finanzkrise und dem rapiden Verfall der Investments in Immobilen. Das generelle Aus für die „ikonische Architektur“ hat der Kritiker Gerhard Matzig vor einigen Wochen in der „Süddeutschen Zeitung“ prophezeit, mit Blick auf ein Interview mit David Chipperfield. Darin sagt der britische Architekt ein Ende des sogenannten „Wow!“-Faktors voraus. Chipperfield meint damit Gebäude seiner prominenten Kollegen, bei denen allein schon die vorausgehende Debatte, der „Medien-Hype“ die halbe Miete ist. In der Krise aber, so das Resümee, werde man sich auf grundlegendere Werte, auf Brauchbarkeit und Solidität besinnen.

Dem steht allerdings gegenüber, dass die Architektur – und auch die Architekten – längst nicht nur abhängig sind vom Bauherren, sondern auch von einer grundlegend gewandelten visuellen Kultur: Meinhard von Gerkan, international tätiger Hamburger Architekt und Gründer einer privaten Architekturakademie, musste das in jenem Land erfahren, das alle Stadien der zeitgenössischen Architektur in extremer Beschleunigung durchlaufen hat – in China:

" Die Verwöhnung mit optisch attraktivem Material ist in China weit, weit größer als hier. Sie sind von den Amerikanern mit Eyecatchern Jahre, wenn nicht jahrzehntelang versorgt worden. Sodass zu guter Letzt, wie das in der Werbung auch dieses unterschwellige, subkutane Beiwerk von schicken, großen Autos, schönen Mädchen und vielen Handys auf dem Bild mehr Wirkung ausstrahlt als die Architektur, um die es geht. "

Allein die überwältigende Werbewirkung war es aber auch, die kulturkritische Resentiments gegen ein Kunstmuseum von Frank O. Gehry, dem Meister expressiver und statisch gewagter Bauten mobilisierte: Einer spanischen Industriestadt verhalf dieses Gebäude zu einem ungeahnten Anstieg des Kulturtourismus, das war jener seither heiß diskutierte „Bilbao-Effekt“. Der hält Meinhard von Gerkans kritischem Blick nicht stand. Gerkans Kritik an „Wunderkakteen die aus dem Designerhimmel heruntergefallen“ gehört zum Standardrepertoire eines Architekten, der die schlichte Pracht der Ingenieurbaukunst vorzieht – und gerne auch monumental überhöht. Gerkan, der in Vietnam ein Parlamentsgebäude plant, zählt wiederum zu jenen Architekten, denen sein Kollege Christoph Ingenhoven in einer viel beachteten Diskussion zum Reiz-Thema „Bauen für Diktaturen“ unterstellt, dass sie mit ihrem Faible für spektakuläre Bauten den Blick für das Wesentliche verloren haben.

" Es gibt ja erstaunlich viele Parlamente auf dieser Welt, viel mehr Parlamente jedenfalls als es Demokratien gibt. Es gibt sogar den Volkskongress in China. Wenn man Fotos davon sieht, wie der gebaut ist, wenn man sieht, wie die Anordnung ist, wenn man sieht, wie darin agiert wird: eine Art Zuhörerveranstaltung vor einem Podium! Es gibt eine Darstellung von deutschen Kollegen für dieses Parlament in Tripolis und das ist genauso. Wenn man diese Bilder anguckt, dann weiß man ganz genau wes Geistes Kind die Leute sind, die sich das da ausdenken! "

Ingenhoven selbst setzte sich kürzlich durch mit seinem Entwurf für den Internationalen Gerichtshof in Den Haag: ein äußerlich unspektakuläres Gebäude, dessen ganze Symbolik in der Gestaltung des Gerichtssaals mit klassischer Anklagebank, dem Richterpodium als Ausdruck Gerechtigkeit schaffender Autorität und einem halbrunden Auditorium verborgen liegt.

Eher verborgene Reize zeichnen auch den Entwurf von David Chipperfield aus, mit dem der Architekt der Berliner Museumsinsel in Zürich beim Wettbewerb um den Anbau zum Kunst-Haus reüssierte. Aber eben diese klassische Gediegenheit, die vornehme Zurückhaltung wird ihm nun prompt von der Architekturkritik zum Vorwurf gemacht: Über das Vorhaben nämlich muss noch nach Schweizer Brauch in einem Volksentscheid abgestimmt werden – und da, so die einhellige Meinung der Experten, wäre sehr viel mehr „ikonische Architektur“ bitter nötig. Schließlich gilt es, den Souverän zu überzeugen, das Publikum anzulocken. Für welchen Zweck auch immer.