Das Ende des Urkilogramms

Von Frank Grotelüschen · 17.10.2010
Seit 1889 lagert es im Keller eines Pariser Jagdschlösschens. Nun scheinen die Tage des Urkilogramms gezählt: Das Internationale Büro für Maße und Gewichte (BIPM) will das Kilogramm auf eine Naturkonstante zurückführen.
Das alljährliche Ritual dauert keine Dreiviertelstunde. Am letzten Freitag im September steigen drei honorige Herren vom internationalen Büro für Maße und Gewichte (BIPM) in Paris in den Keller eines Pariser Jagdschlösschens, öffnen einen massiven Tresor und kontrollieren, ob ein unscheinbares Metallstück noch auf seinem Platz liegt: Es ist der internationale Prototyp des Kilogramms – ein kleiner Zylinder aus Platin-Iridium, 39 Millimeter hoch und 39 Millimeter im Durchmesser. Doch nun scheinen die Tage des Urkilogramms gezählt: Ebenso wie alle anderen Basiseinheiten, wie Meter und Sekunde, wollen die Fachleute das Kilogramm auf eine Naturkonstante zurückführen.

Um den Wildwuchs an Maßeinheiten einzudämmen, hatten sich 1875 eine Reihe von Staaten auf einen internationalen Standard geeinigt – das metrische System. 1889 wurden das internationale Urkilogramm und das Urmeter gefertigt, seitdem lagern sie im Jagdschloss von Breteuil, dem Sitz des BIPM. Deutlich genauer aber ist, die physikalischen Grundgrößen auf etwas Unveränderliches zu beziehen – auf konstant ablaufende physikalische Prozesse oder auf Naturkonstanten. Das Meter, einst als zehn millionster Teil des Erdmeridianquadranten definiert, ist seit 1983 genau jene Strecke, die das Licht im Vakuum in 1/299.792.458 Sekunden schafft. Die Sekunde war zunächst auf die Eigendrehung der Erde bezogen. Heute ist sie das 9.192.631.770-fache der Schwingungsdauer einer Mikrowelle, die einem Quantensprung innerhalb des Cäsiumatoms entspricht. "Gemacht" wird die Atomsekunde durch hochpräzise Atomuhren, wie sie in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig stehen.

Allein das Kilogramm konnten die Fachleute noch nicht auf eine Naturkonstante zurückführen – nach wie vor ist der Platin-Iridium-Zylinder aus Paris das Maß aller Massen-Dinge. Das Problem: Mittlerweile haben die Experten festgestellt, dass sich das Urkilo verändert hat: Im Laufe der Zeit würde es immer leichter. Über die Gründe können die Fachleute nur spekulieren: Vielleicht, so die Vermutung, liegt es an Wasserstoffatomen, die nach und nach aus dem Metall entweichen. Womöglich ist das Pariser Urkilogramm in der Vergangenheit auch zu gründlich geputzt worden.

Doch seine Tage scheinen gezählt: Die Experten arbeiten an mehreren Verfahren, mit denen das Kilogramm neu festgelegt werden könnte. Die Wattwaage (Watt ist die Einheit der elektrischen Leistung) bringt das Kilogramm mit einer elektrischen Spule ins Gleichgewicht. Die PTB setzt auf eine andere Strategie: Sie will das Kilogramm auf die Masse einzelner Siliziumatome zurückführen; ein Kilogramm entspräche dann der Masse einer bestimmten Anzahl von Siliziumatomen. Dazu muss man sehr genau Atome zählen können – was die PTB-Forscher mit einem Speziallaser versuchen, der den Durchmesser einer extrem glatt polierten Siliziumkugel präzise misst. Allmählich werden beide Verfahren immer präziser – womit die Neudefinition des Urkilogramms immer näher rückt.
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