Das Echte im Falschen

Von Johannes Halder · 20.04.2012
Das Phänomen des Kopierens ist so alt wie die Kunst selbst. Die Staatliche Kunsthalle in Karlsruhe untersucht die vielfältigen Formen, Funktionen und Ursachen des Kopierens an Beispielen aus sieben Jahrhunderten und zeigt die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube.
Da hängt sie doch wahrhaftig: Raffaels Sixtinische Madonna mit den beiden pausbäckigen Engelchen. Die Dresdner Gemäldegalerie hat ihre Attraktion, das berühmte Altarbild, nach Karlsruhe ausgeliehen. Es hat nur einen kleinen Schönheitsfehler. Gemalt, oder besser: abgemalt hat es ein gewisser Anton Hille im Jahr 1913, und normalerweise hängt die Kopie in Dresden im Depot. Doch man kann ziemlich sicher sein: Würde man die beiden Bilder tauschen, keiner würde es merken, und die Kunsttouristen stünden vor der Kopie genauso andächtig wie vor dem Original.

Das ist ja das Problem. Ist die Kopie nur gut genug, macht der Kult um das Echte und Einzigartige nur wenig Sinn, sagt Kuratorin Ariane Mensger.

"Unsere Ausstellung setzt im Spätmittelalter an, in einer Zeit, als das Kopieren eigentlich auch noch kein Problem war. Aber spannend wird es dann etwa um 1500 mit Albrecht Dürer. Es ist genau die Zeit, in der wir das erste Mal greifen können, dass Künstler sehr wohl Bewusstsein für ihre Originalität entwickeln und auch frühe Formen des Copyrights dann entstehen."

Dürer hatte seinerseits zwar auch kopiert, doch als italienische Raubkopierer seine Kupferstiche in großer Anzahl imitierten, führte er einen der ersten Copyright-Prozesse.

Wirklich geholfen hat das nicht, wie die lange Reihe abgekupferter Dürer-Stiche in der Schau beweist. Gerade der Kupferstich erwies sich als ideales Reproduktionsmedium für Wiederholungstäter. Und überhaupt wurden ja jahrhundertelang Kunststudenten in der akademischen Praxis mit Kopierarbeit geknechtet.

Pieter Brueghel d.J. kopierte den Vater und vervielfältigte seine beliebtesten Motive für den Kunstmarkt wie am Fließband, Goya bediente sich bei Velazquez, van Gogh bei Delacroix – kopiert haben sie alle: Courbet, Manet, Degas.

"Jeder der modernen Künstler, die wir heute für ihre Innovationskraft und ihre Individualität bewundern, hat als junger Künstler auch kopiert. Matisse zum Beispiel hat ein barockes Stillleben wunderbar abgemalt, und das zeigen wir auch in der Ausstellung."

Doch es geht hier nicht um die plumpe Kopie, sondern darum, wie und wofür man das Original verwendet. Also hat man die Kopien nach zwei Dutzend Funktionen sortiert: Selbstkopie, Re-Inszenierung, Parodie, Neucodierung usw. und zeigt auch radikale Positionen wie den berühmten Flaschentrockner von Marcel Duchamp, ein sogenanntes "Ready Made", von dem gleich vier Versionen zu sehen sind.

Aber was ist schon echt: als der Direktor der Hamburger Kunsthalle 1962 eines der legendären Metallgestelle kaufen wollte, beschied ihn der Künstler schriftlich, er habe gerade leider keines mehr zur Hand, man solle sich doch in Paris eines im Ladengeschäft besorgen, was man denn auch tat. Original ist nun keines davon, und von Kopie zu sprechen, wäre auch absurd.

Die Schau zeigt auch den Fall des Malers Giorgio de Chirico, der seine eigenen Werke auf Wunsch seiner Kundschaft so oft repetierte und teilweise rückdatierte, dass er am Ende nicht mehr wusste, was er selbst gemalt hatte und was nicht, zumal sich Fälscher das Prinzip zunutze machten.

Dass es sich Kopisten einfach machen, ist allerdings ein Vorurteil, sagt Co-Kurator Wolfgang Ullrich.

"Zum Beispiel gibt es einen österreichischen Künstler, Klaus Mosettig, der in feinsten Bleistiftschraffuren im Format 1:1 die großen Gemälde von Jackson Pollock nachzeichnet. Also wo Jackson Pollock zwei Stunden gebraucht hat, braucht Klaus Mosettig neun Monate. Ein solches Bild schaut man genauer an, und man sieht dasselbe, und es ist doch was völlig anderes."

Weniger Aufwand betrieb der Medienkünstler Florian Freier. Er hat sich ein Landschaftsmotiv des Fotografen Andreas Gursky am Computer neu zusammengegoogelt und dann auf YouTube ins Netz gestellt.

Noch einfacher machen es sich jene Künstler, die sich fremde Werke programmatisch aneignen als wären es ihre eigenen. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die prominenteste Vertreterin dieser sogenannten "Appropriation Art", die Amerikanerin Elaine Sturtevant, die Warhol, Picasso oder Mondrian kopiert, ihrerseits energisch auf ihre Urheberrechte an den zum Original verklärten Imitaten pocht.

Anhänger der Piratenpartei mögen die Entmachtung des Originals als eine Befreiung, ja Erlösung vom Kult um das Original empfinden. Die Schau ist jedenfalls eine vergnügliche Schule des Sehens, sie feiert das Echte im Falschen und reflektiert in reizvollen Gegenüberstellungen, wie sich Original und Kopie immer wieder gegenseitig befruchtet haben. Und mit Blick auf die aktuelle Praxis ist Wolfgang Ullrich überzeugt davon ...

" ... dass sich letztlich die ganze Geschichte der Kunst nicht denken ließe ohne diese vielen Formen und Funktionen des Reproduzierens."

Was zählt, ist letztlich das Konzept. Der für seine geistreichen Einfälle berühmte Künstler Timm Ulrichs geht dem Prioritätenstreit auf witzige Weise aus dem Weg: "Da ihr ständig meine Ideen stehlt", sagt er, "behalte ich in Zukunft meine besten Ideen für mich selbst."

Die Ausstellung "Déjà-vu? – Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube" ist in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe bis zum 8. August 2012 zu sehen.
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