Das DDR-Museum in Berlin

Statt Grusel gibt es schnöden Alltag

Einrichtungsgegenstände in der Schrankwand am 19.08.2016 in Berlin im DDR Museum in der Ausstellungserweiterung "Alltag im Plattenbau".
Eine Schrankwand mit Matroschka im DDR-Museum in Berlin. © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Susanne Arlt · 03.02.2017
Es ist das meistbesuchte Museum der Hauptstadt, und bei ausländischen Touristen sogar das beliebteste Museum in Deutschland - das DDR Museum in Berlin-Mitte. Hier geht es vor allem um den Alltag der Menschen. Die düsteren Seiten der DDR-Diktatur kommen nur am Rande vor.
"Herzlich Willkommen hier im DDR-Museum, was Alltagskultur ein Stück darstellt, was ein Stück politische Geschichte darstellt und auch, wie haben die Leute gewohnt?"
Die Ausstellungswände in den ersten zwei Räumen sind in grauer Plattenbauoptik gehalten. Hinter Klappen und in Schubladen verbergen sich Informationen und Exponate. Alles Originale. Die Themen sind breit gefächert: Freikörperkultur, Mode und Mangelwirtschaft. SED-Staat, Stasi, Militär und Mauerbau. Der absolute Renner befindet sich erst im nächsten Ausstellungsraum: eine nachgebaute, begehbare Plattenbauwohnung vom Typ WBS 70. Im Gegensatz zu vielen anderen Museen, dürfen, sollen die Besucher hier alles anfassen.
"Also ich finde es auf jeden Fall besser, weil sonst immer hinter einer Glaswand da steht ein Text dran, von wegen das war das. Und hier hat man halt einen Bezug, man kann Schubladen aufmachen, man kann mal hinter die Kulissen gucken, man ist halt näher dran als immer so eine Glaswand."
Hanna Kragenings stammt aus Rostock. Die Schülerin besucht das DDR Museum mit ihrer Klasse vom Christophorus-Gymnasium. Ihr und den meisten Mitschülern gefällt die simulierte Welt auf Anhieb gut.

Interaktive Volkskammerwahl

Petra Seitz begleitet die Abiturienten. Bei ihrer Führung kommt allerdings erst die Pflicht, die Politik – und dann die Kür, der Alltag.
"Die erste Frage, die ich den meisten Schülern stelle, ist, was heißt denn DDR? Deutsche Demokratische Republik, jetzt frage ich euch, war die DDR deutsch? … Wer sagt ja, warum?"
Anerkennendes Kopfnicken. Nicht jeder Besucher beantworte diese einfache Frage korrekt, sagt Petra Seitz.
"Da sagen auch Leute in meinem Alter, ne die waren russisch. Und da wird manches so durcheinander geworfen. Weil, das Stück Deutschland, das DDR war, sowjetische Besatzungszone nach dem Krieg war."
Die 54-Jährige bleibt mit den Schülern vor einem Tisch mit einem grünem Kasten und integriertem Bildschirm stehen. Jeder Besucher kann dort interaktiv einen Stimmzettel für die Volkskammerwahl aus dem Jahr 1986 ausfüllen. Wahlvorschlag der Nationalen Front der Deutschen Demokratischen Republik steht ganz oben. Darunter sind keine Parteien aufgelistete, sondern nur die Namen von etwa 20 Personen. Auch Kästchen zum Ankreuzen gibt es nicht.
"Wer hat denn regiert … die SED genau, aber es gab auch noch andere Parteien. Und diese Parteien waren mit dabei, man kann aber nicht erkennen, welcher Name zu welcher Partei oder Gruppierung gehört hat. Also die Nationale Front war im Grunde genommen das ganze Sammelbecken, was in der Volkskammer saß."

