Das "Concerto pour Piano seul" von Charles-Valentin Alkan

Ein Klavier im Wettstreit mit sich selbst

Die Pianistin Schaghajegh Nosrati sitzt mit langem, lockigem, dunklen Haar an einem schmalen Tisch, auf den sie ihre Hände leicht zusammengeschoben aufgelegt hat.
Das Virtuose als Mittel zum Zweck: Die Pianistin Schaghajegh Nosrati sucht neue Zugänge zu Alkans Musik. © Irène Zandel
Gast: Schaghajegh Nosrati, Pianistin; Moderation: Olaf Wilhelmer · 06.06.2021
Seine Klaviermusik ist so schwer, dass sogar Franz Liszt Angst davor gehabt haben soll. Charles-Valentin Alkan hat zahlreiche virtuose Werke geschrieben und fordert heutige Pianisten zum Beweis heraus, dass diese Musik nicht unspielbar ist.
Paris, von Walter Benjamin zur "Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts" ausgerufen, hat viele außergewöhnliche Komponisten hervorgebracht. Auch an einzelgängerischen Figuren wie Erik Satie herrscht kein Mangel.
Aber wenige Komponisten haben so zurückgezogen gelebt wie Charles-Valentin Alkan, der – im Gegensatz zu Satie – später nicht zum Propheten einer Schule junger Komponisten gemacht wurde. Und das, obwohl Alkan in der Mitte des 19. Jahrhunderts manches von dem vorwegnahm, was die französische Musik später prägen sollte.

Hier geht es zur Playlist der Sendung.

Was Alkan weiter mit Satie verbindet, ist die fast ausschließliche Berücksichtigung des Klaviers, das Alkan ebenfalls in bisweilen hintersinnigen Miniaturen einsetzte. Was die beiden allerdings trennt, zeichnet Alkan als Zeitgenossen der Hochromantik aus: Er schrieb auch überaus schwierige Werke von monumentalen Ausmaßen, wahre Herausforderungen für Interpreten von allergrößter Virtuosität.

Wunderkindkarriere

Geboren 1813, im gleichen Jahr wie der von ihm wenig geliebte Richard Wagner, reüssierte Alkan zunächst als Wunderkind, um sich dann nach einer Reihe von Enttäuschungen mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen und sich ganz seinen außergewöhnlichen kompositorischen Ideen hinzugeben. 1888 starb Alkan als völlig vergessener Mann; in einem Nachruf hieß es damals, erst die Todesnachricht beweise, dass Alkan überhaupt gelebt habe.

Das Klavier als Orchester

Das "Concerto pour piano seul", Ende der 1850er-Jahre nach einem langen Reifungsprozess veröffentlicht, ist Teil eines ausgedehnten Etüdenzyklus. Dieser führt das Klavier systematisch durch alle Moll-Tonarten und beschwört dabei ein imaginäres Orchester herauf, das an das imaginäre Theater in manchen Werken von Hector Berlioz denken lässt.
Alkan wurde denn auch von Robert Schumann so eingeschätzt: "Der Componist gehört zu den Ultra’s der französischen Romantiker und copirt Berlioz auf dem Pianoforte." Dass das allerdings nicht positiv gemeint war, geht aus einem anderen Text Schumanns hervor: "Liszt carikirt wenigstens mit Geist; Berlioz zeigt trotz allen Verirrungen hier und da ein menschliches Herz, ist ein Wüstling voll Kraft und Keckheit; hier aber finden wir fast Nichts, als Schwäche und phantasielose Gemeinheit."

Streit und Vorurteil

Alkans tiefe Verwurzelung im Judentum tat ihr Übriges. In die Auseinandersetzung um seine Musik, sofern eine solche überhaupt stattfand, mischten sich immer wieder antisemitische Klischees.
Noch in der ersten Ausgabe der Enzyklopädie "Die Musik in Geschichte und Gegenwart" waren solche Untertöne zu lesen, wenn es 1961 darin hieß, dass der "wunderliche und misanthropische" Alkan zur "grellfarbigen, ja sensationellen" französischen Romantik gehöre. und zwar "reich an konstruktiven Ideen" gewesen, jedoch "als Melodiker nicht eigentlich schöpferisch" hervorgetreten sei.
In der neuen Ausgabe dieses Lexikons, dessen entsprechender Band 1999 erschien, wurde Alkan mit einer ausführlichen Würdigung rehabilitiert, und die renommierte Schriftenreihe "Musik-Konzepte" hat Alkan inzwischen ein eigenes Buch gewidmet.
John Ogdon mit Brille und dunklen, kurzen Locken an einem Flügel sitzend, dahinter sind die Geiger eines Orchesters zu erkennen.
Ein Pionier der Alkan-Interpretation: der herausragende britische Pianist John Ogdon.© imago images / Michel Neumeister
Nachdem sich von Liszt über Busoni ein kleiner Zweig von Alkan-Bewunderern herausgebildet hatte, dauerte es bis zu den 1960er-Jahren, bis mit Raymond Lewenthal, John Ogdon und Ronald Smith hochambitionierte Virtuosen ins Plattenstudio gingen, um Alkans Musik dem weitgehenden Vergessen zu entreißen.
Heute ist der kanadische Pianist Marc-André Hamelin der unbestrittene Meister der Alkan-Interpretation, die nicht zuletzt dank seines Einsatzes auch eine Sache junger Pianisten geworden ist.

Von Bach zu Alkan

Zu ihnen gehört die aus Bochum stammende Schaghajegh Nosrati, die zunächst vor allem als Bach-Interpretin bekannt wurde, sich aber auf ihrer dritten CD ausschließlich Alkan zuwendet. Anders als die meisten ihrer Kollegen denkt sie Alkans Konzert für Klavier solo von Bachs Musik her, mit dessen "Italienischem Konzert" im Hintergrund.
Auch legt Schaghajegh Nosrati großen Wert auf die Spielbarkeit und Strukturiertheit dieser Musik, die keineswegs dem Bild reißerischer Virtuosenkunst entspricht: "Man kann durchaus auch eine gewisse Noblesse in diese Musik bringen, es muss nicht immer nur pauschal laut und schnell sein. Für mich ist es wichtig, dass man Alkan verständlich und ästhetisch ansprechend spielt, und das ist für mich wahre Virtuosität."
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