Das Buch neu erfinden

Von Cora Stephan · 17.03.2010
Das Buch wird vielleicht sterben – aber nicht sofort. Und im Übrigen ist das ganz abhängig davon, was man für "Das Buch" hält. Den Inhalt? Die wunderbare Gedankenwelt bezaubernder Autoren, die wir über Augen und Ohren zu uns nehmen, wozu es gemeinhin Buchstaben braucht? Oder dieses Ding da, das mehr oder weniger schwer in der Hand liegt, ein Objekt aus Druckerschwärze und Papier, zwischen zwei Deckel geklebt oder gebunden, das man nach gehabter Lektüre ins Regal stellen, weiterverschenken, verleihen oder verramschen kann?
Wenn Autoren und Verlage "Das Buch wird nicht sterben!" intonieren, ist meist letzteres gemeint – und begeisterte Leser bekräftigen, was sie an Hardcover oder Taschenbuch haben: einen angenehmen Bettgefährten und eine interessante Farbe in der Bücherwand. Dieser Treue aber ist nicht zu trauen. Noch sind elektronische Lesegeräte keine attraktive Alternative, die man mit ins Bett nehmen möchte, aber ihre Zeit wird kommen – spätestens mit der 3. Generation von Apples iPad. Was dann?

Die meisten Autoren haben vor dem elektronischen Buch, dem E-Book, Angst, und das aus vielerlei Gründen. Sie befürchten die Entwertung ihrer geistigen Arbeit – und die ist ja bereits zugange. Nicht nur, weil fast jedes halbwegs erfolgreiche Buch in seiner digitalen Form illegal und kostenlos im Internet zu haben ist. Sondern auch dadurch, dass die Wundertüte Internet geistiges Eigentum relativiert, zumal wenn man, wie es jüngst die Autorin von Axolotl Roadkill als Angehörige der Generation Copy and Paste für sich reklamierte, das Abschreiben zum ästhetischen Prinzip erhebt. Vor allem aber fürchten Autoren einen Preisverfall durch das E-Book und damit den Verlust der Möglichkeit, von der Verwertung ihres geistigen Eigentums auch leben zu können.

Doch solche Sorgen sind nichts im Vergleich zu denen, die sich die Branche insgesamt machen muss. Die Entwicklung des elektronischen Buchs bringt insbesondere die Verlage in ihrem Zusammenspiel mit dem Buchhandel in eine bedrohliche Zwickmühle.

Die großen Buchhandelsketten haben bereits vorgesorgt – dort wird man das sogenannte Non-Book-Segment weiter ausbauen. Möglich auch der umgekehrte Weg, etwa dass Thalia bei Douglas unterschlüpft und Bücher neben Parfüm und Kosmetik verkauft werden. Thalia hat im Übrigen bereits angekündigt, künftig auch E-Book-Verleger zu sein und dazu braucht man keine Verkaufsflächen.

Die Verlage aber sitzen in der Klemme: Sie werden für eine womöglich recht lange Übergangszeit Bücher sowohl in der gewohnten, handfesten Weise als auch als elektronisches und damit körperloses Wesen auf den Markt bringen müssen. Der ganze Vertriebsapparat bleibt also bestehen. Das mindert die Chancen, die im E-Book liegen: Nämlich die Kosten für den teuren Verkehr mit den Buchhändlern mindern zu können.

Theoretisch braucht man für ein E-Book ja nur noch das, was die Autoren den Verlagen eh schon kostenlos liefern: die Daten. Theoretisch fallen die allerdings heute schon nicht sehr großen Druckkosten weg sowie die 40 Prozent und mehr, die bislang der Buchhandel kassiert. Theoretisch also müssten auch die Autoren unter dem Verfall der Preise nicht leiden, wenn sie durch höhere%anteile entschädigt würden. Praktisch aber scheitert das alles an der Doppelaufgabe der großen Verlage, die zu mächtigen, schwer beweglichen Ozeanriesen geworden sind, die den neuen Zeiten nicht mehr gewachsen sind.

Und in der Tat sieht manches, das heutzutage auf den Buchmarkt kommt, bereits wie eine Angstblüte der Verlage aus: In einem schwierigen Markt macht man nur noch mit massentauglichen Bestsellern Kasse.

Die sattsam bekannten Klagen literarischer Autoren über das Massenbuchgeschäft sind indes müßig. Denn ihnen steht ja längst ein Ausweg offen. E-Bookverlage werden wie Pilze aus dem Boden sprießen. Die Autoren dazu werden sich finden: Ein höherer Prozentsatz von einem billigen E-Book könnte für sie weit lukrativer sein als die gewohnten paar%e von einem schwerverkäuflichen Hardcover. Gewiss, den herkömmlichen Verlagen wird man damit keine Freude machen. Auch nicht den Buchhandlungen, denn Maschinen, die aus dem E-Book bei Bedarf ein gebundenes Buch machen können, passen ebenso gut in eine Bahnhofsvorhalle.

Nein, das Buch wird nicht sterben. Aber es wird sich wandeln. Damit müssen wir leben lernen.


Die Frankfurter Publizistin und Buchautorin Cora Stephan, Jahrgang 1951, ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Von 1976 bis 1984 war sie Lehrbeauftragte an der Johann Wolfgang von Goethe Universität und Kulturredakteurin beim Hessischen Rundfunk. Von 1985 bis 1987 arbeitete sie im Bonner Büro des "Spiegel". Zuletzt veröffentlichte sie "Der Betroffenheitskult. Eine politische Sittengeschichte", "Die neue Etikette" und "Das Handwerk des Krieges".