"Dann ist letzten Endes Wahlfälschung Tür und Tor geöffnet"

Die 17 Jahre alte Johanna Stiller klickt sich langsam durch den interaktiven Zettel. Eine Anleitung zur Wahl gab es nicht. Streicht sie drei Namen von der Liste, gilt dies trotzdem als Ja-Stimme für die Nationale Front der DDR. Irritiertes Kopfschütteln bei der Schülerin
"Es gibt keine Regeln. Wenn es keine Regel gibt, weiß man nicht, wann man Ja oder Nein stimmt. Ich finde, wenn man das so sieht, und es gibt keine Regeln, dann ist letzten Endes Wahlfälschung Tür und Tor geöffnet."
Vater und Mutter von Johanna Stiller sind noch in der DDR aufgewachsen. Auch wenn sie selber keinen Bezug mehr dazu hat, kommt ihr in dem Museum manches vertraut vor.
"Sachen, die für uns schon längst abgeregelt sind, begleiten uns halt trotzdem noch, weil in der Familie darüber gesprochen wird. Also es ist interessant, das mal zu sehen, weil man kann sich das nicht vorstellen. Es sind alles Sachen, die so weit weg scheinen, aber gar nicht so weit weg sind."
Nach einer halbe Stunde Staatskunde, Stasi, Militär und Mauerbau hat Petra Seitz ein Einsehen.
Und führt die 13 Schüler Richtung Plattenbau. Weil die Wohnung im angeblich fünften Stock liegt, nimmt sie lieber den Fahrstuhl. Der ist kein Original, sondern ein Nachbau.
"Jetzt gucken wir mal ob der Aufzug funktioniert. Seid ihr alle drin? Ja…"

Ohrenbetäubender Lärm im Fahrstuhl

Der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung. Der Boden schwankt, das Licht geht aus und an. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Alltag in der DDR? Petra Seitz hebt die Hände und verweist auf die Ausstellungsmacher. Einer von ihnen ist Stefan Wolle. Der 66-Jährige flog noch zu Zeiten der DDR aus politischen Gründen von der Humboldt-Uni, engagierte sich später in der Bürgerrechtsbewegung und hat als Historiker vor allem über die DDR geforscht. Jetzt ist er wissenschaftlicher Leiter des Museums, das keine museale Ostalgieshow sei, betont Wolle.
"Wir gehen also vom Alltag aus, nicht vom politischen System. Was wichtig zu analysieren ist in wissenschaftlichen Abhandlungen, wir gehen von der realen Lebenserfahrung aus und versuche da, die Erfahrung der Menschen lebendig zu halten. Also auch dieses Leben in der DDR für die neue Generation irgendwie nachvollziehbar zu machen. Wir dämonisieren nicht, wir übertreiben nicht, aber wir stellen ein Leben in der Unterdrückung dar."
Beim Rundgang fällt allerdings auf: Die meisten Besucher halten sich nur kurz im nachgebauten Stasi-Abhörraum, im Verhörraum oder in der Gefängniszelle auf. Dafür drängeln sie sich in der Plattenbauwohnung. Begutachten das fensterlose Klo mit den hellblauen Fliesen, den Spülkasten, der auf Deckenhöhe angebracht ist, befühlen mit ihren Fingern das raue, graue, einlagige Toilettenpapier aus DDR-Produktion. Inspizieren die Küche samt Durchreiche, klappen die Hängeschranktüren auf, hinter denen sich eingeschweißte Ost-Produkte verbergen.

