Das Duell

Von Klaus Bölling |
Es handelt sich um Irreführung der Öffentlichkeit, strafrechtlich nicht relevant, oder, wie so viele unserer Politiker in falschem Deutsch zu sagen pflegen, "es macht keinen Sinn". Es ist schlicht sinnlos, das für den vierten Septembertag anberaumte Fernseh-Streitgespräch zwischen dem Kanzler und der Kanzleraspirantin ein Duell zu nennen.
Weder wird Gerhard Schröder, wie der große sozialistische Denker Ferdinand Lassalle von der Kugel seines Gegners in einem klassischen Duell getroffen, tot zu Boden sinken, noch wird die Wagner-Verehrerin Angela Merkel den Minnetod sterben wie Isolde nach dem Heimgang von Tristan.

Zugegeben, es ist pure Donquichotterie, gegen diese uns von den Medien aufgeschwatzte Phrase anzureden. Man setzt sich dem Verdacht aus, ein etwas verschrobener Sprachpurist zu sein. Und doch möchte man darauf aufmerksam machen dürfen, dass wir, ganz gleich, ob Schröder oder Merkel nach neunzig Minuten als Sieger oder schwer blessiert das Studio verlassen, ein uns lange schon bekanntes Stück aus dem Schaugeschäft erleben werden.

Der eine will sein schönes Amt behalten und fühlt sich in den elektronischen Medien wie der bekannte Fisch im Wasser und die andere, die es ihm abjagen möchte, soll, wird erzählt, im Anblick vieler Kameras von einer inneren Nervosität befallen werden. Das ist vielleicht ein vom politischen Gegner nur böswillig gestreutes Gerücht.

Von einem Duell könnte man sprechen, wenn sich Schröder und Lafontaine gegenüberstünden. Das könnte an Shakespeare heranreichen. Das wäre, beinahe wörtlich, ein Mordsspaß. So aber wird es bei Schröder/Merkel bestenfalls ein argumentatives Kräftemessen sein. Und hier schon sind Zweifel erlaubt. Ob es tatsächlich ein Straßenfeger wird, wie vor Urzeiten die Krimifilme von Francis Durbrigde? Das ist fraglich, weiß man sich doch nicht so recht vorzustellen, dass der Herr und die Dame verblüffend neue Gedanken preisgeben.

Da wir auch insofern ein "Einig Volk" sind als wir nahezu alle dann und wann einem voyeuristischen Instinkt nachgeben, werden die Zuschauer – und die zählen sicher nach Millionen – gespannt darauf starren, ob der Favorit sogleich die Szene beherrscht oder ob die Unionsvorsitzende überraschend zu einem K.o.-Schlag ausholt, sollte Schröder an diesem Abend nicht in Bestform sein.

Frau Merkel könnte vielleicht sagen: "Herr Bundeskanzler, Ihr ewiges Lächeln geht nicht nur mir, sondern inzwischen dem ganzen deutschen Volk nachgerade auf die Nerven". Dann könnte Schröder zurückgeben: "Frau Merkel, ist Ihnen vielleicht mit dem Blick auf die schwindenden Chancen der Union schon das Lachen vergangen?". Oder Merkel könnte fragen: "Herr Schröder, haben Sie eigentlich gar nicht bemerkt, dass Sie in Gestalt ihrer Genossin Ursula Engelen-Kefer, der stellvertretenden DGB-Vorsitzenden, im eigenen Parteivorstand eine Frau haben, die Ihre ganze Agenda immer schon zum Teufel gewünscht hat?" Tückische Gegenfrage von Schröder: " Ist es eine Erfindung, Frau Merkel, von Graf Lambsdorff, dass Sie in der CDU allein auf der schönen Insel Rügen eine Hausmacht haben?"

Das wäre ein lustiger Anfang. Frau Merkel, um die sprichwörtliche gleiche Augenhöhe bemüht, wird allenfalls einmal Schröder mit "Herr Bundeskanzler" anreden. Wir haben doch trotz des allgemein behaupteten Werteverfalls immer noch Respekt vor der Amtsautorität. Schröder wiederum muss sich hüten, Angela Merkel als "liebe" oder auch als "verehrte" Frau Merkel anzusprechen. Das würde ihm als Hochmut und Heuchelei ausgelegt werden. Fragen wir noch, ob eine nennenswerte Zahl von Zuschauern die Entscheidung an der Wahlurne von dem sogenannten Duell abhängig machen wird. Das wäre eigentlich kein demokratisches Reifezeugnis. Wird von den Journalisten zum Beispiel nach der Sicherheit der Rente, nach der Zukunft unseres Gesundheitssystems oder nach einer spürbaren Verminderung der Arbeitslosigkeit gefragt, so werden wir Versprechungen hören, die der eine "Duellant" bei aller Bemühung bisher nicht hat einlösen können und die seine Gegenspielerin vorerst nur als Verheißung für die Zukunft abgeben kann. Natürlich werden wir einschalten. Ein Duell ist doch am schönsten, wenn einer der beiden ins Gras beißt. Man muss das ja nicht buchstäblich nehmen.

Klaus Bölling, geboren 1928 in Potsdam, arbeitete für Presse und Fernsehen, war unter anderem NDR-Chefredakteur, Moderator des "Weltspiegel", USA-Korrespondent und Intendant von Radio Bremen. 1974 wurde er unter Helmut Schmidt zum Chef des Bundespresseamts berufen, 1981 übernahm er die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen "Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt", "Die fernen Nachbarn - Erfahrungen in der DDR" und "Bonn von außen betrachtet".