Das Einkreisen der inneren Topographie
Die dem Hörbuch "Gestern unterwegs" zugrunde liegenden Tagebuchaufzeichnungen Handkes sind zwischen 1987 und 1990 entstanden und skizzieren eine Reiseroute durch verschiedene Städte und Landschaften. Doch markieren die Orts- und Ländernamen nur Fixpunkte auf einer geographischen Landkarte, die ins Innere des Reisenden weist. Dort verschränken sich die Zeiten. Dort wird das Unterwegssein zur Suche nach sich selbst.
"Mein langes Laufen im Dunkeln und auf einmal am Himmel das Erscheinen der Sterne im Wolkenfeld. Wie dieses Erscheinen mein Laufen erleichterte. Und mein Gedanke an die unbetrachteten Totentanzfresken in der Kirche von Rastolje. Diese Fresken haben nicht auf meine Wiederkehr gewartet, aber immerhin habe ich mich ihnen endlich so wie ich es lange schon vor hatte zu Fuß genähert, im Schweiß und zur Musik der Züge an den Felswänden."
Das Gehen – das sich auf dem Weg Befinden – gestern und heute: es ist ein Grundmotiv in Peter Handkes literarischem Werk. Seine Protagonisten sind stets unterwegs. Ob der Apotheker im Roman "In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus" (1997), die Bankfrau in "Bildverlust" (2002) oder jene Umherirrenden in der wortlosen, doch von Körpersprache reichen Studie "Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten" (1994).
Sie alle sind dazu da, das Ans-Schreiben-Gehen des Dichters als Alleingeher, als "Augenblickdenker" zu reflektieren. Ein einsamer und egozentrischer Ansatz, der auch Irrwege nicht scheut. So geschehen in Handkes Äußerungen zum Krieg in Jugoslawien, in denen er kompromisslos Serbien verteidigte. Sie geben die radikal einsame Sicht eines Intellektuellen wieder, dem beim Allein-Gang kein "geh mit mir" über die Lippen kommt.
Die dem Hörbuch "Gestern unterwegs" zugrunde liegenden Tagebuchaufzeichnungen datieren jedoch vor diesen Wortmeldungen und sind auch deshalb von Interesse. Zwischen November 1987 und Juli 1990 entstanden, skizzieren sie eine Reiseroute durch verschiedene Städte und Landschaften Österreichs, Jugoslawiens, Japans, Englands, Spaniens, Frankreichs. Doch markieren die Orts- und Ländernamen nur Fixpunkte auf einer geographischen Landkarte, die ins Innere des Reisenden weist. Dort verschränken sich die Zeiten. Dort wird das Unterwegssein zur Suche nach sich selbst.
"Sich die Landschaften, die Lagen, die Flüsse, die Bergzüge, die ebenen Horizonte einädern, von Ader. Wozu bin ich sonst denn unterwegs."
So öffnen sich Räume, in denen die Augen im jeweiligen Tageslicht das Erzähltempo vorgeben
"Kitzel am Fingergelenk in der Sonne und das Gelb einer Wespe des letzten Novembertages, und schon ist es entflogen."
Und: in denen die Stille beredt wird.
"Ja, sich die Stille vornehmen: das heißt Vorsatz Stille. Ihr entsprechend atmen. Das heißt die Stille frei nach Cezanne, realisieren. Stofflich machen die Stille dir selber."
In den Sprech-Bewegungen des Autors zeichnet sich seine, nur seine Gangart des Geistes körperlich ab; schlägt sich in einem Sprachrhythmus nieder, dessen Schrittmaß aus der Zeit fällt.
Gleichmäßiges Gehen wird dabei zum Tanz, während ein aus den Takt geraten, die Stimme brüchig macht: sie stammelt, stottert oder lässt ein scheues Lächeln zu.
Das Timbre der Autorenstimme weiß den Hörer in bedrohte Gebiete zu entführen: weg von der Blindheit einer visualisierten Welt, die mit Bildern Landschaften zudeckt, noch bevor sie verschwunden sind. Und weg vom Ohren betäubenden Rauschen des Mainstraems täglicher Beleidigungen.
In Handkes Texten formen die Lippen mit langsamen Bewegungen - scheinbar nur müde – klar umrissene Tableaus.
"Ein Bild für den frühen Morgen. Der Schmetterling kaum erwacht, steigt taumelnd aus dem Gebüsch. Und dann kurvt schon die Hummel in der Teetasse."
Über vier Stunden kreist die wohltuend mäandernde Stimme Handkes das Areal einer inneren Topographie ein, das sich im Erschauen von fernen Orten beständig ausdehnt. Kontinente berühren sich dabei, Meridiane kreuzen sich. Und so wandelt sich die Frage nach der Vertreibung aus dem Paradies angesichts des bei Kyoto aus den Bergen heraustretenden Quellwassers zum Vexierbild, in dem der Autor seinen Ursprung wieder findet.
"Wenn ich eine Vertreibung aus dem Paradies kenne oder erfahren habe, dann die Vertreibung aus dem Phantasieren, aus der Phantasie. Und diese Vertreibung geschieht jeden Tag."
Mit Handkes Aufzeichnungen vom Unterwegssein wird ein literarischer Atlas sichtbar, der auf den Karten der Geographen keine Entsprechung findet. "Gestern unterwegs" taugt selbst für Individualisten nicht als Reiseführer, da das Spanien, das Japan des Autors nicht zu finden ist. Das Poetische kommt einfach daher, so Handke. Es braucht nur ein inständiges Hinhören, ein geduldiges, erwartungsvolles Schauen, ein auf sich "über gehen lassen". Bis die Wörter ihren Platz in der Taktfolge einnehmen.
