Das Ende des Programmkinos?

Von Thomas Reintjes · 10.11.2010
Für große Kinoketten rechnet sich der neue Trend 3D nebst digitaler Abspieltechnik. Für kleiner Lichtspielhäuser und Programmkinos ist die Umrüstung schlicht nicht finanzierbar. Außerdem befürchten die Kinobetreiber Eingriffe in ihre Programmgestaltung durch strikte Vorgaben aus Hollywood bei digitalen Filmen.
Avatar – das war der erste weltweite Megaerfolg für das Kino in 3D. Und weitere Produktionen folgen Schlag auf Schlag. Die Betreiber der 3D-Kinos freut's: Für sie hat sich die Einführung der neuesten Digitaltechnik wahrscheinlich jetzt schon gelohnt. Doch der Rest der Branche hat das Nachsehen. Jürgen Lütz betreibt ein Filmkunstkino in Bonn:

"Viele Kinos leben von der Hand in den Mund. Die können solche Summen einfach nicht investieren, weil das überhaupt nicht erkennbar ist, wie das wieder reinkommen könnte."

Ähnlich sieht es bei Christian Schmalz und seinen Kölner Kinos aus:

"Wir rechnen ungefähr 70-80.000 Euro pro Saal. Und dabei ist die Größe des Saals eigentlich von geringerer Bedeutung.""

Beide haben bereits in Digitaltechnik investiert: In Computerkassen, in Websites und Online-Reservierungen, in digitale Soundanlagen. All das bringt mehr Zuschauer in ihre Kinos, die Investitionen haben sich gelohnt. Aber das Bild, das ihre alten 35 Millimeter-Filmprojektoren auf die Leinwand werfen, ist immer noch gut, das Bild eines Digitalprojektors ist nicht besser. 3D – das Hauptargument, mit dem die großen Kinos Zuschauermassen anlocken – zieht bei ihnen nicht.

"Die Inhalte dieser 3D-Filme sind Inhalte, die in den Filmkunsttheatern nicht unbedingt gezeigt werden müssen. Das, was man heute sieht, sind im Prinzip 2D-Filme, wo 3D-Effekte aufgesetzt werden. Und das hinterlässt dann auch einen fahlen Geschmack. Wir als Filmkunstbetreiber sind eigentlich an der dritten Dimension interessiert, die sich im Gedächtnis und im Herz unseres Zuschauers abspielt."

Natürlich gibt es auch wirtschaftliche Argumente für den Umstieg auf die Digitaltechnik: Filmkopien beispielsweise sind teuer und die sperrigen Filmrollen lassen sich nicht so leicht von A nach B transportieren wie eine Festplatte. Zudem ist der digitale Datenträger viel verschleißärmer – bei der alten Technik waren dafür die Projektoren robuster:

"Das sind zwei Ernemann-8B-Maschinen, die stammen aus Mitte der 50er-Jahre. Zu dieser Zeit boomte das Kino in Deutschland. Sehr viele Kinos wurden damals dann technisch auf den neuesten Stand gebracht. Und diese Technik war so gut, dass sie im Prinzip bis heute laufen. Jetzt soll ich 60.000 Euro für einen Projektor zahlen, wo man mir jetzt schon sagt: Der hält fünf Jahre."

Zusätzlich müsste der Vorführraum der Neuen Filmbühne in Bonn-Beuel klimatisiert werden, sagt Jürgen Lütz, damit die empfindliche Elektronik nicht schon früher den Geist aufgibt. Doch irgendwann wird das Rattern der alten Projektoren der Vergangenheit angehören und durch das Rauschen der Gebläse abgelöst werden.

Die Betreiber fürchten, dass nicht alle Kinos den digitalen Weg beschreiten können. "Marktbereinigung” ist das verharmlosende Wort, das daher immer wieder auftaucht, wenn es um die Zukunft des Kinos geht. Davon betroffen sind nicht nur Filmkunstkinos. Auch die meist ländlichen Unterhaltungskinos, die nicht einer großen Kette angehören, haben es schwer. Die Hoffnung vieler Cineasten stützt sich jetzt auf die Politik.

Christian Schmalz: "So wie es im Moment aussieht, gibt es nur eine Möglichkeit. Nämlich, dass die Politik, vor allem die Kulturpolitik, das Filmkunstkino und die Kinos auf dem platten Land als Kulturstätte und als wichtigen Bestandteil der Kulturlandschaft verstehen. Dann wäre die Möglichkeit geschaffen, um eine effektive wirtschaftliche Hilfe für diese Kinos zur Digitalisierung zu schaffen."

Auch Jürgen Lütz aus Bonn hält das für einen guten Weg. Allerdings nur, wenn Kinobetreiber dann frei entscheiden könnten, welche Technik genau sie sich anschaffen. Sorge machen ihm sogenannte Third-Party-Modelle. Dabei stellt ein Drittanbieter den Kinos die teure Technik zur Verfügung.

"Der stattet die Kinos aus, um dann einen Teil der Filmmiete zu kassieren. Und das ist eine sehr gefährliche Entwicklung, weil da auf einmal eine neue dritte Partei in den Markt tritt, die dann irgendwann sehr genau bestimmen wird, welche Filme in den Kinos überhaupt noch laufen, eben nur noch solche Filme, die einen Vertrag mit diesem Technikausstatter haben, dass Einnahmen von diesem Film für die Refinanzierung der Technik verwendet werden dürfen. Und da werden auch ganz viele kleine Verleihe, denke ich, europaweit aus dem Markt gedrängt werden."

Starke Verleihe allerdings könnten an Einfluss gewinnen und dank Verschlüsselung kontrollieren, wann welcher Film wo abgespielt wird. Die von Hollywood genormten Filmserver, die Computer, von denen die Filme im digitalisierten Kino abgespielt werden sollen, können den Film nur zur geplanten Spielzeit entschlüsseln. Das soll illegalem Kopieren vorbeugen, gebe dem Verleih aber die Möglichkeit, ein Wörtchen mitzureden, wann ein Film in welchem Kinosaal gezeigt wird, sagt Jürgen Lütz. Er ist nicht bereit, dafür auch noch Geld zu bezahlen:

"Der Server mit den gleichen Standards kostet mit Verschlüsselungstechnik 18.000 Euro mehr als ohne."

Aber auch ohne all das gibt es bereits digitales Kino in der Neuen Filmbühne in Bonn-Beuel. Es entsteht eine Gegenentwicklung, für die Unabhängigkeit wichtig ist. Sie nutzt die Möglichkeit, kostengünstig Filme digital zu verbreiten, ohne auf die Zwänge durch die Industrie Rücksicht zu nehmen. Unabhängige europäische Produktionen veröffentlichen ihre Filme auf DVD, Blue-Ray-Disc oder Festplatte. In Kinos wie der Neuen Filmbühne werden sie ganz einfach mit einem besonders zuverlässigen Player und einem handelsüblichen Videobeamer auf die Leinwand geworfen.