Das Böse wohnt nebenan

12.08.2009
Es beginnt harmlos, wie meist in guten Kriminalromanen. Peter Wells, ein attraktiv gebauter Mann um die 30, heuert bei einem Fitnessstudio in Midtown Manhattan an. Der Betreiber ist von ihm angetan, denn Wells findet im Bewerbungsgespräch genau die richtigen Worte.
Er weiß, was man von ihm erwartet, sagt, dass er eine Ausbildung zum Fitnesstrainer machen will, dass er zu allen Arbeitszeiten antreten kann. Er weiß, wie man an sein Ziel kommt: nett und freundlich sein, zuvorkommend und wohlerzogen. Spätestens nach einem Dutzend Seiten ahnt der Leser, wohin die Reise in diesem Roman geht - allerdings ohne zu wissen, wie schlimm es tatsächlich werden wird.

Krimiautor Jason Starr bringt es vorläufig mit einem Satz auf den Punkt: "Es war nur ein erster Schritt, aber so weit lief alles nach Plan."

Natürlich hat Wells, ein Psychopath und später ein Mörder, in diesem Studio nur angeheuert, um Katie Porter nahe zu sein. Vielmehr: um sie zu besitzen. Wells ist nicht nur Stalker. Er ist ein Mann ohne Gewissen, ohne Erinnerung, ohne Freunde. Das Verhältnis zu seiner Mutter ist gebrochen, weil der Pubertierende sie sexuell begehrt hat und sie ihn dafür verdammte.

Ansonsten erfährt der Leser nicht viel über sein Leben - leider. Man wüsste gerne mehr, um zu begreifen, woher Wells’ Besessenheit kommt, wie er zum Mörder werden kann.

Dafür hat Jason Starrs Hard-Boiled-Krimi andere Stärken. Langsam baut er im Suspense-Prinzip den harmlos wirkenden Peter Wells, dem die Menschen vertrauen, zu einem skrupellosen Psychopathen auf. Und das sorgt für den Grusel dabei: Das Böse ist gut erzogen und es wohnt gleich nebenan.

Das erfährt auch Wells’ Opfer Katie. Er erwürgt ihren Freund und bedroht am Ende sie selbst. Wells ist sich sicher: "Sie war ein Opfer, nichts weiter als ein Opfer, verletzlich, naiv und einsam."

Er glaubt zu wissen, was sie braucht. Und vor allem, wen sie braucht: einzig und allein ihn. Seine gesamten Glücksvorstellungen projiziert er auf die beruflich erfolgreiche, aber labile junge Frau. Um am Ende, kurz bevor er zusticht, etwas ungehalten zu werden:

"Ich weiß wirklich nicht, was mit dir los ist. Ich bin nett zu dir, mache dir Geschenke, führ dich in die besten Lokale, behandle dich wie eine Prinzessin. Und was ist der Dank?"

Bis dahin hat der Leser vor allem Spannung gespürt. Er hat Einsamkeit und Gebrochenheit der Figuren im Manhattan von heute kennengelernt, ihre Suche nach Bestätigung, ihr Scheitern dabei - etwas, das den "Follower", wie das Buch im Original heißt, mit seinen Opfern verbindet.

Erfolgsautor Jason Starr, nicht ohne Grund verehrt von Bret Easton Ellis, hat von Beginn an einen eigenständigen literarischen Ton. Er wechselt ohne große Verrenkungen zwischen den Zeitebenen und beeindruckt vor allem mit der Kälte seines Blicks.

"Stalking" ist nicht sein erster Roman und man fragt sich erneut: Wie kann ein Autor diese Kälte im Blick haben, wenn er schreibt? Doch das sollte vielleicht besser das Geheimnis dieses herausragenden Schriftstellers bleiben.

Besprochen von Vladimir Balzer

Jason Starr: Stalking
Aus dem Englischen von Ursula Kösters
Diogenes Verlag, Zürich 2009
528 Seiten, 11,90 Euro