"Ich habe mir das schwankende Herz gerade gegangen und werde das heute wieder tun und morgen wieder."
Rezensiert von Carola Wiemers
Peter Handke: Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987 bis Juli 1990
Hoffmann und Campe, Hamburg 2006. 4 CDs, 300 Minuten, 29,95 Euro.
Das Gehen – das sich auf dem Weg Befinden – gestern und heute: es ist ein Grundmotiv in Peter Handkes literarischem Werk. Seine Protagonisten sind stets unterwegs. Ob der Apotheker im Roman "In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus" (1997), die Bankfrau in "Bildverlust" (2002) oder jene Umherirrenden in der wortlosen, doch von Körpersprache reichen Studie "Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten" (1994).
Sie alle sind dazu da, das Ans-Schreiben-Gehen des Dichters als Alleingeher, als "Augenblickdenker" zu reflektieren. Ein einsamer und egozentrischer Ansatz, der auch Irrwege nicht scheut. So geschehen in Handkes Äußerungen zum Krieg in Jugoslawien, in denen er kompromisslos Serbien verteidigte. Sie geben die radikal einsame Sicht eines Intellektuellen wieder, dem beim Allein-Gang kein "geh mit mir" über die Lippen kommt.
Die dem Hörbuch "Gestern unterwegs" zugrunde liegenden Tagebuchaufzeichnungen datieren jedoch vor diesen Wortmeldungen und sind auch deshalb von Interesse. Zwischen November 1987 und Juli 1990 entstanden, skizzieren sie eine Reiseroute durch verschiedene Städte und Landschaften Österreichs, Jugoslawiens, Japans, Englands, Spaniens, Frankreichs. Doch markieren die Orts- und Ländernamen nur Fixpunkte auf einer geographischen Landkarte, die ins Innere des Reisenden weist. Dort verschränken sich die Zeiten. Dort wird das Unterwegssein zur Suche nach sich selbst.
"Sich die Landschaften, die Lagen, die Flüsse, die Bergzüge, die ebenen Horizonte einädern, von Ader. Wozu bin ich sonst denn unterwegs."
So öffnen sich Räume, in denen die Augen im jeweiligen Tageslicht das Erzähltempo vorgeben
"Kitzel am Fingergelenk in der Sonne und das Gelb einer Wespe des letzten Novembertages, und schon ist es entflogen."
Und: in denen die Stille beredt wird.
"Ja, sich die Stille vornehmen: das heißt Vorsatz Stille. Ihr entsprechend atmen. Das heißt die Stille frei nach Cezanne, realisieren. Stofflich machen die Stille dir selber."
In den Sprech-Bewegungen des Autors zeichnet sich seine, nur seine Gangart des Geistes körperlich ab; schlägt sich in einem Sprachrhythmus nieder, dessen Schrittmaß aus der Zeit fällt.
Gleichmäßiges Gehen wird dabei zum Tanz, während ein aus den Takt geraten, die Stimme brüchig macht: sie stammelt, stottert oder lässt ein scheues Lächeln zu.
Das Timbre der Autorenstimme weiß den Hörer in bedrohte Gebiete zu entführen: weg von der Blindheit einer visualisierten Welt, die mit Bildern Landschaften zudeckt, noch bevor sie verschwunden sind. Und weg vom Ohren betäubenden Rauschen des Mainstraems täglicher Beleidigungen.
In Handkes Texten formen die Lippen mit langsamen Bewegungen - scheinbar nur müde – klar umrissene Tableaus.
"Ein Bild für den frühen Morgen. Der Schmetterling kaum erwacht, steigt taumelnd aus dem Gebüsch. Und dann kurvt schon die Hummel in der Teetasse."
Über vier Stunden kreist die wohltuend mäandernde Stimme Handkes das Areal einer inneren Topographie ein, das sich im Erschauen von fernen Orten beständig ausdehnt. Kontinente berühren sich dabei, Meridiane kreuzen sich. Und so wandelt sich die Frage nach der Vertreibung aus dem Paradies angesichts des bei Kyoto aus den Bergen heraustretenden Quellwassers zum Vexierbild, in dem der Autor seinen Ursprung wieder findet.
"Wenn ich eine Vertreibung aus dem Paradies kenne oder erfahren habe, dann die Vertreibung aus dem Phantasieren, aus der Phantasie. Und diese Vertreibung geschieht jeden Tag."
Mit Handkes Aufzeichnungen vom Unterwegssein wird ein literarischer Atlas sichtbar, der auf den Karten der Geographen keine Entsprechung findet. "Gestern unterwegs" taugt selbst für Individualisten nicht als Reiseführer, da das Spanien, das Japan des Autors nicht zu finden ist. Das Poetische kommt einfach daher, so Handke. Es braucht nur ein inständiges Hinhören, ein geduldiges, erwartungsvolles Schauen, ein auf sich "über gehen lassen". Bis die Wörter ihren Platz in der Taktfolge einnehmen.
"Ich habe mir das schwankende Herz gerade gegangen und werde das heute wieder tun und morgen wieder."
Rezensiert von Carola Wiemers
Peter Handke: Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987 bis Juli 1990
Hoffmann und Campe, Hamburg 2006. 4 CDs, 300 Minuten, 29,95 Euro.