Das Ende der Koch-Doku

Von Holger Hettinger |
Bei den "Kochprofis - the next generation" geht es um Persönlichkeitsprobleme, Partnerschafts-Stress, Generationen-Zwistigkeiten - nur nicht mehr ums Kochen. Ein Abgesang von Holger Hettinger.
Auf den ersten Blick wirkt es paradox: Kochen im Fernsehen ist ein Quotengarant. Ausgerechnet im Fernsehen, wo man nichts schmecken, nichts riechen, nichts anfassen kann. Und doch: wenn die Damen und Herren in den weißgestärkten Kochjacken die Messer schwingen, sitzen überproportional viele Zuschauer vor dem Fernseher. Den TV-Sendern ist's nur allzu Recht, denn die Koch-Shows und Koch-Dokus sind vergleichsweise preiswert herzustellen.

Am Abend des 31.8.2009 hat bei RTL2 eine neue Staffel einer der beliebtesten Kochsendungen im deutschen Fernsehen begonnen: "Die Kochprofis" - "the next generation" ist diese rundum erneuerte Staffel untertitelt. Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass das Genre der Koch-Doku am Ende ist, dann ist er mit dieser Sendung erbracht worden.

Am Plot selbst hat sich nichts geändert: die "Kochprofis", gestandene Köche aus dem Segment der gehobenen Gastlichkeit, werden von notleidenden Gastronomen gerufen, deren Laden nicht mehr richtig läuft. Die Kochprofis testen das Essen, schauen in die Küche, überprüfen die Arbeitsabläufe und hinterfragen die Kalkulation - und machen dann Vorschläge, wie der Karren aus dem Dreck zu ziehen wäre: dieses Muster ist nun in den ersten Staffeln über 90 Mal variiert worden. Nach Unstimmigkeiten über die Weiterentwicklung des Formats haben dann die "Ur-Kochprofis" Stefan Marquard, Mario Kotaska, Ralf Zacherl und Martin Baudrexel RTLII verlassen - und der Sender hat - O-Ton - "das wohl aufwändigste Casting für TV-Köche in der Geschichte des deutschen Fernsehens durchgeführt" - und "auf neue Typen gesetzt, die absolute Unikate, tolle Köche und einzigartige Charaktere sind".

Klingt fast schon unfreiwillig komisch - und illustriert das Elend dieser neuen Staffel. Die neuen Köche haben alle ein Etikett: Frank Oehler, der knallharte Vollprofi - Mike Süsser, der Taktiker mit Herz - Oliver Mik, die schnelle Spürnase - Andreas Andi Schweiger - der smarte Künstler. Und innerhalb dieses verordneten Rollenbildes agieren die auch, mit zuweilen realsatirischen Ergebnissen.

In der Auftakt-Folge galt es, ein Lokal im Harz auf Vordermann zu bringen. Andreas, der Chefkoch und Inhaber, wird als beratungsresistenter Kotzbrocken inszeniert, putzt ständig seinen Beikoch runter und darf solch sympathische Statements abgeben, wonach auf seiner Prioritäten-Liste zunächst sein Lokal steht, dann seine Hunde, dann nichts und dann seine Frau. Die wiederum trägt sich mit Trennungs-Gedanken, und als zusätzlicher Sidekick der ohnehin schon holzschnittartig-rührseligen Grundkonstellation werden die Eltern des Inhabers als gramgebeugte alte Leutchen vorgeführt, deren Rente vom Florieren des Lokals abhängt. Schnitt.

Die Kochprofis rollen an im schnieken Kochprofi-Bus, mäkeln akustisch kaum verständlich an den Gerichten herum - und erfüllen dann so ziemlich jedes Rollenklischee: Andi, "der Mann für die leisen Zwischentöne", darf das zartbittere Gespräch mit der frustrierten Ehefrau des Betreibers führen. "Fo", der knallharte Vollprofi, geht verbal sehr rustikal zu Werke, weiß dann aber nicht, was er denn nun kritisieren will: fehlendes Handwerk, mangelhafte Kreativität oder falsche Kostenrechnung. Es wird gestenreich diskutiert, der Off-Kommentar wird nicht müde, die Ungeheuerlichkeit der Ausgangssituation und die Retter-Funktion der Kochprofis zu betonen - und dann ist die Sendung auch schon fast zu Ende.

Was hat gefehlt? Gekocht wurde so gut wie nicht, lediglich in zwei Einstellungen war zu sehen, wie der Beikoch an das ordnungsgemäße Säubern von Pfifferlingen herangeführt wird, und wie Spätzle vom Brett in heißes Wasser gleiten dürfen.

Sollte diese Gewichtung symptomatisch sein für die neue Staffel der "Kochprofis", dann kann man sich vom Genre Koch-Doku getrost verabschieden. Die penetrante Typologisierung der Kochprofis, die Betonung von zwischenmenschlichen Malaisen, der ruppig vorgetragene Erziehungsauftrag der Kochprofis ("Dieses Spiel gewinnt er nicht!"), die völlige Vernachlässigung von allem, was mit Küche, Kochen und Restaurantbetrieb zu tun hat - das alles sind Indizien dafür, dass bei dieser "next generation" von Koch-Dokus die Dramaturgie und das Setting von Vorabend-Serien über das Geschehen am Herd gestülpt wird.

Herz, Schmerz, Drama, Existenznot, ganz wie bei "Marienhof" und Co. - nur, dass einige der Protagonisten halt zufällig Kochmützen tragen. Insofern lag einer der Kochprofis ganz richtig, als er bei der Anreise zum Restaurant prognostizierte: "Das wird Psychodrama mit Kochen". Mit ganz wenig Kochen, wohlgemerkt.

Waren bei den Köchen der ersten Staffeln - Mario Kotaska, Stefan Marquard, Martin Baudrexel und Ralf Zacherl - der persönliche Einsatz und die Fehleranalyse und -korrektur am Herd Mittelpunkt der Sendung, und wurden bei den "alten" Kochprofis Einblicke möglich in Hintergründe der Gastronomie-Branche, müht sich "the next generation" am Kanon der soap-üblichen Problemfelder ab. Das mag für all diejenigen erlebnisreich sein, die nicht genug bekommen können von den zahlreichen Vorabend-Serien. Dem Format Koch-Doku jedoch wurde das Thema entzogen.

Schade eigentlich, denn das Milieu bietet wahrlich genug fernsehgerechten Stoff - im Bereich der Koch-Doku kommen viele Elemente vor, die das Publikum in den Bann zieht: das existenzielle Drama - denn in den Betrieben geht es wirklich um die Wurst, um die wirtschaftliche Existenz von Menschen und von denen, die vom wirtschaftlichen Wohlergehen eines solchen Betriebes abhängen - das lässt Raum für's große Drama.

Dann der gepflegte Ekel-Kitzel: Schmuddel-Eckchen lässt sich in so ziemlich jeder Küche finden, bei einem Laden, der nicht wirklich läuft, sind diese Eckchen drastischer, größer und letztlich ekliger. Und wenn man so was sieht, hat man als Zuschauer das Gefühl, dass man es mit seinem Fertiggericht aus der Mikrowelle noch vergleichsweise gut erwischt hat.

Und nicht zuletzt: das Erlöser-Prinzip. Es ist irgendwie tröstlich zu wissen, dass es selbst für das größte Schlamassel einen Ober-Problemlöser gibt, der gleich einem deus ex machina alle Probleme pulverisiert und das Leben des Leidenden zum Besseren wendet.