1000 Original-Ausstellungsstücke

Auf dem Küchentisch steht eine Flasche Goldbrand. Den Weinbrandverschnitt gab es damals zum Einheitspreis von 14,50 Ostmark. Daneben die obligatorische Thermoskanne für den Muckefuck. Alles zum Anfassen. Stefan Wolle verteidigt das Konzept. Die knapp 1000 Original-Ausstellungsstücke ständen schließlich in einem kontextuellen Zusammenhang.
"Wir gehen davon aus, dass das Spielerische, die beste und die schönste Methode des Lernens ist. Der Besucher soll ja nicht nur vor einer Glaswand stehen und auf der anderen Seite eine fremde Welt sehen, er soll einbezogen werden. Also er soll sich möglichst in die Zeit hineinversetzen können. Deswegen haben wir das Experiment unternommen, da eine Wohnung nachzugestalten."
Der Erfolg gibt ihm Recht. Statt gläserner Schaukasten und der Bitte um Abstand, ist man hier ganz nah dran an der ehemaligen DDR. Eine neue Variante des Dark Tourism?! Statt ins Kunstmuseum zu pilgern Reisende ja immer lieber an Orte des Todes und des Leids, nach Auschwitz, Ground Zero oder Tschernobyl zum Beispiel. Doch statt Grusel gibt es hier den Wohlfühlfaktor. Die Lebenserfahrung der meisten Menschen in der DDR sei eben nicht durch Stasi-Knast oder Erschießung an der Mauer geprägt, sagt Stefan Wolle, sondern durch schnöden Alltag.
"Wir wollen diese Dinge nicht nebeneinander stellen, sondern wie es in der DDR immer so schön hieß, die dialektische Einheit der Gegensätze darstellen. Das gehört beides zur DDR."
Natürlich gehört auch der Trabbi zum Alltag der Deutschen Demokratischen Republik. Im Museum steht er an prädestinierter Stelle auf einem Podest. Dort erklärt die Französin Natasha Le Duff gerade Besuchern aus Südkorea, Kolumbien und den USA, dass insgesamt drei Millionen Stück diese Originals P601 hergestellt wurde. Ein Produkt für alle.
Eine Besuchergruppe umringt neugierig einen Trabant mit Fahrsimulator im DDR-Museum in Berlin.
Macht neugierig: Ein Trabant mit Fahrsimulator.© Wolf-Sören Treusch
Die US-Amerikanerin Bronwyn Donohue klopft vorsichtig auf einen Kotflügel. Stahl, sagt sie. Natasha Le Duff schüttelt den Kopf.
Die Trabbi-Verkleidung: eine industrielle Mischung aus Plastik und Baumwolle. Bronwyn Donohue schaut ein bisschen perplex, steigt dann ein in das Gefährt im klassischen Papyrusweiß.
Beim Betätigen des Gaspedals ertönt der charakteristische Zweitakter. Sobald Bronwyn Donohue den Zündschlüssel umdreht und durch die Fensterfront schaut, fühlt sie sich in eine andere Zeit versetzt. Auf einer Leinwand erscheinen Straßen, Plattenbauten, Menschen. Alles virtuell versteht sich.

Unterhaltsame Info-Vermittlung

Eine virtuelle Fahrt im Trabbi bringt einem die DDR sicher nicht näher, sagt die Studentin lachend. Aber was sei schlecht daran, dass man die Infos hier auf eine unterhaltsame Weise vermittelt bekomme?
"Ich glaube, dass dieses Museum ein interessanter Kontrast ist. Das, was ich von anderen Personen gehört habe, ist, dass die DDR ein unangenehmer Ort war. Das Museum zeigt diese Seite, aber auch andere Seiten aus dem Alltag. Geschichte kann man ja nicht wahrhaftig auferstehen lassen. Darum ist es wichtig, dabei die richtige Balance zu finden. Also es realistisch darzustellen, sich weder darüber lustig zu machen noch es zu verklären. Aber manchmal hat man schon das Gefühl, dass dieses Museum nah an der Verklärung ist."
Eduardo Acosta stammt aus Bogotá, macht gerade seinen Master in Politik an der Humboldt Uni. Ihm gefällt besonders gut das Wohnzimmer in der begehbaren Plattenbauwohnung. An den Wohnzimmerwänden klebt orangefarbene Tapete im Retro-Look, in der Mitte des Raums: eine flauschige Couch, davor der verstellbare Multifunktionstisch und natürlich die Karat-Schrankwand mit dunklem Plastik-Furnier, die sich die meisten Menschen damals nur auf Kredit leisten konnten. Selbst der vermeintliche Blick nach draußen fällt auf eine simulierte Plattenbau-Welt aus den 80ern.

Stasi-Museum in Hohenschönhausen als Kontrast

"Das ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Das wirkt auf all meine Sinne. Ja, vielleicht werden die Themen und Objekte hier auch ein bisschen oberflächlich behandelt, ein bisschen banal, aber am Ende ist die DDR doch auch banal gewesen, irreal, aus heutiger Sicht eine Fata Morgana. So gesehen wird hier doch auf eine interessante Weise gezeigt, wie die DDR war."
Wer die wirklich abscheulichen Seiten der DDR-Diktatur kennenlernen möchte, der sollte das Stasi-Museum in Hohenschönhausen besuchen, schlägt Eduardo Acosta vor. Dort seien nicht nur die Objekte real, sondern auch die Museumsführer – ehemalige Gefangene der SED-Diktatur.
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