Das Deutsche Theater in Berlin

Von Eberhard Spreng |
Wenn das Deutsche Theater in Berlin nun die Auszeichnung "Theater des Jahres 2008" erhält, dann darf man das auch als Ehrung des Theatermannes Bernd Wilms begreifen. Es ist ein Lob für dessen letzte Spielzeit als Intendant vor dem Ausscheiden in den Ruhestand. Doch die Auszeichnung erwischt das Theater in einer schwierigen Situation.
September 2001. Im Deutschen Theater hat Michael Thalheimers Inszenierung von Lessings "Emilia Galotti" Premiere. Bernd Wilms ist gerade Intendant der traditionsreichen Bühne im alten Ost-Teil der Stadt geworden, ein Wessie, der vorher das ebenfalls im ehemaligen Ost-Berlin gelegene Gorki-Theater geleitet hatte.

Die Auszeichnung "Theater des Jahres" darf man auch als Ehrung dieses Theatermannes begreifen, als Lob für dessen letzte Spielzeit vor dem Ausscheiden in den Ruhestand. Als er Nachfolger von Thomas Langhoff auf dem Intendantenposten des Deutschen Theaters wurde, erschien manchem diese Besetzung als "kleine Lösung" unbefriedigend. Über die "Laubenpieperlösung" spöttelte damals ein leitender Mitarbeiter eines Theaters, das sich immer schon als der Olymp der Schauspielkunst verstanden hatte. Bernd Wilms erinnert sich an einen schweren Start.

"Wir haben ja sehr, sehr schwierig angefangen, zwar mit ein paar schönen Erfolgen wie "Emila Galotti", aber es hat ja ein paar Jahre gedauert, bis sich das herauskristallisiert hat, was dieses Theatersein kann und das hat sich dann erfüllt, als Michael Thalheimer in die künstlerische Direktion gekommen ist, als Jürgen Gosch und Dimiter Gotscheff und Barbara Frey mit Thalheimer zusammen die festen Regisseure waren."

Die Auszeichnung zum Theater des Jahres 2008 erwischt das Theater in einer schwierigen Situation. Der Übergangsintendant Oliver Reese muss während der Renovierung und des Umbaus des Haupthauses mit Ausweichquartieren vorlieb nehmen, die den neuen Produktionen des "DT" nicht unbedingt geholfen haben. Außerdem verzögert sich der Zeitplan der Arbeiten zusätzlich, nachdem im Zuschauerraum Asbest gefunden wurde. Die Auszeichnung bekommt so deutlich retrospektive Züge und honoriert insbesondere die sieben-jährige Leitung des Theaters durch den Dramaturgen Bernd Wilms. Unter seiner Ägide hatte sich ein neues ästhetisches Profil entwickelt, und dies obwohl hier kein Künstler mit eigener Bühnenhandschrift das Haus leitete, sondern ein nicht inszenierender Intendant. Ein puristisches Spiel, das auf opulente Ausstattungen verzichtet, auf eine reiche Garderobe ebenso wie auf überbordende Dekors, prägt das Deutsche Theater und dies, obwohl hier mit Thalheimer, Gosch, Gotscheff und Frey unterschiedliche Künstler inszenieren.

"So sehr viel wir an dem Haus verändert haben, so sehr haben wir gewusst, dass man davon, dass es ein Haus des klassischen Repertoires ist, der Erneuerung der Klassiker, gar nicht Abschied nehmen kann angesichts der umgebenden Theatersituation. An manchen Ecken mag man das einfallslos nennen, aber das hat sich als außergewöhnlich sinnvoll erwiesen."

Selten sah man, zumal im großen Haus, zeitgenössische Stücke, selten auch ein dem höheren Blödsinn und der kunstvollen Albernheit verschriebenes Spiel, wie es Falk Rockstroh und Ernst Stötzner in der Gosch-Inszenierung von Roland Schimmerpfennigs "Das Reich der Tiere" vorführten.

"Ey, zeig mir das Tier, das, ha ha, stärker ist als ich."

