Das Brötchen-Drama

Von Udo Pollmer · 06.05.2012
Das Wegwerfen von Lebensmitteln beflügelt den Forscherdrang. Der größte Posten in der Biotonne sind bekanntlich altbackene Brötchen und Backwaren. Nun haben Bremerhavener Wissenschaftler dem Altbackenwerden den Kampf angesagt.
Viele Frühstücks-Brötchen sind schon am Nachmittag altbacken, und am Abend fühlen sie sich beim Reinbeißen im Mund gerade so an wie ein Pulli. Die Folge: Jede Menge Backwerk landet in der Biotonne. Das macht den größten Posten aus. Da wirkt es höchst löblich, dass sich nun Forscher des Alfred-Wegener-Institutes in Bremerhaven dieser Sache angenommen haben. Sie wollen nun mit einer Alge aus dem Eis der Polarmeere die Frischhaltung von Tiefkühl-Brötchen verbessern und so die Biotonne entlasten.

Die Alge namens Fragilariopsis cylindrus produziert nämlich ganz spezielle Frostschutzmittel. Die erlauben es ihr, auch im gefrorenen Eis fröhlich weiterzuleben; sie bewirken, dass zwischen den Eiskristallen winzige Hohlräume bleiben, in denen das Wasser nicht gefriert. So kann die Alge auch bei minus 20 Grad gedeihen. Da es sich um Eiweiße handelt, werden die nun gentechnisch im Labor erzeugt und sollen dann auf ihre Eignung als Brötchen-Zusatz getestet werden. Da jede Menge Brötchen in Deutschland Tiefkühlware sind, die vom Bäcker oder Verbraucher nur noch aufgebacken werden, würde sich das durchaus lohnen.

Klingt gut, ist auch ein interessanter Ansatz, hat aber mit dem Wegwerfen der Brötchen wenig zu tun. Denn es gibt jede Menge Stoffe, die die Gefrier-Tau-Stabilität und die Frischhaltung von TK-Brötchen verbessern. Noch dazu Stoffe, die längst zugelassen sind. Dazu gehören spezielle Verdickungsmittel wie Guarkernmehl oder modifizierte Stärken, Vitamin C in Verbindung mit starken Emulgatoren, Enzymsysteme usw.. Abgesehen davon würde bereits eine vernünftige Teigführung und Backtechnik für schmackhaftere Produkte sorgen. Schließlich hielten sich Brötchen und Brote früher ja auch länger frisch und schmeckten nicht nach Pappendeckel. Allein, man will es nicht, schon gar nicht für die Billigware. Der Kunde soll sie wegwerfen, das steigert den Umsatz. Davon lebt die Branche doch!

Die meisten Frostschutzmittel wirken dadurch, dass sie das Wasser in Form kleinerer Kristalle gefrieren lassen. Größere Eiskristalle beschädigen die Zellen, sie platzen auf. Aus diesem Grund werden Erdbeeren durch das übliche Gefrieren matschig. Bei der industriellen Produktion wird das Problem bei Obst und Gemüse noch ohne Frostschutz gelöst. Je schneller die Eiseskälte wirkt, desto kleiner werden die Eiskristalle und desto besser bleibt die Struktur erhalten. Die Tiefkühlindustrie nutzt bei Lebensmitteln das Schockfrosten in flüssigem Stickstoff. Empfindliche Erdbeeren werden zudem nicht als zusammenhängende Masse, sondern Stück für Stück einzeln gefrostet. Dadurch wirkt die Kälte noch schneller.

Leider wachsen bei der Lagerung von Tiefkühlware die Eiskristalle, so dass die Qualität im Laufe der Zeit sinkt. Die größeren Kristalle wachsen auf Kosten der kleineren. Das beschädigt die Zellwände, und die Ware wird breiig. Schleckt man überlagertes Speiseeis, nimmt man die größeren Eiskristalle im Mund sogar als "Sand" wahr. Dagegen werden Rekristallisationsinhibitoren zugesetzt. Das sind zum Beispiel Alginate oder Gelatinehydrolysate. Sie erlauben so ganz nebenbei, dass eine angetaute Eiscreme ohne große Qualitätseinbuße wieder in den Tiefkühlschrank zurückgestellt werden kann.

Um die Lagerzeiten von Tiefkühlgemüse zu verlängern, wird fleißig an neuen Technologien gebastelt. Zur Verhinderung der Rekristallisation wurden beispielsweise Spinatblätter mit gepulsten elektrischen Feldern vorbehandelt und danach im Vakuum in eine Lösung mit Trehalose getaucht. Trehalose ist eine besondere Zuckerart. Erst danach wird tiefgefroren. Nach dem Auftauen wirken die empfindlichen Blätter viel frischer als sonst.

Da der Markt der Tiefkühlgerichte wächst, wird auf der ganzen Welt nach neuen Frostschutzmitteln gesucht. Zur Zeit stehen vor allem Eiweiße aus Bakterien, Pilzen, Insekten, Fischen oder Fröschen hoch im Kurs. Die Gentechnik wird es über kurz oder lang erlauben, auch den Gefrierschutz von frostharten Tieren billig von Bazillen produzieren zu lassen. Auf eine Alge mehr oder weniger kommt es da nicht an. Aber mit dem Hinweis, man wolle mit einer Alge aus dem Ewigen Eis der Arktis die Biotonnen vom Brötchenbefall entlasten, hat man zumindest seine Forschungsinteressen nett verkleidet. Mahlzeit!


Literatur:
- Alfred-Wegener-Institut: Antifrost-Eiweiße einer Eisalge sollen Tiefkühlbrötchen vor Gefrierbrand schützen. Pressemeldung v. 20. 3. 2012
- Bayer-Giraldi M et al: Characterization of an antifreeze protein from the polar diatom Fragilariopsis cylindrus and its relevance in sea ice. Cryobiology 2011; 63: 210-219
- Phoon PY et al: Pulsed electric field in combination with vacuum impregnation with trehalose improves the freezing tolerance of spinach leaves. Journal of Food Engineering 2008; 88: 144-148
- Petzold G, Aguilera JM: Ice morphology: fundamentals and technological applications in foods. Food Biophysics 2009; 4: 378-.396