"Das darf man nicht verniedlichen!"

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Christopher Ricke · 12.07.2013
Der SPD-Chef Sigmar Gabriel fordert von der Bundesregierung in der Geheimdienstaffäre klare Worte gegenüber den USA. Das Ausspionieren von über 500 Millionen Mails im Monat sei eine Straftat. Die Europäer müssten nun mit den Amerikanern verhandeln und dabei regeln, wie Datenüberwachung kontrolliert wird.
Christopher Ricke: Der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich ist in den USA, um deutsche Interessen deutlich zu vertreten. Er sagt, er will Klartext reden in der Spionage- und Schnüffelaffäre, es geht um die flächenmäßige Überwachung des Internets, die aus deutscher Sicht nicht so ganz verhältnismäßig ist. Allerdings sagt der Minister auch, die Zusammenarbeit mit US-Geheimdiensten im Kampf gegen den Terror sei schon notwendig. Ob der Minister etwas erreicht, das werden wir erst nach dem Gespräch wissen. Wie beunruhigend es ist, dass es wohl immer jemanden gibt, der alles über einen weiß, weil er die Metadaten miteinander verknüpft und Big Data entweder zum Staatsgeschäft oder auch zum Kommerzgeschäft macht, das bespreche ich jetzt mit SPD-Chef Sigmar Gabriel. Guten Morgen, Herr Gabriel!

Sigmar Gabriel: Guten Morgen, ich grüße Sie!

Ricke: Hat sich denn Ihr Kommunikationsverhalten in den letzten Wochen verändert?

Gabriel: Nein, Gott sei Dank.

Ricke: Sie schicken weiter unverschlüsselte E-Mails?

Gabriel: Radio-Interviews kann ja ohnehin jeder, soll ja jeder hören. – Nein, ernst gemeint, ich habe auch gar keine Lust, mein Kommunikationsverhalten deshalb zu verändern, weil man irgendwie Angst haben muss, dass einer mithört. Das hieße ja, dass wir die Aufgabe, das Grundgesetz zu schützen, jetzt privatisieren, nach dem Motto: Der Staat gibt das Post- und Fernmeldegeheimnis auf und jetzt muss jeder selbst zusehen, wie er klarkommt. Das wäre ja aberwitzig. Und genau darum geht es, es geht um die Frage: Gilt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland noch oder lassen wir es durch die Geheimdienste abschaffen? Das ist die Frage, vor der wir stehen.

Ricke: Na ja, es gilt auch die Eigenverantwortung im Umgang mit Daten. Denn es ist ja nicht nur irgendein Geheimdienst, der gerne Daten abschöpft, auswertet und Profile erstellt, das macht ja inzwischen im Internet jeder Schuhhändler!

Gabriel: Nein, nein, darum geht es nicht. Es geht nicht darum, dass Leute nicht mit ihren Daten achtsam umgehen sollen. Das ist nicht die Debatte, sondern ob 500 Millionen Mails pro Monat von einem ausländischen Geheimdienst mit Wissen der deutschen Bundesregierung und unter Mitarbeit des deutschen Geheimdienstes abgehört werden. Das ist verboten, das ist eine Straftat, das ist die Verletzung des Artikels 10 unserer Verfassung. Und da finde ich: Das darf man nicht verniedlichen. Und was jetzt passiert, ist ein bisschen, sind Schaugespräche des Innenministers nach dem Motto: Jetzt muss ich mal zeigen, dass ich was tue. In Wahrheit müssen wir doch mit den Amerikanern als Europäer insgesamt die Verträge neu verhandeln und klarmachen, wo endet die Privatsphäre, weil wir ein Sicherheitsinteresse haben, unter welcher Aufsicht, unter welcher Kontrolle geschieht dies. Wir haben das ja in Deutschland relativ klar geregelt, unsere Nachrichtendienste dürfen nur im Bereich schwerer Straftaten so etwas machen, wir sind als Sozialdemokraten auch dafür, dass man einen Richtervorbehalt macht, es gibt ein parlamentarisches Kontrollgremium. Das alles gibt es nicht in dem, was wir derzeit erleben, und wir hören ja sogar, dass selbst die Europäische Kommission in Brüssel verwanzt wird. Das kann nun mit Terrorbekämpfung gar nichts mehr zu tun haben, da geht es schlicht um Wirtschaftsspionage. Und ich finde, da muss man mit den Amerikanern offen reden und darf es nicht so verharmlosen, wie das in Teilen Herr Friedrich und leider auch die Bundeskanzlerin tut.

