„Das Beste kommt noch für dieses Land!“

Von Marc Dugge |
Die Revolution ist geschafft. Nun muss auch die tunesische Wirtschaft wieder in Gang kommen. Das Land hofft auf Finanzhilfen aus dem Ausland. Gleichzeitig ist Tunesien einem Ansturm von Flüchtlingen aus Libyen ausgesetzt.
Der Abend des 13. Januar: Tunesiens Präsident Ben Ali tritt vor die Kamera. Er macht Zugeständnisse, verspricht ein Ende der Gewalt und Pressefreiheit. Zu dem Zeitpunkt ist noch längst nicht klar, dass dies seine letzte Fernsehansprache sein wird:

„Meine Trauer ist tief, die Waffen müssen schweigen. Wir müssen uns alle gemeinsam eine Chance geben. Der Weg ist noch weit.“

Das tunesische Volk will diesem Mann aber keine Chance mehr geben – und zieht es vor, seinen Weg künftig ohne ihn zu gehen. Ben Ali flieht nach Saudi-Arabien, Tunesien bekommt eine Übergangsregierung – und Demonstrationen am laufenden Band.

Tausende gehen über Wochen auf die Straße. Sie fordern, dass sämtliche alte Kader aus der Übergangsregierung verschwinden – und haben Erfolg: Ein Minister nach dem anderen muss seinen Hut nehmen, auch Regierungschef Mohammed Ghannouchi. Ihm folgt Ende Februar Caid Essebsi, 84 Jahre alt, der als politisch unbelastet gilt. Jürgen Theres, Maghreb-Beauftragter der konservativen Hanns-Seidel-Stiftung:

„Wir sind sehr angenehm überrascht von ihm. Er versucht mit viel politischem Einfühlungsvermögen, Intelligenz und Robustheit, diesen Übergangsprozess zu steuern. Man glaubt ihm, wenn er sagt, dass er dafür sorgen wird, dass es zu fairen und demokratischen Wahlen kommt.“

Diese Wahlen sollen schon Ende Juli stattfinden. Dann werden die Tunesier über eine Verfassungskommission abstimmen. Deren Auftrag: Dem Land ein neues Grundgesetz zu geben – und damit die Grundlage für eine dauerhafte Demokratie zu schaffen. Stärker noch als sein Vorgänger versucht Essebsi, die Geister der Vergangenheit endgültig zu vertreiben. Politische Gefangene werden freigelassen, Ben Alis engste Unterstützer dagegen festgenommen. Die ehemals allmächtige Staatspartei RCD wird ebenso aufgelöst wie die gefürchtete Geheimpolizei. Menschenrechtlerin Souhayr Belhassen:

„Wir Bürgerrechtler, Oppositionelle, Journalisten, alle wurden wir von der Geheimpolizei überwacht, belästigt und auf Schritt und Tritt verfolgt. Es ist ein großer Moment für uns, zu wissen, dass sie jetzt aufgelöst wurde. Bei der Ankündigung haben einige von uns vor Freude geweint.“

Aber nicht alles ist rosig in Tunesien, die Herausforderungen für die Regierung sind gewaltig. In Teilen des Landes sorgt immer noch die Armee für Ruhe und Ordnung, weil es keine funktionierende Polizeistruktur mehr gibt. Gleichzeitig ist das Land an seiner Ostgrenze mit einem Flüchtlingsdrama konfrontiert: Zehntausende Menschen haben in den vergangenen Wochen versucht, der Gewalt in Libyen zu entkommen– und nach Tunesien zu gelangen: eine Mammutaufgabe für die tunesischen Behörden.

Die Wirtschaft des Landes kommt derweil nur langsam wieder in Gang. Die tunesische Regierung schätzt, dass dem Land durch die Revolution ein Schaden von über zweieinhalb Milliarden Euro entstanden ist. Ganz besonders betroffen ist der Tourismussektor. Wegen der Unruhen und Reisewarnungen hatten viele Urlauber storniert. Die meisten Reiseveranstalter setzten über Wochen alle Flüge nach Djerba aus. Dabei sei es auf der Insel die ganze Zeit über friedlich geblieben, sagt Martina Knis vom Radisson Hotel.

„Wir haben in den ersten vier Wochen knapp 200.000 Euro verloren, für den Zeitraum Januar bis Mai. Denn die Leute hatten die Möglichkeit, umsonst umzubuchen – und das hatte natürlich einen Einfluss auf unser Ostergeschäft. Wir hatten auch jetzt in den letzten Wochen minimalste Anfragen, seit die Flüge wieder gehen. Es war schon massiv. Und dann kam die Flüchtlingsgeschichte obendrauf!“

Immerhin: Das Flüchtlingsdrama in der Nähe sorgt dafür, dass in ihrem Hotel wenigstens einige Zimmer belegt sind. Nicht von Flüchtlingen, sondern von Diplomaten und Hilfskräften. In den anderen Häusern zeigt sich ein ähnliches Bild. Von 130 Hotels auf Djerba ist derzeit nur ungefähr ein Viertel offen: Sie arbeiten auf Sparflamme, viele Mitarbeiter wurden in die Kurzarbeit geschickt. Die anderen Hotels haben geschlossen: Entweder wegen ohnehin geplanter Renovierungsarbeiten – oder weil sie schlicht nicht genug Gäste haben. Skander Benali-Kacem, Direktor des Hotels Sidi Mansour und Vize-Generalsekretär des regionalen Hotelier-Verbandes:

„Wir versuchen, jetzt im März noch all unsere Mitarbeiter zu halten – und bitten sie, auch noch andere Nebenjobs anzunehmen, Putzen zu gehen, zum Beispiel. Wir hoffen, dass bis Ostern die Geschäfte wieder angelaufen sind. Es ist wichtig, dass wir im März noch mal die Zähne zusammenbeißen und unsere Mitarbeiter halten. Die säßen sonst auf der Straße. Das wäre weder für die Revolution, noch für dieses Land gut.“

Doch an der Touristenflaute leiden nicht nur die Hotels. Die Orte der Insel wirken wie ausgestorben. Die Cafés sind fast leer, die Souvenirläden ebenso. Fast alle hier auf Djerba leben vom Tourismus, direkt oder indirekt. Die Revolution ist geschafft – nun muss auch die tunesische Wirtschaft wieder in Gang kommen. Das Land hofft dabei auf Finanzhilfen aus dem Ausland. Aber bei allen Schwierigkeiten: Die Tunesier sind verdammt stolz auf ihre Revolution. Und die Freiheit werden sie sich so leicht nicht mehr nehmen lassen. Abdelkader Zitouni, Chef der Grünen Partei „Tunisie Verte“:

„Ich glaube, dass wir wirklich auf dem Weg in Richtung parlamentarische Demokratie sind. Und dass wir in Tunesien eine große Zukunft vor uns haben. Das Beste kommt noch für dieses Land!“