Das Ende einer Traditionslinie

Moderation: Holger Hettinger · 18.05.2006
Nach Ansicht von Professor Rainer Burchardt stehen der "Frankfurter Rundschau" turbulente Zeiten bevor. Der Austausch des Chefredakteurs und der geplante Verkauf von 50 Prozent der Anteile durch die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft könnten auf ein Ende der Traditionslinie hindeuten, sagte Burchardt. Dem Blatt drohe eine Regionalisierung in der Berichterstattung.
Holger Hettinger: Die Redaktion der "Frankfurter Rundschau" protestiert gegen die Ablösung ihres Chefredakteurs Wolfgang Storz. Am Mittwoch war auf der Titelseite des Blattes zu lesen: "Die Redaktion nimmt die Entscheidung des Mehrheitsgesellschafters zur Kenntnis, legt aber Wert auf die Feststellung, dass sie die Entlassung des Chefredakteurs nicht billigt." Der Mehrheitsgesellschafter, das ist die DDVG, die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft, ein Medienbeteiligungsunternehmen der SPD.

Die DDVG hatte den bisherigen Chefredakteur Wolfgang Storz entlassen und Uwe Vorkötter als neuen Chefredakteur engagiert. Jener Uwe Vorkötter hatte in den letzten Monaten Schlagzeilen gemacht, weil er als Chefredakteur der "Berliner Zeitung" den Kampf angeführt hat gegen den Einzug des renditehungrigen Finanzinvestors David Montgomery in den Berliner Verlag.

Was bedeuten die angekündigten Pläne für die Zukunft der traditionsreichen Frankfurter Rundschau? Darüber sprechen wir nun mit Rainer Burchardt, Professor für Medien- und Kommunikationsstrukturen an der Fachhochschule Kiel. Er war lange Jahre Chefredakteur des Deutschlandfunks. Schönen guten Abend.

Rainer Burchardt: Guten Abend, Herr Hettinger.

Hettinger: Eine Redaktion, die auf der Titelseite gegen den Haupteigner Stellung bezieht und ihre Solidarität mit dem abgelösten Chefredakteur Storz bekundet, das klingt nach einem kampflustigen Arbeitsumfeld. Wird Uwe Vorkötter zum 1. Juli Chefredakteur einer Schlangengrube?

Burchardt: Das ist schwer zu sagen. Zunächst einmal bewerte ich das als sehr positiv, wenn sich eine Redaktion mit ihrem Chefredakteur solidarisiert, auch gerade in so einer Situation. Man wird natürlich auch die ganze Redaktion nicht rausschmeißen können und insofern wird es dort ungemütlich werden. Auf der anderen Seite muss man schon sagen, dass Uwe Vorkötter sicherlich einer der ganz, ganz wenigen wäre, den man überhaupt jetzt als neuen Chefredakteur à la longue akzeptieren kann. Eben weil er so mutig, ja man kann fast schon sagen selbstlos, gegen die Heuschrecken, die die "Berliner Zeitung" übernommen haben, gekämpft hat. Von daher ist dies zumindest ein nicht ungeschickter, von außen jedenfalls betrachtet, nicht ungeschickter Schachzug der SPD.

Hettinger: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann werden die schon noch warm mit ihrem Uwe Vorkötter in Frankfurt?

Burchardt: Ich nehme an. Wobei, sie sollen sich nicht täuschen, muss man auch dazu sagen, die Medienholding der SPD. Denn Vorkötter ist durchaus kein Linker, er ist ein Wirtschaftsliberaler, einer mit sehr viel Sach- und Fachwissen, der auch weiß, wo es lang geht. Und es kann durchaus sein, dass auch demnächst dann eben die DDVG ihr Berliner Erlebnis haben wird.

Hettinger: Welche Hoffnung verbindet denn die DDVG, die Medienholding der SPD, mit der Berufung von Uwe Vorkötter an die Redaktionsspitze der "Frankfurter Rundschau"?

Burchardt: Also nach meiner Einschätzung, Herr Hettinger, stehen nicht gute Zeiten ins Haus für dieses traditionell linksliberale Blatt. Zunächst einmal will ja die Medienholding 50 Prozent abgeben und da stehen verschiedene Verlage vor der Haustür: Madsack Hannover, DuMont Köln oder Holtzbrinck. Nach meiner Einschätzung wird es Madsack sein, zumal die DDVG auch dort schon beteiligt ist. Und dieses könnte bedeuten, dass es eine starke Regionalisierung geben wird bei der "Frankfurter Rundschau". Das heißt also, eine überregionale Zeitung wird möglicherweise dieses Profil, das sie ja fast als einzigartig in Deutschland auszeichnet, das wird sie herunterfahren. Und vor diesem Hintergrund, glaube ich, wird es auch redaktionsintern noch ziemlich viele Konflikte geben, zumal in den letzten Jahren ja auch die Redaktion etwa ein Drittel ihres Etats verloren hat.