Ricke: Na ja, diese Gespräche werden jetzt geführt, aber Sie sagen es selber, es müssen Verträge neu verhandelt werden. Denn selbstverständlich gibt es Verträge mit den Amerikanern und das schon seit Adenauer, diese Verträge gibt es von Adenauer bis Merkel, das heißt also, auch alle SPD-Bundeskanzler wussten natürlich, dass amerikanische Dienste immer schön Zugriff auf vieles in Deutschland haben.

Gabriel: Auch das ist schlicht falsch, was Sie da gerade sagen.

Ricke: Dann korrigieren Sie mich, aber überzeugen Sie mich bitte auch!

Gabriel: Das ist ganz einfach: Die Verträge decken das überhaupt nicht ab, sondern nach diesen Verträgen müsste der amerikanische Geheimdienst deutsche Stellen sozusagen informieren, oder besser gesagt, er müsste auch um Genehmigung bitten. Das alles passiert in diesem Moment überhaupt nicht, sondern diese 500 Millionen Mails pro Monat werden schlicht dann abgehört, wenn die Amerikaner es für richtig finden. Sie informieren niemanden, es wird von niemandem kontrolliert, es gibt keinen Anfangsverdacht, schon gar keinen Richtervorbehalt. Ich will mal einen Vergleich ziehen: Es gibt ja in Deutschland eine umstrittene Debatte um die Vorratsdatenspeicherung, also: Dass beim Verdacht auf schwere Straftaten der Staat bei der Telekom zum Beispiel sagen kann: Zeig mir mal die Verbindungsdaten einer bestimmten Person in den letzten sechs Monaten! Wir sagen bei uns sogar, das kann man nur auf drei Monate machen und man soll vorher ein Richtergremium befragen, aber eine solche Möglichkeit gibt es bei uns auch. Als das Verfassungsgericht das noch nicht kritisiert hatte, gab es 5000 solcher Fälle in 14 Monaten. Jetzt haben wir 500 Millionen Fälle in einem Monat, nur um mal den Unterschied zwischen nachrichtendienstlicher Tätigkeit in Deutschland und dem der Vereinigten Staaten zu machen. Und ich glaube, dass wir einfach im Zeitalter des 21. Jahrhunderts das neu überdenken müssen. Zum ersten Ma - das gab es vor Jahren überhaupt nicht, weder unter SPD- noch unter CDU-Regierungen - ist es möglich, gigantische Datenbänke von privaten Unternehmen wie Facebook oder Google zu verschneiden mit den nachrichtendienstlichen Datenbänken, Persönlichkeitsbilder zu erstellen, Bewegungsbilder. Und das in Sekundenschnelle, so etwas gab es früher überhaupt nicht.

Das ist eine völlig neue Möglichkeit auch auf der technischen Seite. Und die wird brutal ausgenutzt für Wirtschaftsspionage, aber auch zum Erstellen wie gesagt von Persönlichkeitsbildern. Und kein Mensch weiß, was daraus passiert. Und deswegen würde ich sagen: Als Erstes müssen wir mal in Deutschland den Datenschutz rausnehmen aus dem Innenministerium und zum Beispiel ins Justizministerium geben, weil: Im Innenministerium schlagen immer zwei Herzen in einer Brust, das der Sicherheit und das des Datenschutzes. Das Zweite ist: Wir müssen mit den Amerikanern klar regeln, unter welchen Bedingungen der Terrorbekämpfung wir nachrichtendienstliche Mittel einsetzen wollen und wo die Grenzen dafür sind, damit das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland weiter Gültigkeit hat. Sonst können wir uns …

Ricke: Und genau hier ist ja die Frage, ob da die Vergangenheitsbewältigung bei der SPD schon abgeschlossen ist mit dem Argument, die Tech…

Gabriel: Ja, welche Vergangenheitsbewältigung sollen wir denn machen Ihrer Ansicht nach?