Ernst Stötzner ist neben Constanze Becker, Nina Hoss, Ulrich Matthes, Katharina Schmalenberg, Samuel Finzi, Wolfram Koch, Sven Lehmann und anderen einer der vielen Neuzugänge, die den Charakter des Ensembles im Deutschen Theater völlig neu definiert haben. Es ist jetzt kein Theater mehr, in dem ein zu DDR-Zeiten entwickelter und unter Thomas Langhoff durch die Nachwende-Zeit geretteter Spielstil die Aufführungen prägt. Bernd Wilms hat das DT-Ensemble aus seiner Erstarrung und Eingeschlossenheit befreit.

"Mein Vorgänger Thomas Langhoff hat versucht, das sehr konservativ zu halten und da gab es mal ein Jahr Michael Maertens und es gab ein Jahr Ignatz Kirchner und dann waren die wieder weg und sie waren wieder unter sich und ich wusste dass man das ändern muss. Der notorisch zynische Schauspieler Walter Schmiedinger, der auch kurz am Deutschen Theater war, hat mir gesagt: "Ja es ist ganz schwierig mit den Kollegen; sie sagen: Wir sind die Besten, wir sind die Besten, aber wir versuchen es trotzdem."

Bernd Wilms hatte das Theater, das sich nun ästhetisch völlig in der Mitte des gesamt-deutschen Staatstheatersystems wiederfindet von einem Thomas Langhoff übernommen, der es seinerseits aus seiner elitären Position in Kulturbetrieb der DDR in eine neue gesamtberlinische Nach-Mauer-Wirklichkeit hatte führen müssen. 1994 hatte er erklärt:

"Die Integrität des Deutschen Theaters spielt ein sehr große Rolle. Das ist kein anarchistisches oder kein staatsumstürzlerisches Theater gewesen, keineswegs. Aber es war integer und anständig und hat seine Kunstfunktion und seine Ernsthaftigkeit selten oder ganz geringfügig verraten."

Dass Bernd Wilms das Haus mit seiner exemplarischen Ost-Geschichte in seiner siebenjährigen Intendanz aus seinem alten DDR-Kontext vollends herauslöste, hat den damaligen Kultursenator Flierl zunehmend irritiert. Er wollte, mitten im ästhetisch-politischen Umbauprozess des DT für mehr Ost-Identität sorgen und den Dramatiker Christoph Hein zum Intendanten machen.

"Es gab ja vor zwei drei Jahren, angefacht durch den damaligen Kultursenator Thomas Flierl so eine Auseinandersetzung über Ost-West-Kompetenzen und: Was brauch das Haus an Ost-Geschichte und was hat es nicht. Das empfanden wir am Haus als eine völlig überholte Diskussion, als eine, die von außen auf uns zukam und wir dachten, dass wenn wir irgendetwas in den letzten vier oder fünf Jahren geschaffte hatten, dann dass die Diskussion so nicht mehr geht, so als wäre eine Westbiografie schon Stil oder als wäre eine Ostbiografie schon Stil."

Bernd Wilms so erfolgreiche Intendanz, die die Auszeichnung "Theater des Jahres" krönt, zeigt aber noch etwas anderes am Beginn eines Jahrhunderts, das dem 20., dem Jahrhundert der Theaterregie folgt: Nichtkünstlerische Intendanten sind in diesen Jahren beliebter. Ein solcher, Ulrich Khuon, der künftige Chef des DT, bekam für sein Thalia-Theater im Jahr 2007 die Auszeichnung Theater des Jahres und die Liste lässt sich fortsetzen: Frank Baumbauer, Tom Stromberg, Matthias Lilienthal: allesamt Dramaturgen und Kulturmanager. Künstler-Intendanten bekommen in diesen Jahren diese Auszeichnung selten. Und so ist denn auch das DT nicht mit eindeutiger Identität Theater des Jahres geworden, sondern mit einem theaterästhetischen Spannungsfeld. Dass es ihm aber kaum noch gelingt, die zeitgenössische Dramatik in exemplarischen Aufführungen zu nobilitieren, macht es auch ein wenig zur Schauburg einer ästhetisch reformierten Klassik.