Hettinger: Sie sprechen die Regionalisierung an. Für die "Frankfurter Rundschau" war das ja lange Jahre so etwas wie ein Tabu. Der vorherige Besitzer, eine Stiftung, hatte das sogar im Stiftungskodex festgeschrieben, dass diese überregionale Verbreitung, neben der linksliberalen Ausrichtung, eines der Statuten, eines der Prinzipien dieser Zeitung sein soll. Ist das das Ende einer sehr langen Traditionslinie, wenn die "Frankfurter Rundschau" nun sich auf das Regionale konzentriert?

Burchardt: Ja, das sehe ich so. Wie gesagt, das ist meine Einschätzung, ob es so kommt, muss man abwarten. Aber alle Zeichen deuten darauf hin. Und dies, Herr Hettinger, auch vor dem Hintergrund, dass ja die Gerold-Stiftung gerade noch zehn Prozent besitzt, also die hat da nicht allzu viel, wie man in Köln sagt, zu kamellen.

Hettinger: Welche Signale sendet denn der bevorstehende Wechsel in der Chefredaktion der "Frankfurter Rundschau" aus, im Hinblick auf den geplanten Verkauf? Wird da die Braut ein bisschen schön gemacht?

Burchardt: Ach Gott, sie ist ja schöner geworden, gerade unter Wolfgang Storz. Das ist ja auch das Komische daran. Sie hat zwar an Auflage etwas eingebüßt, aber das sind auch teilweise Billigverkäufe, beziehungsweise kostenlose Abgaben gewesen, die reduziert worden sind. Er hat eine neue Politik gemacht, er hat neue Auflage auch dadurch erzielt, dass er die Beilagenpolitik intensiviert hat; er hat FRplus herausgebracht. Und insofern war das schon einigermaßen überraschend, dass er so von heute auf morgen gefeuert worden ist, das ist wohl wahr. Und ich kann mir auch vorstellen, dass die Sozialdemokraten inzwischen auch ein bisschen nervös werden, weil in Berlin die PDS ja nun durchaus ein Mitmachtfaktor geworden ist, wenn auch nur in einer kleinen Opposition. Und ja, in der FR hat natürlich auch der Anteil dieser politischen Berichterstattung zugenommen, vielleicht war das zu unbequem.

Hettinger: In welchem Verhältnis stehen denn bei der SPD-Medienholding DDVG die publizistische Ambition auf der einen Seite und die Gewinnerwartung auf der anderen?

Burchardt: Das ist eine gute Frage, oder um zu sagen, eine gemeine Frage, Herr Hettinger. Das kann ich wirklich nicht prozentual bemessen. Ich meine, mit Berendsen ist schon ein Sanierer im Namen der Medienholding nach Frankfurt geschickt worden. Der hat ja auch keinen Zweifel daran gelassen, dass er das Blatt wieder auf Vordermann bringen will, wie er damals gesagt hat. Dieser Kurs wird sicherlich auch beibehalten. Nur, es ist immer so eine Sache, man kann ja auch Sachen totsanieren und da muss die FR natürlich gewaltig aufpassen, dass das nicht geschieht.

Hettinger: Kann man sagen, dass durch diesen Rückzug der DDVG aus diesem Geschäft - 50 Prozent ihrer Anteile möchte die Holding verkaufen - das große Experiment "Frankfurter Rundschau" gescheitert ist?

Burchardt: Nein, das würde ich so nicht sagen. Was gescheitert ist, ist zunächst einmal ein Chefredakteur, der auf gutem Wege war. Und er hat dafür nicht die Schuld zu tragen, das ist das eine. Und zum anderen ist es sicherlich ein ganz wichtiges Argument zu sagen, hier ist ein Sanierungskurs, meines Erachtens, vorzeitig in andere Hände gegeben worden, oder er wird jetzt in andere Hände gegeben. Was dann dabei herauskommt, das muss man abwarten.

Hettinger: Rainer Burchardt war das, Professor für Medien- und Kommunikationsstrukturen an der Fachhochschule Kiel. Er war lange Jahre Chefredakteur des Deutschlandfunks. Unser Thema heute Abend: Was bedeuten die angekündigten Pläne für die Zukunft der "Frankfurter Rundschau"? Ich danke Ihnen sehr!