Ricke: Na ja, kucken Sie mal, Sie argumentieren: Es gibt heute so große Datenmengen, das ist alles anders als früher. Sprich, das ist alles anders als früher, als zum Beispiel ein Herr Steinmeier im Kanzleramt Verantwortung trug und ein Herr Schily Verantwortung im Innenministerium. Kann man mit dem Argument "Früher war das noch nicht möglich, wir haben zwar immer gut mit den Amerikanern zusammengearbeitet, aber heute ist alles viel schlimmer" das Problem tatsächlich auf die aktuelle Bundesregierung abwälzen?

Gabriel: Also, erstens ist es schlicht so: Das ist jetzt fast zehn Jahre her, Sie gucken jetzt zehn Jahre in die Vergangenheit. Fragen Sie einfach in Ihrem eigenen Archiv nach: Was war vor zehn Jahren technisch möglich, was war bei Facebook, was gab es bei Google, was gab es bei Amazon, anderen? Da werden Sie feststellen: Eine solche Möglichkeit, wie sie heute technisch existiert, diese Daten abzugreifen über den Nachrichtendienst, gab es damals nicht. Zweitens, das, was ich Ihnen an Verträgen geschildert habe – Sie selber haben ja gesagt, gilt aus der Adenauer-Zeit –, deckt das, was die Amerikaner oder auch die Briten, was ich übrigens fast noch schlimmer finde, dass ein Partner der Europäischen Union das bei uns tut, überhaupt nicht ab. Und schon gar nicht ist abgedeckt und niemals hat ein sozialdemokratischer Bundeskanzler oder ein Kanzleramtsminister zugestimmt, die Europäische Kommission zu verwanzen. Insofern, was Sie da machen, ist so ein bisschen der Generalverdacht, alle haben irgendwie Dreck am Stecken. Und Sie werden verstehen, dass erstens ich mich dagegen wehre, aber das finde ich gar nicht das entscheidende Argument, das entscheidende Argument ist, ich habe gar nichts dagegen, dass wir öffentlich erklären: Jetzt setzen wir uns mal alle miteinander hin und klären das für die Zukunft.

Wir wollen, dass Bundesregierung, Opposition, Datenexperten, Leute aus der Technik, am besten auf einer europäischen Ebene, weil die Bundesrepublik dafür nach meinem Eindruck ohnehin alleine nicht in der Lage ist, Druck auf die USA auszuüben, und sagen: Das sind die Bedingungen, unter denen wir Terrorbekämpfung machen wollen, und das sind die Bedingungen, unter denen wir die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte unserer Bürgerinnen und Bürger schützen wollen. Und anstelle einen solchen Schritt zu gehen, geht es jetzt nur noch um die Verteidigungsdebatte: Wer hat wann was zugelassen. Ich meine, die Bundeskanzlerin hat erst erklärt, wir wussten von gar nichts. Dann macht sie ein Interview in der "Zeit", wo klar wird: Doch, sie wussten es, aber sie erklärt, nein, ich nicht, das war mein Staatssekretär. So darf man damit einfach nicht umgehen, sondern man muss sagen, unter den Eindrücken der Terrorakte in den USA haben die Vereinigten Staaten nach dem 11. September begonnen, gigantische Abhörmaßnahmen zu planen und durchzuführen, und sie haben niemanden gefragt, niemanden. Und lasst uns jetzt über die Frage einige Jahre danach neu reden, weil es neue technische Möglichkeiten gibt, weil es gigantische Gefahren für den Persönlichkeitsschutz gibt durch das Verschneiden privatwirtschaftlicher Daten von Facebook mit staatlichen Daten beim Nachrichtendienst. Und lasst uns klären, wie wir das in Zukunft machen.

Die Einsetzung einer Europäischen Kommission für diese Aufgabe hielte ich für eine angemessene Arbeit. Dann hätte übrigens die Kommission auch endlich mal eine vernünftige Aufgabe.

Ricke: Eine Diskussion, die sicherlich noch eine ganze Weile gehen wird. SPD-Chef Sigmar Gabriel, ich danke Ihnen, wünsche einen guten Tag!

Gabriel: Bitte, Ihnen auch, tschüss!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Das vollständige Gespräch können Sie mindestens bis zum 12.12.2013 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören. MP3-Audio

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