Das chinesische Original

Von Hartwig Tegeler |
Martin Scorseses gefeierter Polizei- und Gangsterfilm „Departed – Unter Feinden“ ist das Remake eines Hongkong-Thrillers mit dem Titel „Infernal Affairs“, der Anfang des Jahrhunderts in Asien Furore machte, hoch ausgezeichnet und ein Kassenmagnet wurde. Während „Departed“ als Meisterwerk und Oscar-Anwärter gehandelt wird, hat „Infernal Affairs“ – inzwischen zu einem Epos in drei Teilen angewachsen – hierzulande nicht einmal einen Kinoverleih gefunden. So ist dem Kinogänger etwas entgangen, was der DVD-Käufer jetzt nachholen kann: Sich nämlich eine Trilogie anzuschauen, die vielleicht aufregender ist, als das US-amerikanische Starvehikel mit Leonardo DiCaprio und Jack Nicholson.
Was dieser Song bedeutet, das ist in „Infernal Affairs“ ganz lange Zeit nicht klar; er ist eine der versteckten roten Linien, die sich durch dieses Epos ziehen, das vor allem eine Frage stellt: Was ist wahr? Was nicht? Was ist Realität? Was ist Illusion? Und wenn alles Illusion ist: Wer bist dann du noch?

Polizist oder Gangster?

„[Sam:] Ihr seid noch nicht lange hier. Eure Hände sind noch sauber. Welchen Weg ihr geht, dass müsst ihr entscheiden. Also, ich wünsche euch großen Erfolg im Polizeiberuf.“

Nicht der Polizeichef, nein, der Triadenboss Sam beglückwünscht hier junge Männer für ihre Entscheidung, die Entscheidung bei der Polizei zu arbeiten – als Maulwurf für den großen Gangster. Was ist Illusion?

Hongkong 1991 bis zum Jahr 1997, als die Kronkolonie Teil der VR China wird.

„Und in dem Augenblick, als die Zeiger der Uhr am 1. Juli 1997 auf die Zwölf vorrückten ...“

Die Geschichte von „Infernal Affairs“ ist zunächst einfach zu erzählen: Sowohl die Ermittlungsbehörden als auch die Hongkong-Mafia, die Triaden, platzieren Undercover-Agenten in den Reihen ihrer Gegner. Seitdem sind Jahre vergangen und die Gegenspieler sind in der jeweiligen Hierarchie weit vorangekommen. Aber das ist nur ein scheinbar fester Rahmen, in dem sich die Geschichte abspielt, denn „Infernal Affairs“ entfaltet eine verwirrende Tragödie um die fortwährende Auflösung von Konfliktgrenzen, und niemand kann sicher sein, ob Freund oder Feind vor ihm steht.

„[Wong:] Also, hast du mir was Schönes zu erzählen? – [Yan:] Nächst Woche kommt ne Lieferung. Wo und wann weiß ich nicht. Ich weiß auch noch nicht, wer Sams Maulwurf ist. Aber er scheint sicher zu sein, mich enttarnen zu können. – Das gefällt mir nicht!“

Im ersten Teil von „Infernal Affairs“ siegt der Gangstermaulwurf, der Polizeimaulwurf wird sterben; kurz vorher begegnen sie sich einmal.

„[Ming:] Seit wann arbeitest du so? – [Yan:] Bei Sam war ich drei Jahre. Und davor auch schon bei anderen. Es waren insgesamt 10 Jahre. – Soviel? – Mann, da sollte ich salutieren. – Ich will meine Identität zurück. Ich will wieder wie ein normaler Mensch leben.“

Der Titel „Infernal Affairs“ spielt auf zweierlei an: einmal die ´innere Abteilung´, in der Polizisten Polizisten überprüfen, und zum anderen auf das ´Inferno´, die Hölle. Jedem der drei Filme von Andrew Lau und Alan Maks Trilogie ist ein buddhistisches Motto vorangestellt:

„Der Buddha sagt: Wer in der Ewigen Hölle schmort, stirbt niemals. Das Ewige Sein ist die höchste Strafe der Hölle.“

Faszinierend, wie die Saga diesen philosophischen Ansatz in unterschiedlichen Aspekten behandelt, beschreibt, umkreist: „Infernal Affairs“ – der erste Teil – kann vielleicht als klassischer Gangster-Cop-Film gesehen werden; „Infernal Affairs II“, der Film, der die Vorgeschichte der beiden Maulwürfe erzählt, bezieht immer deutlicher auf die Unsicherheit und die Angst mit ein, die 1996, kurz vor der Rückgabe der britischen Kolonie an China, herrschte. In „Infernal Affairs III“ – der Film ist leider nur als Import-DVD beispielsweise zum Beispiel über diverse Online-Händler bestellbar – verdichtet diese beiden Aspekte immer intensiver auf die – wenn man so will – spiralförmige Bewegung, das Zirkuläre des Immergleichen.

Raum und Zeit schienen sich aufzulösen, es erfordert höchste Konzentration, um nach zu verfolgen, wer mit wem, ob Polizist oder Gangster, ob Freund oder Feind, ob Guter, den es nicht gibt, mit dem Bösen, den es so auch nicht gibt, miteinander verbandelt sind. Und immer deutlicher schält sich hier als tragische Figur der Gangstermaulwurf in der Polizei heraus: der von Andy Lau gespielte Ming.

„[Sam:] Von meinem Meister habe ich gelernt, was immer du tust, wird dir zurückgegeben.“

Sagt der buddhistische Gangsterboss. Und wenn der Buddhist sagt: Das Leben ist nur Schmerz, aber der Schmerz ist nur Illusion, dann kann natürlich auch die herkömmliche Trennung von Allem, Gut und Böse, Bulle und Gangster, Sein und Schein auch nur eine Illusion sein. Verwirrend und faszinierend, wenn dieses Denken Eingang in einen Genrefilm findet. Sam, der große Gangster; Wong, der Chefermittler:

„[Wong:] Soll ich dich durch die Hintertür rausbringen? – [Sam:] Es ist nicht verboten, einen Polizisten seinen Freund zu nennen? Ich gehe durch die Vordertür. Bin ich so gewöhnt.“

Martin Scorsese hat in „Departed“, seinem Remake eines Teils von „Infernal Affairs“ – dem zugänglichsten im Übrigen – von solch einem philosophischen Fundament der Erzählung nichts übernommen und – mit Verlaub – nichts verstanden. Das macht den Unterschied zwischen einem Gangster-und-Cop-Film im Geist des uramerikanischen Pragmatismus „Ein Mann macht, was ein Mann zu tun hat!“ und einem Meisterwerk wie „Infernal Affairs I bis III“ aus, das den Vergleich mit Francis Ford Coppolas Gangster-Epos „Der Pate“ keine Sekunde zu scheuen braucht.

Übrigens bei diesem Song haben sich Ming und Yan das erste Mal getroffen – als Gegenspieler oder auch als Spiegelbilder.