Das chemisch konservierte Klima

Von Udo Pollmer · 08.08.2010
Umweltschützer interessieren sich für ein chemisches Konservierungsmittel, für die altbekannte Benzoesäure. Aber nicht, weil sie wieder einmal ein Verbot fordern - ganz im Gegenteil, sie wollen damit das Klima retten.
Ein Konservierungsmittel für Feinkost als Klimaretter? Das klingt wie ein verspäteter Aprilscherz. Aber in der Fachpresse fordern neuseeländische Klimaschützer tatsächlich den Einsatz eines reichlich umstrittenen Konservierungsstoffs. Sie wollen mit Benzoesäure nicht etwa Fischsalat haltbar machen, sondern die Treibhausgase auf dem Acker vermindern - ganz im Sinne des Kyoto-Protokolls. Ihr Argument: Würde man unser Nutzvieh mit Benzoesäure füttern, dann würden die Stickoxid-Emissionen auf unseren Äckern um stolze zwei Drittel sinken. Das ist doch ein Wort!

Der Hintergrund dieser Geschichte ist ziemlich kurios. Begonnen hatte es vor einigen Jahren mit dem Verbot der sogenannten Wachstumsförderer, also dem Verbot von Fütterungsantibiotika zur Mast von Schweinen und Geflügel. Das führte wieder Erwarten in den Ställen zu gesundheitlichen Problemen. Notgedrungen suchten die Veterinäre nach Alternativen. Dabei probierten sie auch die Benzoesäure, das altbewährte Konservierungsmittel E 210.

Das Ergebnis war überzeugend. E 210 hielt die Tiere gesund. Überrascht war die Fachwelt allerdings, dass das Futter mit einer ordentlichen Portion Benzoesäure den Tieren deutlich besser schmeckte. Sie fraßen mehr und nahmen schneller zu. Insofern ist Benzoesäure heute ein legaler Wachstumsförderer. Auch die Darmflora der Tiere profitiert, denn sie verwerten Ballaststoffe besser, und schon kann man billigeres Futter in den Trog geben. Aber der eigentliche Hammer war, dass die Ausdünstungen der Güllelager sanken. Die Benzoesäure macht den Urin der Tiere etwas saurer, das wiederum unterdrückt die Ammoniakbildung. Da dieser Effekt auch nach dem Ausbringen der Gülle auf dem Acker anhält, fordern nun die Klimaschützer, generell das Futter von Nutzvieh mit Benzoesäure zu konservieren.

Was für Ferkel gut ist, bringt vielleicht auch dem Menschen Vorteile. Genau das dachten sich ein paar Krebsmediziner an der Leipziger Uni-Kinderklinik. Bei der Behandlung von bestimmten Krebsarten kommt es manchmal im Blut zu bedrohlichen Gehalten an Ammoniak. Die Ärzte verabreichten daraufhin Benzoesäure zur Entgiftung, erfolgreich, wie sich zeigte. Wer hätte das gedacht: E 210 hilft nicht nur im Feinkostladen und im Schweinekoben, sondern auch im Krankenhaus.

Doch damit sind die therapeutischen Möglichkeiten noch lange nicht erschöpft. Benzoesäure wirkt gegen Grippeviren, gleich welcher Art, und sie senkt den Cholesterinspiegel. Doch das wäre für unser Gesundheitssystem viel zu billig. Deshalb versuchen die Pharmafirmen an dem Stoff chemisch noch ein wenig herumzuschrauben - um ihn patentieren zu können.

Bisher war Benzoesäure vor allem als Allergen verschrien, ein Effekt, der nun mal nicht von der Hand zu weisen ist. Genau das wurde kürzlich zum Anlass genommen, um diese Eigenschaft therapeutisch zu nutzen. Nicht weil man Allergien erzeugen will, sondern einfach deshalb, weil viele Stoffe, die Allergien fördern, gleichzeitig entzündungshemmend wirken. Daneben wird die Benzoesäure und ihre chemische Verwandtschaft als Schmerzmittel getestet. In allerlei chemischen Varianten soll es nun zur Behandlung von Rheuma, Asthma und Multipler Sklerose zum Einsatz kommen.

Doch bevor hier allgemeine Euphorie ausbricht, sei daran erinnert, dass Benzoesäure auch ihre Schattenseiten hat. Für Katzen kann sie ziemlich riskant sein. Da kann schon mal ein konservierter Fischsalat den Stubentiger ins Jenseits befördern. Der Grund ist einfach: Katzen sind Jäger - die Benzoesäure ist aber nur im Pflanzenreich verbreitet; sie entsteht zum Beispiel beim Vermodern von Holz. Äpfel bilden sie, um sich Krankheitserreger vom Leibe zu halten. Tiere, die Pflanzen auf dem Speiseplan haben, wie Schweine oder Geflügel, kommen deshalb mit der Substanz gut zurecht. So auch die meisten Menschen. Mahlzeit!

Literatur:
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